Versandhandel im Sommer: Aufsicht kapituliert Alexander Müller, 07.08.2018 10:10 Uhr
Die nächsten Tage sollen wieder richtig heiß werden. Die Erfahrungen des Berliner Kollegen mit dem Ausfall seiner Klimaanlage treibt so manchem Apotheker womöglich schon temperaturunabhängig die Schweißperlen auf die Stirn. Viele Pharmazeuten fragen sich in diesem Zusammenhang, wie die Versandapotheken eigentlich sicherstellen, dass die Arzneimittel unterwegs nicht zu heiß werden und wer das kontrolliert. Die Antworten sind nicht gerade ermutigend.
Vor ziemlich genau einem Jahr hatte Apotheker Christopher Kreiss sich dieselbe Frage gestellt, als eine Kundin Döderlein Vaginalkapseln verlangte. Er machte den Test und bestellte das Medizinprodukt selbst bei DocMorris – die Kapseln kamen eingeschmolzen und unbrauchbar an.
Weitere Testkäufe bei verschiedenen Versandapotheken führten fast immer zum selben Ergebnis: Die Lieferungen waren nicht gegen die hohen Temperaturen gesichert, weder im überhitzten Lieferwagen der Zusteller noch im Abhollager bei der Post. Kreiss informierte alle erdenklichen Behörden über den Vorfall, die Reaktionen waren für den engagierten Apotheker überaus enttäuschend.
Rechtlich gibt es hier ein Ungleichgewicht: Während beispielsweise die Großhändler über die GDP-Richtlinie (Good Distribution Practice) verpflichtet wurden, ihre Lieferflotten zu modernisieren, haftet die Versandapotheke nur bis zur Abgabe – und die findet nach der Logik des Versandhandels bei der Übergabe an den Logistiker statt.
Eine der führenden Versandapotheken gibt gegenüber APOTHEKE ADHOC zu, dass man kaum Möglichkeit habe, die Temperaturgrenzen einzuhalten. Kühlpflichtige Ware wird zwar über Spezialversender verschickt, das betrifft aber nicht den „normalen“ Bereich von 15 bis 25 °C. An besonders heißen Tagen schickt der Versender seine Päckchen abends los, um die ganz hohen Temperaturen zu vermeiden. Freilich ist auch das keine Gewähr, dass die Päckchen auf ihrem Weg nicht doch zu heiß werden.
Der Versender vertraut aber auch auf den gesunden Menschenverstand seiner Kunden: Wer bestelle bei diesem Wetter schon Arzneimittel? Tatsächlich gingen die Aufträge in diesen Wochen zurück, die Leute seien sensibilisiert. Und sollte der DHL-Fahrer tatsächlich einmal zwei Tage mit dem Päckchen unterwegs sein, könne der Kunde die Sendung immer noch zurückschicken, wenn er Zweifel am Zustand der Ware habe. Dazu muss der Kunde als Laie allerdings erst einmal erkennen, dass etwas mit seinem Arzneimittel nicht stimmt – nicht immer ist das so einfach wie bei geschmolzenen Kapseln.
Überwacht die Aufsicht, ob bei verschickten Arzneimitteln die herstellerseitig vorgegebenen – und teils gesetzlich geregelten – Temperaturgrenzen eingehalten werden? Gibt es hierzu Kontrollen? In Berlin ist das Landesamt für Gesundheit und Soziales (LAGeSo) für die Apothekenaufsicht zuständig. Die Fachabteilung erklärt: „Im Rahmen des Versandhandels mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln hat die Apothekenleitung sicherzustellen, dass die Arzneimittel so verpackt, transportiert und ausgeliefert werden, dass ihre Qualität und Wirksamkeit erhalten bleiben (§ 17 Abs. 2a Nr. 1. Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO)).“
Bei der Kontrolle reicht der Behörde jedoch ein Blick ins QMS: „Um dies sicherzustellen, müssen entsprechende Regelungen in dem gemäß § 11a Apothekengesetz (ApoG) zu betreibende Qualitätssicherungssystem durch die Apotheke getroffen werden. Durch das LAGeSo wird geprüft, ob die im Qualitätssicherungssystem getroffenen Regelungen geeignet sind, einen ordnungsgemäßen Transport der Arzneimittel zu gewährleisten.“
Weiter reichen die Befugnisse der Behörde in der Hauptstadt nicht: Das zuständige Referat I B, Apotheken- und Betäubungsmittelwesen, ist zwar für die Überwachung der Apotheken zuständige Aber: „Die Durchführung von Testkäufen durch das LAGeSo ist nicht möglich“, teilte die Behörde auf Nachfrage mit.
Die Kontrolle der Apotheken vor Ort ist im Rahmen einer Revision deutlich leichter. Und auch die Vorgaben sind eindeutiger: Gemäß ApBetrO müssen die Betriebsräume geeignet sein, eine einwandfreie Lagerung von Arzneimitteln zu gewährleisten. Konkret heißt es zur Temperatur: „Es muss eine Lagerhaltung unterhalb einer Temperatur von 25 °C möglich sein.“
Für den Inhaber der Berliner Hauptbahnhof-Apotheke wurde genau das zum Problem. Die Klimaanlage fiel aus, in der Apotheke wurde es zu heiß, der Betrieb wurde für vier Tage unterbrochen. In der Folge musste er mit den Herstellern aufwändig klären, welche Medikamente auch bei kurzzeitig höheren Temperaturen stabil bleiben.
Laut dem LAGeSo muss von den Apotheken nachgewiesen werden können, „dass die Arzneimittel unter Einhaltung der erforderlichen Lagertemperaturen gelagert werden beziehungsweise wurden“. Die Lagertemperaturen seien „zu überwachen und aufzuzeichnen“. Im Falle von gegebenenfalls festgestellten Temperaturabweichungen müsse eine Risikobewertung durch die Apotheke vorgenommen und dokumentiert werden.
Das LAGeSo lässt sich die Listen zeigen: „Bei den Regelbesichtigungen findet eine stichprobenartige Kontrolle der von den Apotheken geführten Temperaturaufzeichnungen statt. Darüber hinaus wird geprüft, ob in sämtlichen relevanten Bereichen Thermometer installiert sind“, teilte die Behörde mit und weist auf weitere Anforderungen hin: „Soweit Arzneimittel außerhalb der Öffnungszeiten der Apotheke angeliefert werden, muss die Einhaltung der erforderlichen Lagertemperaturen für die betreffenden Arzneimittel ständig gewährleistet sein (§ 4 Abs. 2d ApBetrO).“
Ein Pharmazierat findet die Ungleichbehandlung selbst ungerecht: „Es wäre an der Zeit, dass beim Deutschen Apothekertag anzugehen. Arzneimittelsicherheit ist nicht teilbar.“ Doch er hat wenig Hoffnung, dass die Delegierten in diesem Jahr etwas dazu beschließen. Denn konsequenterweise müsste es dann auch verbindliche Vorgaben für den Botendienst geben. Auch nicht klimatisierte Kommissionierautomaten sind dem Pharmazierat bei eigenen Revisionen schon längst ein Dorn im Auge. „Da gibt es auch Probleme im eigenen Garten.“