Umgehung der Apothekenpflicht

Versandhandel: Ex-Kammervorstand vor Gericht

, Uhr
Berlin -

Die Abgabe von Medikamenten ist Apotheken vorbehalten, doch immer wieder gibt es Versuche, dieses wichtige Grundprinzip des Arzneimittelrechts zu umgehen. In Nordrhein-Westfalen geht jetzt die Aufsicht gegen einen Apotheker vor, der sich – obwohl er selbst bis vor kurzem im Vorstand der Apothekerkammer war – auf ein fragwürdiges Geschäftskonstrukt mit einem Pharmahändler eingelassen hat. Der Prozess könnte die gesamte Versandapothekenbranche kräftig aufwirbeln.

Das Unternehmen Hommel Pharma mit Sitz in Dülmen bei Münster hat sich auf die Belieferung von Heilpraktikern und Therapeuten spezialisiert. Nach eigenen Angaben versorgt die Firma seit vielen Jahren mehr als 7000 Niedergelassene aus diesem Bereich mit einer „Vielzahl von Artikeln des täglichen Praxisbedarfs“. Dazu gehören nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel, Medizinprodukte und Hilfsmittel. Zahlreiche Hersteller aus dem Bereich Homöopathie/Alternativmedizin werden auf der Referenzliste des Unternehmens genannt.

Mitglieder des Freien Verbands Deutscher Heilpraktiker (FVDH) mit Sitz in Münster erhalten dank einer Kooperationsvereinbarung 20 Prozent Rabatt auf den regulären Apothekenverkaufspreis (AVP). Bei speziellen Angeboten sind sogar bis zu 55 Prozent Nachlass drin. Außerdem wirbt das Unternehmen mit schneller Lieferung, kostenfrei ab 50 Euro, und 100-prozentiger Kundenorientierung. Und: „Alles aus einer Hand!“

Das Problem: Hersteller und Großhändler dürfen apothekenpflichtige Arzneimittel laut §47 Arzneimittelgesetz (AMG) nur an bestimmte Empfänger liefern, darunter Apotheken, andere Hersteller und Großhändler sowie unter gewissen Umständen Krankenhäuser und Ärzte. Heilpraktiker und Therapeuten zählen genauso wenig wie Endkunden zum Adressatenkreis.

Wohl aus diesem Grund hat sich Hommel Pharma mit einer Apotheke zusammengetan: Mindestens seit März 2013, vermutlich schon länger, kooperiert die Firma mit der Adler-Apotheke im selben Ort. Der Betrieb war Anfang 2012 von Dr. Wolfgang Graute übernommen worden. Der Pharmazeut betrieb damals im benachbarten Lüdinghausen die Wolfsberg-Apotheke und war außerdem langjähriges Mitglieder im Vorstand der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AKWL). Beides – Amt und die ursprüngliche Hauptapotheke – gab Graute erst vor wenigen Monaten auf. Gemeinsam mit seiner Frau führt er in Dülmen heute drei Standorte: Adler-, Tiber- und Wildpferd-Apotheke.

Berufspolitisches Engagement und praktische Erfahrung hinderten Graute aber nicht daran, sich auf eine fragwürdige Kooperationsvereinbarung mit Hommel Pharma einzulassen. Jedenfalls hat er jetzt Ärger mit dem Kreis Coesfeld, der als Aufsicht für seinen Betrieb zuständig ist. Nach einer Inspektion wies ihn die zuständige Amtsapothekerin an, die Zusammenarbeit mit Hommel Pharma sofort zu beenden. Nach einigem Schriftwechsel und einer weiteren Revision wurde ihm schließlich auch formal per Bescheid die Tätigkeit untersagt.

Graute klagte; im Eilverfahren wies das Verwaltungsgericht Münster (VG) jedoch den Antrag, die sofortige Vollziehung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens auszusetzen, zurück. Im Interesse der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung sei ein Einschreiten geboten, so die Richter: Graute mache in einer Form von seiner Versandhandelserlaubnis Gebrauch, die nicht mit den Vorgaben von Apotheken- und Arzneimittelgesetz in Einklang stehe und eine Gefährdung der Arzneimittelsicherheit befürchten lasse.

Tatsächlich zeigen die von der Behörde vorgelegten Unterlagen, dass die Apotheke in der Konstruktion maximal eine untergeordnete Rolle spielt. Laut Kooperationsvereinbarung hat Grautes Betrieb nämlich lediglich die Aufgabe, die ihr von Hommel Pharma übermittelten Bestellungen „auszuführen“, das heißt Aufträge und Sendungen auf Richtigkeit zu prüfen und die Sendungen zu verschließen.

Alle anderen Vorgänge – von der Erfassung der Bestellungen über die Erstellung der Liefer- und Rechnungspapiere bis hin zur Bereitstellung der kommissionierten und versandfertigen Bestellungen – werden bei Hommel Pharma abgewickelt. Selbst der Versand im Auftrag der Apotheke wird demnach durch die Firma veranlasst, die auch die Kosten dafür übernimmt.

Laut Urteil geht diese Vereinbarung weit über das Maß des Zulässigen hinaus. Zwar habe der Gesetzgeber mit der Zulassung des Versandhandels die räumliche Bindung des Abgabevorgangs an die Apotheke aufgehoben. „Er verzichtet aber nicht darauf, dass die Abgabe institutionell durch die Apotheke und nur durch sie erfolgt.“ Vielmehr sei der Inhaber nach wie vor gemäß §7 ApoG zur persönlichen Leitung derselben in eigener Verantwortung verpflichtet, muss sich Graute von den Richtern erklären lassen.

Auch wenn sich Apotheker beim Versandhandel der Dienste von Logistikunternehmen bedienen lassen dürfen, ist dies laut Gericht kein Freifahrtschein, alle möglichen Teile des operativen Geschäfts auszulagern: „Geht die Beteiligung Dritter am Vertrieb über eine solche Transportfunktion hinaus und geben sie sich so, als würden sie selbst Arzneimittel vertreiben, so liegt kein – zulässiger – Arzneimittelversand einer Apotheke mehr vor; vielmehr handelt es sich dann um ein nicht erlaubtes Inverkehrbringen von Arzneimitteln durch einen Gewerbetreibenden.“

Im konkreten Fall sei schon nicht erkennbar, dass das pharmazeutische Personal der Apotheke die Bestellungen vor der Bearbeitung überprüfe. Alle Aufträge würden per Fax an Hommel Pharma geschickt; Bestellungen und die weitere Bearbeitung seien der Apotheke bis zum Schluss nicht bekannt. Rezepte lägen, wie bei der Inspektion festgestellt wurde, zum Zeitpunkt der Prüfung durch das Apothekenpersonal nicht vor, sondern würden erst nachfordert und 9 bis 18 Tage später bedruckt.

„Dass der Apotheke […] lediglich die pharmazeutische Endkontrolle der zu versendenden Arzneimittel verbleibt, entspricht keineswegs den Anforderungen an die in § 7 ApoG vorgegebene selbständige und eigenverantwortliche Leitung einer (Versand-)Apotheke“, heißt es im Urteil. Zudem sei die Endkontrolle in ihrer konkreten Form „nicht geeignet, den Kontrollverlust, der mit der Auslagerung der Entgegennahme der Bestellungen sowie der Vorbereitung der Arzneimittel zur Abgabe einhergeht, zu kompensieren“. Denn angesichts der Umstände könne der Inhalt ausschließlich mit dem Lieferschein, nicht aber mit der Bestellung oder dem Originalrezept abgeglichen werden. „Eine Überprüfung des Kommissionierungsvorgangs ist im Rahmen einer so konzipierten Endkontrolle folglich nicht möglich.“

Dasselbe gelte für eventuelle Rücksendungen, die ausschließlich von Hommel Pharma angenommen würden. „Dass die Retouren für eine Überprüfung in die Apotheke gelangen, ist hingegen ebenso wenig vorgesehen wie eine sonstige Einbindung der Apotheke in die Retourenabwicklung.“ Laut AMG liege es aber im Aufgabenbereich der Apotheke zu verhindern, dass bedenkliche Arzneimittel wieder in den für den Verkauf vorgesehenen Warenbestand zurückgeführt würden.

Dass die Apotheke laut Vertrag zur Übernahme der pharmazeutischen Verantwortung verpflichtet ist, spielt laut Gericht keine Rolle. Der Inhaber habe damit zwar für die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften einzustehen. „Die Vertragsbestimmungen sind nach den vorstehenden Ausführungen hingegen nicht geeignet sicherzustellen, dass er diese Verantwortung auch tatsächlich wahrnimmt.“

Und noch zwei Aspekte sprechen laut Gericht gegen die persönliche Leitung in eigener Verantwortung: Zwar werde auf Rechnungen und Paketen die Apotheke mit Logo ausgewiesen; in der Werbung werde aber der Anschein erweckt, dass Hommel Pharma der Vertragspartner sei. Und schließlich: Laut Vertrag wird die Apotheke vom Pharmahändler für ihre Tätigkeit vergütet. Würde man den Standpunkt vertreten, dass das Unternehmen Dienstleistungen gegenüber der Apotheke erbringt, wäre laut Gericht zu erwarten, dass Hommel Pharma dies gegenüber der Apotheke in Rechnung stellt – und nicht umgekehrt.

So kommen die Richter zu dem Ergebnis, dass die Rolle von Hommel Pharma „über eine bloße Transportfunktion weit hinaus geht und damit zumindest ein faktisches Mitbetreiben der Versandapotheke [...] vorliegt“. In dem Modell entledige sich der Apotheker seiner alleinigen pharmazeutischen und wirtschaftlichen Verantwortung und damit seiner Kontrollfunktion „in erheblichem Maße“. Stattdessen überlasse er sie „einem Großhandelsbetrieb, dem das Gesetz nicht die Verantwortlichkeit eines Apothekers für die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung zuschreibt“.

„Die von dieser Sachlage ausgehende abstrakte Gefährdungslage reicht angesichts der erheblichen Gefahren, die von Arzneimitteln ausgehen, aus, um ein sofortiges Einschreiten zu rechtfertigen“, so das Gericht. „Überdies verschafft sich der Antragsteller durch die – rechtswidrige – Auslagerung pharmazeutisch relevanter Tätigkeiten auf eine Großhändlerin einen Wettbewerbsvorteil, der unter dem Aspekt der Vermeidung einer negativen Vorbildwirkung nicht hingenommen werden kann.“

Im Urteil gibt es einen Passus, der auch andere Versandapotheken, die Teile ihre Geschäfts ausgelagert haben, in Alarmstimmung versetzt. Schon die Kommissionierung gehört laut Gericht nämlich zu den Tätigkeiten, die vom pharmazeutischen Personal einer Apotheke durchzuführen und damit der Apotheke vorbehalten ist. „Denn auch mit diesen Tätigkeiten sind Gefahren – etwa solche der Verwechslung – verbunden, die den Gesetz- und Verordnungsgeber dazu veranlasst haben, sie dem pharmazeutischen Personal einer Apotheke anzuvertrauen und eine Unterstützung nur durch fachlich qualifiziertes Personal zuzulassen.“

Damit könnte in dem Verfahren eine Grundsatzfrage geklärt werden, die bislang nicht beantwortet wurde: Der Bundesgerichtshof (BGH) kam 2013 im Fall Vitalsana nicht mehr dazu, sich mit den vertraglichen Details zu beschäftigen. Und das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) wies 2008 die Klage eines Apothekers gegen das Modell von Zur Rose in Halle aus formalen Gründen ab.

Seitdem haben Investoren über entsprechende Konstruktionen Zugang zum Apothekenmarkt gefunden; bei fast allen großen Versendern gibt es solche Modelle: Zur Rose ist formal als Logistiker für die gleichnamige Apotheke in Halle sowie Eurapon in Bremen tätig. Bei Aponeo ist der britische Finanzinvestor Marcol über Pharmahera an Bord. Bei Apo-Discounter werden weite Teile über Apologistics abgewickelt. Über den Großhandel lassen sich in solchen Konstellationen nicht nur eventuell anfallende Gewinne abschöpfen. Da Marke und Domain den Kapitalgesellschaften gehören, wird die Apotheke hinter der Versandapotheke faktisch austauschbar.

Das VG Münster hat dazu eine klare Meinung: „Die Zwischenschaltung der Apotheken bei der Abgabe der Arzneimittel dient einer sicheren und qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung und damit einem Gemeinschaftsgut von hohem Rang, das selbst empfindliche Eingriffe in die Berufsfreiheit rechtfertigen kann“, heißt es im vorliegenden Urteil. „Durch die Bindung der pharmazeutischen Tätigkeit an die Verantwortlichkeit des besonders ausgebildeten Apothekenleiters soll ein hohes fachliches Niveau gewährleistet und einer Kommerzialisierung des Arzneimittelvertriebs entgegengewirkt werden.“

Die geordnete Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln sei nach Ansicht des Gesetzgebers am besten dann gewährleistet, wenn „die allseitige Verantwortung für den Betrieb der Apotheke in einer Hand liegt“. Nicht nur in pharmazeutischen, sondern auch in rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen solle der Inhaber frei vom Einfluss Dritter sein, die „für die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung keine Verantwortung tragen“.

Newsletter
Das Wichtigste des Tages direkt in Ihr Postfach. Kostenlos!

Hinweis zum Newsletter & Datenschutz

Neuere Artikel zum Thema

APOTHEKE ADHOC Debatte