Klage gegen Amazon-Apotheker: Das sind die Gründe Lothar Klein, 21.07.2017 15:27 Uhr
Der Streit um den Verkauf von OTC-Arzneimitteln über Amazon geht jetzt vor Gericht. Im Auftrag des Münchener Apothekers Hermann Vogel jr. hat die Kanzlei Smith, Gambrell und Russell (SGR) heute Klage gegen die Linden-Apotheke in Gräfenhainichen von Michael Spiegel eingereicht. Zur Apotheke gehören mehrere Webshops, die über verschiedene Domains zu erreichen sind. Eingereicht wurde die Klage beim Landgericht Dessau-Roßlau.
Die Klageschrift umfasst 40 Seiten: Hauptargument sind Verstöße gegen den Datenschutz und gegen die Regeln des lauteren Wettbewerbs. Spiegel soll unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro oder ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten verboten werden, „apothekenpflichtige Medikamente über die Internet-Handelsplattform Amazon zu vertreiben, solange bei dem Anmelde- beziehungsweise Kaufprozess über diese Internet-Handelsplattform nicht sichergestellt ist, dass der Kunde vorab seine Einwilligung mit einer Erhebung, Verarbeitung und Nutzung seiner Gesundheitsdaten (als besonderen Daten im Sinne des § 3 Abs. 9 des Bundesdatenschutzgesetzes) gegenüber einer Person oder Institution erteilen kann, die zum Umgang mit diesen gesundheitsbezogenen Daten berechtigt ist“, so die Klageschrift.
Unter den Produkten, die von Spiegel unter dem Verkäuferprofil „Aposparer“ angeboten werden, befinden sich auch apothekenpflichtige Medikamente. „Bei den Angeboten von (apothekenpflichtigen) Medikamenten über die Internet-Handelsplattform Amazon werden durch den anbietenden Apotheker wichtige datenschutzrechtliche Vorgaben NICHT eingehalten“, so der Vorwurf.
Dabei würden jedoch schutzwürdige Belange wie die Vertraulichkeit, die beim Verkauf von apothekenpflichtigen Medikamenten einzuhalten seien, verletzt. Diese seien jedoch gerade zum Schutz dieser Kunden eingerichtet worden. Jeder Apotheker sei für den rechtsfehlerfreien Betrieb seiner Apotheke zuständig. Amazon trete bei diesen Verkäufen von apothekenpflichtigen Medikamenten lediglich als „Intermediär“ auf. Wesentliches Merkmal der Versorgung der Bevölkerung mit apothekenpflichtigen Medikamenten und damit eine der zwingenden Vorgaben sei dabei die Vertraulichkeit gemäß Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO).
Die Offizin müsse so eingerichtet sein, dass die Vertraulichkeit der Beratung, insbesondere an den Stellen, an denen Arzneimittel an Kunden abgegeben werden, so gewahrt werde, dass das Mithören des Beratungsgesprächs durch andere Kunden weitestgehend verhindert werde. Der OTC-Verkauf erfolge in der Vor-Ort-Apotheke anonym. Daten des Kunden würden nicht gespeichert. Kundenkarteien würden nur mit Zustimmung der Kunden angelegt. Bei Prüfungen der Apothekerkammern werde deshalb im Bereich der Kundenkartei immer großer Wert darauf gelegt, dass in jedem Fall eines Eintrages in eine Kundenkartei diese vorab eingeholte, schriftliche Genehmigung zur Datenverarbeitung vorliege.
Das sehe beim Handel über Amazon „ganz anders“ aus. Da der Internetriese als Buchhändler gestartet sei, lägen selbst bei älteren Kunden keine Genehmigungen zur Speicherung von Gesundheitsdaten vor, argumentiert die Klageschrift. Der Handel mit apothekenpflichtigen Medikamenten stelle ein relativ junges Betätigungsfeld von Amazon dar.
Dies bedeute, dass alle Kunden, die vor Einstieg des Konzerns in den Versandhandel mit apothekenpflichtigen Medikamenten schon Kunden bei Amazon waren, „zu keinem Zeitpunkt eine Genehmigung zur Speicherung und Weiterverarbeitung von gesundheitsbezogenen Daten abgegeben haben“.
Dennoch erfolge im Auftrag des Apothekers eine Speicherung von Adressen, Zahlungsdaten des Bestellers und des Namens des Medikaments, welches wiederum Rückschlüsse auf das Krankheitsbild des Bestellers zulasse. „Diese bei einer Amazon-Bestellung immanente Möglichkeit, dass die Daten des Bestellers mit den Daten seiner Bestellung verknüpft werden und von Amazon an Dritte weitergegeben werden, ist in der Datenschutzerklärung von Amazon explizit vorgesehen.“ Amazon gebe nach eigenen Angaben diese Kundendaten weiter.
Besonders fatal sei, wenn eine Arzneimittelbestellung gar nicht für eigene Zwecke erfolge, sondern wenn beispielsweise mit dem eigenen Amazon-Account ein Arzneimittel für ein anderes Familienmitglied bestellt werde. Amazon unterscheide hier nicht, sondern ordne alles dem Käufer zu. Die Folge sei, dass der Besteller – obwohl er das Arzneimittel selbst gar nicht nutze – von Amazon als Nutzer dieses Arzneimittels registriert werde: „Für den Betroffenen kann dies aufgrund der von Amazon vorbehaltenen Datenweitergabe an Dritte sehr negative Folgen haben“, so die Klageschrift.
Auch beim aktuellen Kauf von apothekenpflichtigen Medikamenten über Amazon würden die Kunden von Amazon nicht gesondert dazu aufgefordert, eine Einwilligung zur Speicherung, Weiterverarbeitung und Nutzung dieser speziellen personenbezogenen Daten abzugeben. Bei der Eröffnung eines Kundenkontos bei „Amazon“ werde ein Neukunde heute nicht gefragt, ob die Speicherung seiner Daten durch Amazon oder für einen Apotheker, der sich als Händler registriert habe, erfolgen dürfe.
Dies sei „datenschutzrechtlich unzulässig und zu unterbinden“. Da sich der Apotheker dabei auch noch einen Wettbewerbsvorteil durch die Ansprache eines größeren Kundenkreises verschaffe, führe dies zu wettbewerbsrechtlichen Unterlassungsansprüchen. In der Klageschrift weist die Kanzlei ausdrücklich auf den Charakter eines Musterprozesses hin und bittet „höflich“ um die Ansetzung eines kurzfristigen Termins für die mündliche Verhandlung.
Im Juni waren bei 41 Versandapotheken, die ihre Produkte über Amazon anboten, Abmahnungen wegen Verstoßes gegen den Datenschutz eingegangen. Wie die Kanzlei betont, geht es nicht um ein „Abmahngeschäft“, sondern um die rechtliche Klärung des Sachverhaltes.
Dass Vogel jr. aktiv geworden ist, hat auch mit Amazon „Prime Now“ zu tun. In München bekommen Amazon-Kunden, die Prime-Mitglied sind, die bestellte Ware innerhalb einer Stunde geliefert. Alternativ wird die Ware zu einem späteren Zeitpunkt in einem wählbaren Zwei-Stunden-Fenster zugestellt. Zum Start sind neben den Bienen-Apotheken auch die Lebensmittelhändler Basic und Kochhaus dabei; diese sind auch in Berlin als Partner an Bord.