Abmahnungen: Apotheker will Amazon stoppen Lothar Klein, 19.06.2017 15:21 Uhr
Im Mai fiel der Startschuss bei Amazon: Kunden in München können seitdem im Expressdienst „Prime Now“ auch Apothekenprodukte bestellen. Die Ware stellt die Bienen-Apotheke Laimer Platz von Michael Grintz als Partner bereit. Für Hermann Vogel jr., Inhaber der Winthir-Apotheke in der Nymphenburger Straße, war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Schon lange ärgert er sich über Aspirin & Co. bei Amazon.de. Jetzt hagelt es von einer Münchener Rechtsanwaltskanzlei Abmahnungen an alle Apotheker, die bei Amazon Produkte vertreiben. Vogel und die Rechtsanwaltskanzlei Smith, Gambrell und Russell (SGR) sind der Ansicht, dass der Vertrieb über Amazon gegen den Datenschutz verstößt.
Die Kanzlei fordert von den abgemahnten Apotheken, alle apothekenpflichtigen Produkte vom Amazon-Portal zu entfernen und bis Freitag, den 23. Juni, 12 Uhr eine Unterlassungserklärung abzugeben. Sonst droht eine Klage vor Gericht. Abgemahnt wurden nach Angaben der Kanzlei bis jetzt 20 Amazon-Apotheken. Noch einmal so viele sollen in den kommenden Tagen dazu kommen. Dann wäre flächendeckend abgemahnt: Insgesamt 41 Apotheken Webshop bei Amazon haben die Anwälte ausfindig gemacht.
Es sei verboten, Apotheken von Nicht-Apothekern zu betreiben, heißt es zur Begründung. Insbesondere Gesundheitsdaten gehörten zu den besonders schützenswerten Informationen, deren Erhebung deshalb besonders strengen Vorschriften unterliege. Die abgemahnten Versandapotheken seien bei Amazon registriert und böten dort Medikamente an. Darunter befänden sich auch apothekenpflichtige Arzneimittel wie Aspirin, Grippostad und Canesten.
Amazon sei bekanntlich in Luxemburg ansässig. Und in der eigenen Datenschutzerklärung führe Amazon aus, „dass und welche Daten erhoben werden“ und dass Amazon Daten auch weitergebe. Beim Kauf von Arzneimitteln gehörten dazu auch Namen und Adresse des Bestellers und der Name des Medikaments: „Aus dem Namen des Medikaments lassen sich ganz unschwer Rückschlüsse auf die Beschwerden des Bestellers ziehen“, heißt es in der Abmahnung.
Dies widerspreche in zweifacher Weise den datenschutzrechtlichen Bestimmungen: Es komme zu einer Datenerfassung durch ein Unternehmen, das keinen beruflichen Geheimhaltungspflichten unterliege. Es fehle zudem an der notwendigen vorherigen Zustimmung der Patienten zur Datenweitergabe. „Damit handeln Sie als Apotheker, der sich dieses besonderen Vertriebskanals ‚Amazon‘ bedient, rechtswidrig.“ Es liege ein klarer Rechtsverstoß vor. „Informationen über Arzneimittelkäufe und damit über Krankheiten von Patienten sind wohl völlig unstrittig besonders geschützte personenbezogenen Daten.“
Den abgemahnten Amazon-Apotheken wirft die Kanzlei Vorsatz vor: Denn in der eigenen Datenschutzerklärung weise die Versandapotheke darauf hin, dass sie verpflichtet sei, vor einer Datenverarbeitung eine Einverständniserklärung einzuholen. Dies „zeigt deutlich, dass hier durch Sie sogar vorsätzlich gehandelt wird.“ Daher stehe Vogel jr. ein Unterlassungsanspruch zu.
Der Apotheker war schon vorher gegen die Amazon-Apotheken aktiv geworden: Mit vergleichbarer Argumentation hatte er sich Anfang Juni unter anderem an die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, Maja Smoltczyk, und an Thomas Kranig vom Bayerischen Landesamt für Datenschutzaufsicht (BayLDA) gewandt. Die wollen sich kümmern, eine Antwort gibt es aber noch nicht.
Unklar ist noch, wie die abgemahnten Apotheken auf das Schreiben der Kanzlei reagieren. Wie es daher jetzt juristisch weiter geht, ist offen: Geben die Apotheken die geforderte Unterlassungserklärung ab, wäre die Angelegenheit erledigt. Da damit aber nicht zu rechnen ist, läuft es auf einen Musterprozess hinaus.
Im Mai hatte die erste Amazon „Prime Now“-Apotheke für Aufsehen gesorgt. Amazon-Kunden aus München, die Prime-Mitglied sind, erhalten die bestellte Ware innerhalb einer Stunde geliefert. Alternativ wird die Ware zu einem späteren Zeitpunkt in einem wählbaren 2-Stunden-Fenster zugestellt. Zum Start waren neben den Bienen-Apotheken auch die Lebensmittelhändler Basic und Kochhaus dabei; diese sind seit einigen Wochen auch in Berlin als Partner an Bord. Michael Grintz, Inhaber der Bienen-Apotheke, wurde von Vogel jr. ebenfalls abgemahnt.
Grintz ermöglicht dem Internetriesen den Einstieg in den Arzneimittelmarkt. Geliefert werden OTC-Medikamente und apothekenexklusive Waren wie Kosmetik. Die Bestellung kommt über eine App in die Apotheke. Ein Mitarbeiter stellt die Ware zusammen. Wenn apothekenpflichtige Ware enthalten ist, gibt ein Apotheker die Sendung frei. Die Päckchen werden in eine Prime-Tüte verpackt und bereits 15 Minuten später von einem Fahrer des Versandriesen abgeholt. Dieser bringt die bestellten OTC-Arzneimittel oder Freiwahlprodukte dann zum Kunden.
Um eine Bestellung auszulösen, gibt der Kunde einfach auf der Website Primenow.de oder in der kostenlosen App seine Postleitzahl ein und bekommt anschließend das Sortiment sowie die in seinem Liefergebiet verfügbaren Shops lokaler Partner angezeigt. Der Kunde wählt zwischen einer Lieferung innerhalb einer Stunde für 6,99 Euro oder der kostenlosen Lieferung innerhalb eines frei wählbaren 2-Stunden-Zeitfensters von Montag bis einschließlich Samstag. Die verfügbaren Lieferzeiten variieren je nach Händler, die Bienen-Apotheke sind von 8 bis 22 Uhr verfügbar. Der Mindestbestellwert beträgt 20 Euro pro Bestellung.
„Das Sortiment und die Beratung der Bienen-Apotheke stellen eine sinnvolle Erweiterung des bestehenden Sortiments dar. Der Kunde kann sich jetzt sein Heuschnupfenmittel vor einem wichtigen Meeting ins Büro liefern lassen – oder den Erkältungssaft, wenn er zu Hause das Bett hüten muss“, so Kai Rühl, der Prime Now in Deutschland leitet. Kunden nutzten Prime Now, um Artikel des täglichen Bedarfs schnell und einfach geliefert zu bekommen. „Das ist insbesondere dann praktisch, wenn man selbst gerade nicht einkaufen gehen kann.“
In den USA sorgte Amazon derweil für neue Schlagzeilen: Für 13,7 Milliarden US-Dollar kaufte der Gigant die Bio-Supermarktkette Whole Foods Market mit 461 Filialen. 97 Prozent ihres Umsatzes macht die Kette in den USA, wo sich 440 ihrer Märkte befinden. Weitere 12 sind in Kanada und 9 in Großbritannien. In das Geschäft mit Lebensmitteln war der Konzern mit seiner Marke Amazon Fresh auch hierzulande eingestiegen. Außerdem wurden in den USA mehrere Buchläden eröffnet, Pläne gibt es für kleine High-Tech-Supermärkte, die von wenigen Mitarbeitern betrieben werden können. Außerdem sucht der Konzern bereits nach einem Chefapotheker, der das Arzneimittelgeschäft erschließen soll.