„Amazon braucht keine Gewinne - darauf müssen sich die Apotheken einstellen“ Patrick Hollstein, 15.09.2017 10:19 Uhr
Amazon als Apotheke? Noch gibt es in der Branche Zweifel, dass der Internetriese ausgerechnet in Deutschland zum Arzneimittelhändler wird. Fabian Kaske, Geschäftsführer der Marketingagentur Dr. Kaske, erklärt im Interview mit APOTHEKE ADHOC, welche Logik der Einstieg des US-Konzerns in den deutschen Markt hätte – und wie die Folgen aussehen werden.
ADHOC: Amazon plus Shop-Apotheke: Was würde das für den Markt bedeuten?
KASKE: Ganz einfach: Die zwei potentesten Player des Marktes würden auf einen Schlag zusammenkommen. Amazon ist mit 44 Millionen Kunden hierzulande die Nummer 1, dazu müssen Sie das Potenzial von Shop-Apotheke addieren. Das wäre der Hammer.
ADHOC: Heißt?
KASKE: Wir sehen schon jetzt, dass Shop-Apotheke und DocMorris durch die Decke gehen. Diese beiden führenden Versender haben nicht nur in Media investiert, sondern auch ihre Preise auf das Niveau der Billiganbieter gesenkt. Die kleinen Player haben dem nichts, absolut gar nichts entgegenzusetzen. Die führenden deutschen Versender – Medikamente-per-Klick, Medpex, Apotal – haben die Basis und das Kapital, um ihren Umsatz zumindest zu halten. Wenn nun derjenige, den alle fürchten, mit demjenigen, der allen den Umsatz wegnimmt, zusammengeht, haben alle anderen haben ein massives Problem.
ADHOC: Wer wäre zuerst betroffen?
KASKE: Man muss sich große Sorgen machen um die Versandapotheken, die mittendrin agieren. Aber auch die Hersteller klagen schon heute über die Verdichtung der Strukturen. Am Ende wäre die gesamte Branche betroffen. Ganz klar: Wenn Amazon in den Markt kommt, wird sich die Entwicklung um einige Jahre beschleunigen.
ADHOC: Warum der Apothekenmarkt?
KASKE: Weil er immer noch extrem fragmentiert ist. Shop-Apotheke hat einen Marktanteil von 14 Prozent unter den Versendern. In anderen Branchen kommt der Primus jeweils auf mehr als 50 Prozent. Bislang ergibt es für die Industrie Sinn, mit 15 bis 20 Versendern über Werbekostenzuschüsse zu sprechen. Das könnte schon bald vorbei sein.
ADHOC: Wie realistisch wäre eine solche Übernahme aus Sicht von Amazon?
KASKE: Amazon will wachsen. Eine Übernahme würde das beschleunigen. Und nicht zu vergessen: Mit Shop-Apotheke würde Amazon einen von nur drei Playern kaufen, der es verstanden hat, mit Daten umzugehen.
ADHOC: Gibt es Vorbilder für eine solche Investition?
KASKE: Amazon hat schon Milliarden investiert, auch in Nischenmärkte. Nehmen Sie Twitch, eine Plattform für Computer- und Videospiele. Amazon hat das Potenzial erkannt und knapp eine Miliarde investiert – ein Riesenerfolg, wie sich im Nachhinein herausgestellt hat. Oder nehmen Sie Whole Foods, hier hat sich Amazon neben Locations vor Ort vor allem Know-how eingekauft, was den Lebensmitteleinzelhandel angeht.
ADHOC: Was brächte Shop-Apotheke?
KASKE: Vor allem pharmazeutisches Know-how. Shop-Apotheke hat massiv in smarte Lösungen beispielsweise für Nebenwirkungsmeldungen investiert, die vielfach der stationären Apotheke sogar überlegen sind. Amazon versteht den Markt bislang überhaupt nicht. Mit einer Übernahme könnten rechtliche Themen schnell erledigt werden.
ADHOC: Sie hatten noch unlängst postuliert, dass Amazon immer auf Partner aus dem Apothekenbereich angewiesen sein wird.
KASKE: Das stimmt, aber eine solche Übernahme muss nicht bedeuten, dass sich Amazon sofort von seinen Partnern beispielsweise im Prime-Bereich verabschiedet. Schon vor 20 Jahren hat Jeff Bezos alle damit überrascht, dass er als Buchhändler auch andere Player auf seiner Plattform zuließ. Der Erfolg gibt ihm bis heute recht.
ADHOC: Wie könnte Shop-Apotheke bei Amazon integriert werden?
KASKE: Ein Vorbild könnte Zappos sein. Amazon hat den Modehändler 2009 übernommen, ebenfalls für knapp eine Milliarde Dollar. Die Marke existiert bis heute weiter, aber über diesen Kanal wurde parallel „Amazon Fashion“ aufgebaut. Hier sehe ich Ähnlichkeiten.
ADHOC: Inwiefern könnte Shop-Apotheke – über das eigene Geschäft hinaus – für Amazon nützlich sein?
KASKE: Amazon hat mit Prime ein Riesenpfund, das auch für den Arzneimittelbereich relevant sein könnte. Das Stichwort lautet: Sunk Costs. Wer einmal die Jahresgebühr entrichtet hat, hat ein Interesse, sie durch Käufe zu amortisieren. Statistiken zeigen: Amazon-Kunden geben pro Jahr 80 bis 100 Euro aus, Prime-Kunden rund 300 Euro. Als Versandapotheke könnte Amazon mehr Kunden gewinnen, die noch mehr einkaufen – eine Spirale, die umso schneller zu einem abgeschlossenen System führt, je mehr Branchen eingebunden sind.
ADHOC: Wäre es wirklich realistisch, dass Amazon zuerst in Europa statt in den USA zuschlägt?
KASKE: Punkt 1: Deutschland ist der zweitgrößte Markt für Amazon und hat eine hohe strategische Bedeutung. Punkt 2: Der europäische Markt ist viel reglementierter als der amerikanische. Während man in den USA noch andere Wege prüft, ist in Europa die Übernahme einer Versandapotheke wohl der einzig mögliche Schritt.
ADHOC: Shop-Apotheke schreibt keine Gewinne. Wann würde Amazon schwarze Zahlen sehen wollen?
KASKE: Amazon muss eine Wachstumsstory verkaufen. Der Konzern wird an der Börse nach Umsatz bewertet, nicht nach Gewinn. Im vergangenen Jahr war Amazon einmal kurz minimal in den schwarzen Zahlen – und was passierte: Der Börsenkurs stürzte sofort ab, weil man glaubte, das Wachstum sei zu Ende. Es ist paradox, aber Amazon braucht keine Gewinne. Darauf muss man sich einstellen.
ADHOC: Das heißt?
KASKE: Amazon hat auf absehbare Zeit keinerlei Anlass, von seinen Maximen abzuweichen und die Preise anzuheben oder Abstriche beim Service zuzulassen. In Seattle gibt es zwei Grundregeln: Der Kunde wird nie einen höheren Preis bezahlen. Und der Kunde wird nie bereit sein, länger als bislang auf sein Paket zu warten. Logische Konsequenz war, dass Amazon nach der Übernahme der US-Supermarktkette Whole Foods sofort die Preise um 30 Prozent senkte. Amazon setzt auf Premium-Qualität zu Discount-Preisen.
ADHOC: Wie wichtig wird für Amazon der stationäre Handel?
KASKE: Eine Präsenz vor Ort ist vor allem für Prime Now wichtig. Hier wird Amazon also weiterhin Partner brauchen. Läden sind für Amazon aber vor allem Werbeflächen. Apple hat gezeigt, wie man Geschäfte zu Markentempeln macht. Auch für Amazon sind Geschäfte in erster Linie eine Möglichkeit, sich als Premiummarke zu inszenieren – nur eben viel günstiger als die stationäre Konkurrenz.
ADHOC: Warum Shop-Apotheke?
KASKE: Shop-Apotheke ist die Nummer 1 im OTC-Bereich. Und es gibt einen internationalen Ansatz. Außerdem ist Shop-Apotheke einfacher zu kaufen als DocMorris mit dem Mutterkonzern Zur Rose. Vor allem aber wäre eine Übernahme von DocMorris aus meiner Sicht wegen der anhaltenden öffentlichen Diskussionen womöglich mit Risiken behaftet. Die größte Gefahr für Amazon ist eine politische: In den USA wird es wohl noch lange dauern, bis Amazon als verbraucherfeindliches Monopol angesehen wird. Aber in Europa könnte die Diskussion früher Fahrt gewinnen – bis hin zur Forderung der Zerschlagung.
ADHOC: Wie realistisch wäre eine Reaktion der Gesundheitspolitik?
KASKE: Schwierig. Ich sehe dafür keine Basis. Wenn man unter arzneimittelrechtlichen Gesichtspunkten eingreifen wollte, müsste man den OTC-Versand verbieten. Und das geht ohne die EU nicht. Aus wettbewerbsrechtlicher Sicht gibt es gleich gar keinen Hebel: Der Versandhandel ist weit entfernt von einem Monopol, und Amazon würde sicherlich den stationären Handel mit zum relevanten Markt zählen.