Versandhandel

Wenn Amazon zur Apotheke wird Alexander Müller, 17.11.2015 09:41 Uhr

Berlin - 

Bei Amazon kann man so ziemlich alles kaufen, auch Arzneimittel. Zwar verbietet das Apothekenrecht dem Online-Versandhändler, selbst Medikamente anzubieten, doch die Shops vieler Versandapotheken sind längst integriert. Außerhalb der Apothekenpflicht zeigt Amazon schon heute, dass der Konzern ein Auge auf den Markt geworfen hat.

Für Waren des täglichen Bedarfs bietet Amazon als Services ein „Spar-Abo“: Der Nutzer erhält 5 Prozent Rabatt, wenn er dasselbe Produkt in bestimmten Intervallen automatisch beim Versandhaus ordert. 15 Prozent Rabatt bekommt, wer mindestens fünf Spar-Abos zu einem Liefertermin an dieselbe Adresse einrichtet.

Das Angebot gibt es nicht nur für Shampoo oder Zahncreme, sondern auch für Blutzucker-Teststreifen. Seit die Kassen diese für Typ-2-Diabetiker, die kein Insulin spritzen müssen, nicht mehr erstatten, ist der Selbstzahler-Markt hart umkämpft. Bei Amazon gibt es 50 Teststreifen von Accu-Chek Aviva im Spar-Abo für 23,67 Euro. Das ist im Wettbewerb ein ziemlich harter Preis. Versandkostenfrei liefert Amazon ab 29 Euro.

Der Kunde kann je nach Produkt vorgegebene Bestellmengen wählen, im Fall der Teststreifen eine bis 30 Packungen. Auch das Lieferintervall kann bestimmt werden: Auf der Skala von monatlich bis halbjährlich schlägt Amazon für dieses Produkt jeden zweiten Monat als „häufigste Wahl“ vor. „Verkauf und Versand durch Amazon. Geschenkverpackung verfügbar.“

Parallel können die Teststreifen über die Plattform auch bei anderen Versendern bestellt werden. Entweder ist die Ware direkt bei Amazon am Lager, oder der Anbieter versendet selbst. Bei apothekenpflichtigen Produkten ist nur der Bezug über Partner möglich. Beispiel Aspirin-Brausetabletten (Bayer): Amazon empfiehlt zunächst das Angebot der Versandapotheke Aponeo. Die Bestellung wird bei Amazon aufgegeben, für Verkauf und Versand steht die Versandapotheke ein. Der Kunde merkt dies im Zweifel erst, wenn er sein Päckchen erhält. Denn das „Einkaufserlebnis“ ist Amazon.

Für Versandapotheken ist eine große Verbreitung überlebensnotwendig. Dabei helfen eine starke Marke, Werbepräsenz oder aggressive OTC-Rabatte für die einschlägigen Preisvergleichsportale. „Als Kanal wird aber eben auch Amazon immer wichtiger“, betont Fabian Kaske von der Marketingagentur Dr. Kaske. Rund 30 Versandapotheken nutzen nach seinen Recherchen derzeit die Plattform, darunter namhafte Anbieter wie Aponeo, Deutsche Internet Apotheke, Medpex, Mycare oder Sanicare.

Die Versender können hier eigene Shops einrichten und Amazon gewissermaßen als Plattform nutzen. Das lässt sich der Versandriese natürlich bezahlen – offiziell mit einheitlich 15 Prozent des Umsatzes, inoffiziell berichten Händler von Verhandlungsspielraum. Einen deutlich größeren Anteil am Umsatz beansprucht Amazon für sich, wenn die Produkte des Partners an Lager genommen werden. Dann verwaltet Amazon die Kontingente und kümmert sich um die gesamte Abwicklung.

Bei apothekenpflichtigen Produkten geht das natürlich nicht. Hier haben die Versender die Amazon-Spielwiese für sich allein. Und viele nutzen diese für eine Doppelpreisstrategie: Die 40er-Packung Aspirin plus C verkauft Aponeo bei Amazon aktuell für 10,52 Euro. Im eigenen Shop der Versandapotheke gibt es das Produkt für 9,29 Euro – ein Differenz von immerhin 13 Prozent. Auch andere Versender nutzen auf diese Weise die Bequemlichkeit einiger Amazon-Kunden.

Die Zeiten, in denen Amazon keine günstigeren Angebote neben sich duldete, sind vorbei. Nur eines dürfen sich die Händler in ihren Shops nicht erlauben: den Kunden enttäuschen. Gibt es zu viele negative Nutzerbewertungen wegen schlechter Lieferfähigkeit, listet Amazon den Partner aus – unabhängig von dessen Größe.

Die Bedeutung der Plattform sei für die Versandapotheken sehr unterschiedlich, erklärt Kaske. Einige nutzten Amazon eher als Schaufenster für die eigene Bekanntheit, andere machten 80 Prozent und mehr ihres Versandumsatzes nur über diesen Kanal. „Das ist natürlich ein großes Risiko“, so Kaske. Denn was, wenn sich der Konzern plötzlich für eine exklusive Partnerschaft entscheide?

Immerhin denkbar wäre auch, dass sich die Rahmenbedingungen so ändern, dass Amazon doch selbst eine Versandapotheke betreiben dürfte. Für eine gewöhnliche Apotheke ist es derzeit schwer bis unmöglich, noch in den Markt einzusteigen. Der intensive Preiswettbewerb macht den Gewinn nennenswerter Marktanteile schlicht zu teuer. Und ohne Masse lohnt sich das Geschäft ohnehin nicht. Amazon dagegen hätte sicherlich keine Mühe, auch im Versandapothekenmarkt schnell in die Spitzengruppe vorzustoßen.

Und dass es auch unter geltendem Apothekenrecht Konstruktionen gibt, die Vieles ermöglichen, hat der Markt schon gesehen: Die niederländische Versandapotheke Vitalsana wurde vor der Schlecker-Pleite zumindest teilweise von der Zentrale der Drogeriekette in Ehingen aus gesteuert. Auch für das Verhältnis der deutschen „Zur Rose“ zu dem Logistikzentrum einer Schweizer Kapitalgesellschaft haben sich die Gerichte in der Vergangenheit schon beschäftigt. Selbst Amazon hat mit seinem Sitz im Ausland den Behörden bereits Kopfschmerzen bereitet.

Einen unerwarteten Amazon-Effekt konnte die Firma Bios Pharma feststellen. Die Nahrungsergänzungsmittel der Schwesterfirma von Hecht Pharma sind größtenteils bei dem Versandhändler gelistet. Wann immer ein neues Produkt in den Shop gestellt wird, steigen die Abverkaufszahlen im Einzelhandel. „Der Effekt zeigt sich außerdem bei unseren ICE Power Produkten und Huskfibre beziehungsweise FiberHUSK“, so Geschäftsführer Jörg Schmitz. Er vermutet, dass sich viele Verbraucher im Internet über die Produkte informieren, letztlich dem stationären Handel aber doch mehr vertrauen.

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