Kein Jahr wie jedes andere – das Versorgungswerk der Apothekerkammer Nordrhein (VANR) musste Corona-bedingt gleich an mehreren Fronten aktiv werden. Geschäftsführer Jens Hennes erläutert im Interview mit APOTHEKE ADHOC, wo sich das VANR organisatorisch angepasst und wie es die Achterbahnfahrt an den Weltbörsen zum Vorteil der Mitglieder genutzt hat. Und er hat eine beruhigende Botschaft: Die Ruhestandsbezüge der Apotheker sind sicher.
ADHOC: Wo überall hat es beim VANR in der Corona-Krise gebrannt?
HENNES: Eine sehr große Herausforderung seit März/April war für meinen Geschäftsführungskollegen Stephan Janko und mich zunächst die Organisation der Geschäftsstelle. In der Vergangenheit haben wir unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Homeoffice nicht angeboten. Erstmals intensiver ausgetestet haben wir die Fernarbeit vor rund einem Jahr. Dank dieser Tests waren wir zu Beginn der Pandemie schon vorbereitet, die Abläufe in der Geschäftsstelle entsprechend zu organisieren, um Infektionsrisiken zu reduzieren. Um die Leute aber flächendeckend ins Homeoffice zu bekommen, mussten wir erst einmal für den Großteil der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Laptops anschaffen. Aber letztlich hat alles gut funktioniert und wir konnten den Mitgliederservice in vollem Umfang aufrechterhalten. Und selbstverständlich wurden alle Renten pünktlich ausgezahlt und alle Beiträge fristgerecht eingezogen.
ADHOC: Können Sie den geforderten Rechnungszins weiterhin erwirtschaften? Oder müssen die Versicherten Auswirkungen auf ihre Anwartschaften befürchten?
HENNES: Unsere Mitglieder müssen sich keine Sorgen machen. Weder die kurzfristige Liquidität unseres Versorgungswerkes noch die langfristige strategische Ausrichtung sind beeinträchtigt. Unser Anlageportfolio ist stabil und risikoresistent strukturiert. Auch haben wir in den vergangenen Jahren ausreichend große Puffer geschaffen, um solche Sonderentwicklungen aushalten zu können.
ADHOC: Aber die Situation an den Kapitalmärkten war unübersichtlich in der Corona-Krise.
HENNES: Das ist leider richtig. Der Einbruch an den Aktienbörsen ging unglaublich schnell. Aber wir hatten an der Börse Limits für Aktienkäufe hinterlegt, mit denen wir bei Erreichen von bestimmten Kursniveaus automatisch kaufen.
ADHOC: Kaufen statt verkaufen – macht das in der Krise Sinn?
HENNES: Ich weiß, das klingt jetzt erst einmal widersinnig. Üblicherweise platzieren Anleger – insbesondere Privatanleger – ja Verkaufslimits, um ihre Positionen vor zu starken Verlusten zu schützen. Unsere Idee ist eine andere: antizyklisch investieren. Wir sehen eine Krise als Chance, günstig Positionen aufzubauen. Das haben wir jetzt mit unserem selbst entwickelten strategischen Investmentprozess umgesetzt. In der Abschwungphase war das stellenweise richtig turbulent: An manchen Börsentagen wurden unsere Kauflimits zwei- oder sogar dreimal am Tag erreicht und dann ausgeführt.
ADHOC: Warum ist das VANR antizyklisch und nicht prozyklisch unterwegs?
HENNES: Um diese Frage zu beantworten, müssen wir ein paar Jahre zurückgehen. 2008, im Jahr der Finanzkrise, hat die Geschäftsführung – also Stephan Janko und ich – gemeinsam mit den Gremien die schwere Entscheidung getroffen, risikoreichere Assetklassen deutlich zu reduzieren. Denn die ausreichende Unterlegung der Risikopositionen mit Risikoträgern – ein Grundprinzip nachhaltigen und verantwortungsvollen Investierens – wäre sonst gefährdet gewesen.
ADHOC: Was sind Risikoträger?
HENNES: Das sind Eigenkapitalpositionen auf der Passivseite unserer Bilanz. Sie werden explizit dafür gebildet, um risikoreichere Investments abzusichern. Je mehr Positionen mit höherer Renditeerwartung und entsprechend höherem Risiko wir in unser Portfolio aufnehmen, desto größer muss unsere Risikoträgerposition sein. Das ist wie auf der Autobahn: Je höher die Geschwindigkeit, desto weiter muss der Sicherheitsabstand zum Vordermann sein. Für den Aufbau der Risikorücklagen mussten wir in Vergangenheit auf Dynamisierungen bei Anwartschaften und Renten verzichten. Diese Enthaltsamkeit zahlt sich jetzt aus: Denn nun besitzen wir zunehmend mehr Risikopolster, um renditestärkere Portfoliopositionen abgesichert auszubauen.
ADHOC: Im Februar und März war dann die Feuertaufe für den antizyklischen Aktienkauf? Wurde diese bestanden?
HENNES: Nein, die war bereits Ende 2018. Im letzten Quartal jenes Jahres brach der Aktienmarkt deutlich ein. Der von uns entwickelte strategische Investmentprozess griff zu diesem Zeitpunkt das erste Mal. Und so stiegen wir systematisch in den fallenden Markt ein. Die eigentlichen Volumina, mit denen wir unseren Aktienbestand vergrößerten, waren indes noch recht überschaubar – der Markt ging im Dezember 2018 um vergleichsweise bescheidene 15 Prozent zurück. Auf größere Einkaufsmöglichkeiten mussten wir also weiter warten – bis dieses Jahr. Die Indizes büßten weltweit 30 Prozent und mehr ein – entsprechend umfangreich fiel unser Einkauf aus.
ADHOC: Für eine solche Einkaufstour braucht aber auch Liquidität. Wo kommt das Geld her?
HENNES: Genau. Liquidität war ein entscheidender Punkt. Wir waren zwar vor der Pandemie sehr liquide, weil uns die Märkte zu teuer waren. Womit wir aber nicht gerechnet hatten, war, dass der Markt so schnell fällt. Diese Geschwindigkeit hat die Komplexität massiv erhöht. Wir mussten Liquidität schaffen und haben daher im Direktbestand Positionen verkauft. Zum Beispiel haben wir eine Emission des Bundeslands Hessen mit 25 Jahren Laufzeit vor zwei Jahren eingekauft. Diese und ähnliche Positionen ließen sich in der Krise zu 120 oder auch 130 Prozent liquidieren. Die Kursgewinne konnten wir in den Rücklagen verbuchen. Somit gewannen wir für die Aktienkäufe obendrein auch noch komfortable 20 bis 30 Prozent Risikobudget.
ADHOC: Müssen sie solche Geschäfte in turbulenten Marktsituationen mit den VANR-Gremien abstimmen?
HENNES: Wir haben aber ein wirklich sehr gutes Ehrenamt. Gemeinsam beschlossen wir die grundsätzliche Strategie und damit auch die jeweiligen Kauflimits. Um über den Fortschritt oder auch kleine Anpassungen zu berichten, haben wir regelmäßig Podcasts gemacht und an die Gremien geschickt. Denn Telefonkonferenzen zu normalen Zeiten wären für Apotheker zu Corona-Hochzeiten kaum möglich gewesen. In den Podcasts haben wir quasi laufend berichtet, wie sich unsere Anlagesituation entwickelt. Die Podcasts kamen sehr gut an, die Rückmeldungen waren positiv und gaben so den weiteren Kurs vor.
ADHOC: Wie wichtig war die Einführung des offenen Deckungsplanverfahrens für Ihre Anlagestrategie?
HENNES: Ohne den im März 2017 beschlossenen Wechsel zum offenen Deckungsplanverfahren, den wir uns hart erkämpfen mussten, hätten wir beim VANR nicht so stark ins Risiko gehen können. Wir waren ja eines der wenigen berufsständischen Versorgungswerke, welches noch das modifizierte Anwartschafts-Deckungsverfahren hatte. Das offene Deckungsplanverfahren bietet zusätzliche Möglichkeiten, Risikoträger zu bilden.
ADHOC: Wo liegt nun die Aktienquote und wo ist das VANR-Kapital ansonsten investiert?
HENNES: Bei den Apothekern haben wir im Corona-Crash die Aktienquote um etwa 4 Prozentpunkte auf nun 18 Prozent angehoben. Sehr aktiv und erfolgreich war in den vergangenen Jahren mein für die Immobilien zuständiger Geschäftsführungskollege Stephan Janko unterwegs. Auf der Immobilienseite ist Einiges passiert. Beispielsweise hat er schon sehr früh in Logistik investiert und ein breitdiversifiziertes Portfolio im Immobilienbereich aufgebaut. Wo ich mit meinem Team nun immer aktiver werde, ist bei Private Equity, Private Debt und Infrastrukturkapitalanlagen. Diese alternativen Investments sind ein echtes Zukunftsthema für uns. Das gilt auch für erneuerbare Energien. Daher haben wir dieses Jahr eine günstige Gelegenheit genutzt und uns an einem Offshore-Windpark beteiligt.
Das VANR zählt mit mehr als 10.600 Anwartschaftsberechtigten und Rentnern sowie einem verwalteten Vermögen von knapp 2,5 Milliarden Euro zu den großen Apothekerversorgungen in Deutschland. Die Geschäftsstelle in Düsseldorf besorgt auch Kapitalanlage und Mitgliederverwaltung für das Versorgungswerk der Tierärztekammer Nordrhein.
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