Sanicare-Streit: Versuchter Prozessbetrug? Patrick Hollstein, 18.07.2017 10:07 Uhr
Im Streit um Sanicare wird die Gangart härter: Vor dem Landgericht Frankenthal (LG) verklagte die Witwe von Dr. Volkmar Schein eine Firma des kaufmännischen Leiters der Versandapotheke, Detlef Dusel, auf Rückzahlung einer Schuldverschreibung. Der behauptete, das Geld nie erhalten zu haben. Bis ihm der gegnerische Anwalt vor Gericht einen Kontoauszug unter die Nase hielt.
Schein hatte Sanicare im März 2013 übernommen. Im Juni 2014 wurde der Betrieb in eine OHG umgewandelt, der Apotheker übertrug 50 Prozent der Anteile an seinen Kollegen Christoph Bertram. Im November 2015 wechselten weitere 45 Prozent den Besitzer, wiederum unentgeltlich. Noch vor dem Suizid ihres Mannes im Juli 2016 schaltete sich Ingrid Schein ein: Ohne ihre Zustimmung hätte nicht über das gemeinsame Vermögen verfügt werden dürfen; die unentgeltlichen Übertragungen der Anteile seien damit unwirksam. Die Sache liegt vor dem Familiengericht.
Parallel streitet die Witwe mit Dusel und Bertram über Geld. Nicht nur, dass ihr Mann um Vermögenswerte gebracht wurde – mittlerweile sieht sie sich mit hohen Forderungen der Gegenseite konfrontiert. Bertram, die OHG sowie verschiedene Firmen, hinter denen direkt oder indirekt Dusel steht, wollen Millionenbeträge. Umgekehrt fordert sie Geld zurück, das ihr Mann – wie andere Apotheker auch – in Gestalt nachrangiger Schuldverschreibungen in Dusels Firmen gesteckt hatte.
Insgesamt sollen die Eheleute Schein 1,7 Millionen Euro investiert haben. Die Anwälte der Witwe finden die Verträge sittenwidrig, da es weder einen Anspruch auf eine regelmäßige Verzinsung, noch auf eine Gewinnausschüttung gibt. Vor allem aber ist für den Inhaber der Schuldverschreibung weder eine ordentliche noch außerordentliche Kündigung vorgesehen. Vielmehr ist das Vertrags- und Schuldverhältnis unbefristet und nur einseitig von der Firma auflösbar.
Im Juli vergangenen Jahres forderte die Witwe Dusel zur Rückzahlung auf; nachdem keine Reaktion kam, klagte sie. Exemplarisch wurde zunächst um eine Schuldverschreibung einer Firma mit dem Namen Zweite Thesaurus gestritten, die im November 2006 von ihr selbst gezeichnet worden war. Der Betrag von 25.000 Euro sollte zur Stärkung der Eigenkapitalbasis dienen und insbesondere zum Erwerb und zur Bewirtschaftung eines schlichten Parkhauses im Osten von Leipzig genutzt werden.
Im Prozess bestritt Dusel, das Geld jemals erhalten zu haben. Scheins Anwalt Hermann Comtesse legte Kontoauszüge vor, doch der Richter ließ sich davon nicht überzeugen: Dies belege nur den Abgang von Geld, nicht aber den tatsächlichen Eingang auf dem gegnerischen Konto. Es sah schlecht aus für die Witwe, die beweis- und darlegungspflichtig war. Schon zuvor waren andere Gläubiger in ähnlichen Situationen an dieser Hürde gescheitert.
Dusel schien sich sicher, den Prozess zu gewinnen. In der mündlichen Verhandlung gab er noch einmal zu Protokoll, das Geld nicht erhalten zu haben. Was er nicht wissen konnte: Comtesse hatte noch ein Ass im Ärmel. Bei einer Betriebsprüfung in Scheins Apotheke hatte das Finanzamt vor einigen Jahren offenbar dieselben Zweifel gehabt und ebenfalls den Eingang des Geldes auf dem Thesaurus-Konto sehen wollen. Als der Richter beim zweiten Termin Ende Juni die Sammelüberweisung, aus der sich die Überweisung ergab, in seinen Händen hielt, kippte der Prozess. Es habe offenbar den Anschein, dass das Geld doch eingegangen sei, erklärte Dusel kleinlaut.
Nun platzte dem Richter der Kragen. Ob der Vertrag wegen Sittenwidrigkeit nichtig sei, müsse gar nicht entschieden werden, da die fristlose Kündigung jedenfalls rechtens sei, heißt es im Urteil. Grundsätzlich gelte: Ein Kündigungsrecht könne nicht einfach kategorisch ausgeschlossen werden, denn die Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund sei ein im Kern zwingendes Recht.
Ein wichtiger Grund habe im konkreten Fall schon deswegen bestanden, weil Dusel „ernsthaft und endgültig“ den Erhalt des Geldes bestritten habe. Der Vertrag zwischen ihm und Schein habe aber letzten Endes treuhänderischen Charakter, weil sie ihm Geld überlassen und dabei – aufgrund der vorgegeben Vertragsgestaltung – „letztendlich nahezu jegliche Möglichkeit der Kontrolle“ abgegeben habe.
Die sich daraus ergebende „Forderung nach Loyalität und Wahrhaftigkeit“ habe Dusel „in grobem Maße verletzt“, indem er – selbst auf Nachfrage des Richters noch – den Erhalt des Geldes bestritten und damit die Beweisnot der Gegenseite ausgenutzt habe. Insbesondere nach der ersten Verhandlung, als klar war, dass Schein ohne entsprechenden Nachweis nicht weiterkommen würde, habe Dusel so bewusst eine Niederlage der Gegenseite in Kauf genommen beziehungsweise erstrebt.
Dieses illoyale Verhalten berechtigte laut Urteil zur fristlosen Kündigung, auch wenn sich Dusel – „möglicherweise zur Vermeidung strafrechtlicher Konsequenzen“ – im Nachhinein eines Besseren besonnen habe. Dass er zunächst aber nicht etwa auf seine eigene Unwissenheit abgestellt habe, sondern den Erhalt des Geldes ausdrücklich bestritten und damit den Prozessverlust Scheins bewusst provoziert habe, läuft laut Urteil auf einen versuchten Prozessbetrug hinaus.
Comtesse will nun abwarten, ob der Richter den Fall an die Staatsanwaltschaft gibt. Sonst will er selbst Strafanzeige gegen Dusel stellen. Parallel sollen die weitere Forderungen geltend gemacht werden, die aufgrund des treuwidrigen Verhalten zumindest in Frankenthal durchkommen könnten. Heute findet bereits der nächste Termin vor Gericht statt. An verschiedenen Stellen im Sanicare-Reich beginnt die Glut zu schwelen.
Laut Comtesse ist es nicht das erste Mal, das Dusel getrickst hat. Im vergangenen Jahr hatte eine weitere Firma von ihm einen Vollstreckungsbescheid erwirkt – den ursprünglichen Titel habe Schein aber gar nicht gekannt, da er nicht an die Privat-, sondern an die Geschäftsadresse in Bad Laer zugestellt worden sei. In seiner Funktion als kaufmännischer Leiter wäre Dusel verpflichtet gewesen, das Schreiben weiterzuleiten. Insofern sei sein Verhalten nicht nur rechtsmissbräuchlich, sondern auch ein Verstoß gegen seine Pflichten gegenüber seinem damaligen Arbeitgeber. Anders als die Vorinstanz entschied das Oberlandesgericht Oldenburg Anfang des Jahres zugunsten von Scheins Witwe. Damit blieben ihr Vollstreckungsmaßnahmen vorerst erspart – ein erster wichtiger Teilerfolg.