Droht Sanicare die Zerschlagung? Alexander Müller, 03.11.2016 09:45 Uhr
Die Verhandlung einer „Familiensache“ vor dem Amtsgericht Neunkirchen klingt nicht danach, als ginge es um die Zukunft einer der größten deutschen Versandapotheken. Doch der Streit um Sanicare wird von den heutigen Betreibern durchaus als existenzbedrohend angesehen, wie aus Gerichtsakten hervorgeht.
Nach dem Tod des Sanicare-Gründers Johannes Mönter im Jahr 2012 war die Versandapotheke in die Insolvenz gerutscht, die Gruppe wurde zerschlagen. Apotheker Dr. Volkmar Schein erwarb Sanicare aus Nachlassinsolvenzverfahren zu einem Preis von 5,1 Millionen Euro. Das war im Jahr 2013. Am 30. Juni 2014 wurde Sanicare dann in eine offene Handelsgesellschaft umgewandelt – Schein übertrug 50 Prozent der Anteile an Apotheker Christoph Bertram.
Schon um die Gründung der OHG ranken sich Gerüchte. So soll Schein Betram die Hälfte von Sanicare ohne Gegenleistung überlassen haben. Gleichzeitig soll ein Einstieg Bertrams als dringend notwendig erachtet worden sein. Denn dem Vernehmen nach wurde Schein von einem mutmaßlichen Abrechnungsbetrug in seiner früheren Tätigkeit als saarländischer Apotheker eingeholt. Ein Approbationsentzug als Folge hätte Sanicare von einem Tag auf den anderen lahm gelegt. Mit der Gründung der OHG konnte dieses Risiko abgefedert werden.
Doch anderthalb Jahre nach der OHG-Gründung verschoben sich die Verhältnisse erneut: Schein übertrug am 4. November 2015 einen weiteren OHG-Anteil von 45 Prozent an Bertram – wiederum unentgeltlich. Zu den Hintergründen ist nichts bekannt. Die beiden Apotheker waren früher befreundet und zusammen beim Verbund PharmNet aktiv, Schein war dort Aufsichtsratsvorsitzender. Im Juli 2016 verstarb Schein durch Suizid.
Bei Sanicare hatte sich Schein schon im Herbst 2015 aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Die Versandapotheke informierte selbst über einen Wechsel in der Führungsspitze. Die Mitteilung rief prompt die Apothekerkammer Niedersachsen auf den Plan, die sich nach Scheins Verbleiben erkundigte. Denn trotz Präsenzpflicht bei Sanicare in Bad Laer war er in seine saarländische Heimat nach Losheim am See zurückgekehrt.
Anfang des Jahres schaltete sich dann Scheins Ehefrau Ingrid Schein ein. Sie will die geschlossenen Verträge für ungültig erklären lassen. Ihre Rechtsanwältin Roya Comtesse beruft sich auf das Eherecht. Ihr Mann habe ohne Einwilligung über das Vermögen im Ganzen verfügt. Über diese Frage wird jetzt vor dem Amtsgericht gestritten. Nach dem Suizid ihres Ehemanns behauptete Schein zudem, dieser habe sich schon im Juni 2014 in einem Zustand der Geschäftsunfähigkeit befunden wegen einer psychischen Störung.
Im Eilverfahren waren Schein und Comtesse noch gescheitert. Im Hauptsacheverfahren soll nun der Wert der Versandapotheke eruiert werden. Comtesse konnte einen Teilerfolg verbuchen: Die Klageänderung bezüglich der Geschäftsunfähigkeit erachtet das Amtsgericht für zulässig. Zwar sei der Sachverhalt neu, die Ansprüche blieben aber dieselben. Auf diese Weise lasse sich ein neuer Prozess vermeiden.
Bertram wusste nach eigenem Bekunden nicht, dass es sich seinerzeit um eine Verfügung über das Vermögen als Ganzes handelte. Außerdem müssten die beiden Übertragungen getrennt voneinander behandelt werden. Das sieht wohl auch das Gericht so. Er sei zudem davon ausgegangen, dass sich der Unternehmenswert im November 2015 auf Null Euro belaufen habe, gab Bertram zu Protokoll. Ein unentgeltlicher Übertrag der Anteile wäre nach dieser Lesart Vereinbarungssache gewesen.
Mehr noch: Bertram zufolge ging es bei Sanicare überhaupt nur weiter, weil er selbst Mittel beschafft hatte. Er besorgte demnach ein Darlehen in Höhe von 2,5 Millionen Euro bei der Sparkasse Neunkirchen. Für die Fortsetzung der Finanzierung soll er sein gesamtes Vermögen eingebracht und verpfändet haben. Vor Gericht behauptete er, dass Schein aus dem Verkauf seiner Hirsch-Apotheke über eine Million Euro verfügte und Aktien an PharmNet im Wert von 100.000 Euro hatte.
Scheins Witwe dagegen zweifelt schon den Wert an, der für die Versandapotheke veranschlagt wurde. Dieser habe nach der Übernahme tatsächlich zwischen 20 und 25 Millionen Euro gelegen. Was auch immer Volkmar Schein zu den Vermögensübersichten erklärt habe, sei nicht geeignet, den objektiven Wert des Vermögens als Ganzes zu bestimmen.
Aus Sicht von Sanicare ist das Ziel der Unterlassungsanträge Scheins „eine Zerschlagung der BS-Apotheken oHG“. Das kam in einem Parallelverfahren zur Sprache, in dem über die Höhe des Streitwerts verhandelt wurde. Das Saarländische Oberlandesgericht (OLG) wies eine Beschwerde Bertrams bezüglich der Wertfestsetzung des Familiengerichts zurück.
Das OLG konnte keine Anhaltspunkte für die Befürchtung der Versandapotheke sehen. Weil die zur Festsetzung notwendigen Zahlen nicht „ansatzweise zuverlässig veranschlagt“ werden konnten, habe das Familiengericht den Streitwert im Rahmen seiner Möglichkeiten korrekt festgelegt.
Der Streitwert ist aber ohnehin nur ein neben Nebenkriegsschauplatz. Entscheidend ist die Frage, ob Scheins Witwe die Verträge rückabwickeln kann, im zweiten Schritt dann die „Wert-Frage“. Bei Sanicare ist man aber zuversichtlich, dass die Klage keinen Erfolg haben wird.