Warum Dermapharm bei Go Spring investiert Patrick Hollstein, 11.01.2022 10:08 Uhr
Rx frei Haus –nach diesem Motto verspricht Go Spring einer überwiegend männlichen Klientel unkomplizierte Hilfe bei schambehafteten Erkrankungen wie Potenzstörungen. Die Kategorie soll aber nur der Anfang sein, mit verschiedenen Angeboten will die Betreiberfirma Wellster Healthtech zur führenden Gesundheitsplattform in Europa werden. Bei Investoren aus der Medien- und Pharmabranche kommt das Modell gut an – auch wenn die Vorbilder in den USA gerade von der Realität eingeholt werden.
In der Investorenszene hat Wellster für Aufmerksamkeit gesorgt. Im Sommer konnten in einer Finanzierungsrunde 35 Millionen Euro eingesammelt werden. Dabei wurde das Unternehmen mit 85 Millionen Euro bewertet – doppelt so viel, wie Zur Rose für Teleclinic gezahlt hatte, und etwas mehr als das gesamte Marktvolumen im Bereich der verschreibungspflichtigen Potenzmittel.
Alleine Dermapharm investierte 25,5 Millionen Euro und übernahm damit knapp 30 Prozent der Anteile. Der Generikahersteller ist in guter Gesellschaft, die beiden Gründer Dr. Manuel Nothelfer und Nico Hribernik halten jeweils etwas mehr als 10 Prozent, weitere wichtige Anteilseigner sind
- Holtzbrinck Ventures mit rund 28 Prozent
- Seven Ventures (ProSiebenSat.1) mit 5 Prozent
- HGDF (Familien Bendixen/Dethleffsen, unter anderem Eigentümer von Queisser/Doppelherz) mit knapp 4 Prozent
Außerdem sind zahlreiche weitere institutionelle und private Anleger investiert, darunter Reinold Geiger (L‘Occitane), Jochen Engert, Daniel Krauss und André Schwämmlein (Flixbus), Jean-Remy von Matt (Jung von Matt), Dr. Peter Baumgart (PlusDental), Constantin Bisanz (Brands4friends). Kleinere Anteile halten auch Privatpersonen aus dem Netzwerk, etwa der M&A-Berater Dr. Manfred Ferber oder der Urologe Professor Dr. Christian Wülfing (Asklepios Klinik Altona), der nicht nur den medizinischen Beirat leitet, sondern auch auf der Website als ärztliches Testimonial auftritt und beispielsweise Hinweise zu Medikamenten gibt.
Dermapharm-CEO Dr. Hans-Georg Feldmeier begründet die Entscheidung damit, dass man mit Plattformen wie Go Spring eine zusätzliche Klientel ansprechen könne: Gerade bei Problemen, die mit Scham verbunden seien, senke Go Spring durch niedrigschwelligen Zugang etwaige Berührungsängste. „Es geht nicht um Konkurrenz zu bestehenden Strukturen. Wir denken vielmehr, dass derartige Plattformen eine Möglichkeit zur Erweiterung des Marktes sind.“
Go Spring habe eine andere Herangehensweise als andere Player am Markt. „Für uns als Hersteller ist wichtig, dass die Grundsätze der Vermarktung – also etwa des Arzneimittelrechts – nicht ausgehebelt werden.“ Dann seien die Produkte, die angeboten würden, auch in diesem neuen Vertriebskanal gut aufgehoben. Über Synergien denke man zwar stets nach, klar sei aber, dass man auch als führender Investor nur beteiligt sei und keinen Einfluss auf das Geschäftsmodell nehme.
Gegründet 2018, setzt Wellster auf verschiedene Plattformen: Go Spring ist als Telemedizin-Anbieter für die diskrete Behandlung von erektiler Dysfunktion und anderen schambehafteten Erkrankungen konzipiert. My Spring richtet sich an Menschen mit Haarausfall, Easytest ist als Plattform für medizinische Selbsttests gedacht und Hello Easy deckt vor allem Schlafprobleme ab, soll aber künftig vor allem über psychologische Indikationen aufklären.
Das Konzept ist dabei stets dasselbe: Menschen mit gesundheitlichen Problemen werden ganzheitliche Lösungen versprochen, bei denen Arzneimittel & Co. nur ein Baustein sind. So wird auf den Plattformen der Eindruck vermittelt, dass die Therapie aufwändig durch Experten entwickelt wurde und etwa im Rahmen einer Videosprechstunde noch einmal individuell zugeschnitten werden muss.
Nur die Marke zählt
Präparate und Marken spielen nur eine untergeordnete Rolle – was zählt, ist alleine die Plattform. Verkauft werden vor allem Eigenmarken, ergänzt nicht etwa durch Originalpräparate wie Viagra, sondern allenfalls durch namenlose Generika, wo dies notwendig ist. Auf der Website von „Go Spring“ wird nirgends verraten, welches Sildenafil man am Ende zugestellt bekommt – nur die als Beipackzettel hinterlegte Fachinformation deutet darauf hin, dass es sich um das Präparat von Aristo handeln könnte. Bei Hello Easy täuscht ein Digital Sleep Coach darüber hinweg, dass im Grunde nur verschiedene Präparate mit Baldrian, Lavendel und Melatonin verkauft werden, bis hin zum Rx-Präparat Circadin (Medice).
Auch der Versand der Präparate ist im Konzept von Wellster eine reine Logistikfrage. Nach früheren Angaben arbeitet Wellster mit kleineren Versandapotheken zusammen, die auf der Website allerdings nicht in Erscheinung treten. Alternativ können sich die Kunden ihre Präparate in einer Apotheke vor Ort abholen; hierzu kooperiert Wellster mit Noventi und sucht weitere Partnerapotheken, die dann auch die Beratung übernehmen sollen.
Mehr als 1,5 Millionen Menschen nutzen die telemedizinische Konsultation laut Firmenangaben bereits. Rund 70 Mitarbeiter arbeiten aktuell für das Unternehmen, das die Devise ausgegeben hat, das „größte und fürsorglichste Gesundheitsunternehmen in Europa aufzubauen“. Dabei könnte es in anderen Indikationen deutlich schwieriger werden, sich als Plattform zu etablieren. Wie nachhaltig der Erfolg sei, werde man sehen, räumt auch Feldmeier vom Hauptaktionär Dermapharm ein.
Strauchelndes US-Vorbild
Schlechte Nachrichten kommen aus den USA. Hier war das große Vorbild Hims & Hers Health vor einem Jahr für den Rekordpreis von 1,6 Milliarden US-Dollar an die Börse gebracht worden. Mit prominenten Werbebotschaftern, cleveren Verkaufstricks wie der stylischen Einzelpackung Sildenafil für das Portemonnaie oder einem umfassenden Abomodell für die Kategorien Sex, Hair, Skin und Mental Health hatte das Unternehmen für Furore gesorgt.
Doch mittlerweile hat der Hype einen empfindlichen Dämpfer erfahren, Analysten äußern sich skeptisch, die Aktie hat drei Viertel an Wert verloren. Grund sind nicht nur Konkurrenten wie Roman oder der Angriff von Amazon, sondern auch die Erkenntnis, dass sich der Konsum von Arzneimitteln trotz massiver TV-Kampagnen anscheinend nicht endlos skalieren lässt.