Der Apotheker in seiner Apotheke, der Versandapotheker in seiner Versandapotheke? Nicht unbedingt. Weil sich das Geschäftsmodell skalieren lässt, haben sich Unternehmer, Glücksritter und Investoren bei den führenden Versendern in Stellung gebracht. Die führenden Versandapotheken sind – mehr oder weniger offensichtlich – eingebettet in ein Netzwerk an Kapitalgesellschaften.
Der Klassiker waren lange die Niederlande. Schon Ralf Däinhaus zog es bei der Gründung von DocMorris über die Grenze, weil er hier kein Apotheker sein musste, um Arzneimittel verkaufen zu können. Europa Apotheek und Shop-Apotheke folgten, genauso wie Schlecker mit Vitalsana. Über das Büro in der Konzernzentrale in Ehingen und das Callcenter in Kornwestheim musste der Bundesgerichtshof nach der Pleite der Drogeriekette nicht mehr entscheiden.
Als weitere Spielart kam Tschechien dazu: Hier gründete ein Leipziger Marketingprofessor mit Unterstützung der Sparkasse den OTC-Discounter VfG, der heute zu Zur Rose gehört. Auch Volksversand – ein Ableger des Elektronikgroßhändlers Herlinghaus & Weil in Hagen – ist kurz hinter der Grenze bei Zittau in Liberec zu Hause. Nur auf die Idee, von Island oder Schweden aus zu versenden, ist noch niemand gekommen. Auch diese beiden Staaten stehen auf der Länderliste des Bundesgesundheitsministeriums (BMG), mit der die Belieferung von deutschen Kunden aus dem Ausland geregelt wird.
Einen geografischen Umweg braucht es aber eigentlich gar nicht: Gewinne lassen sich über den zwischengeschalteten Großhandel und über Dienstleistungsverträge abschöpfen. Eigentumsrechte sichern sich clevere Unternehmer über Marke und Domain. Die Apotheke hinter der Versandapotheke wird damit austauschbar.
Besamex. Eigentlich müsste Besamex mittlerweile Bedümex heißen. Denn Anfang 2015 hatte sich Jens-Wilhelm Salchow in den Ruhestand verabschiedet und seine Apotheke mitsamt dem Versandgeschäft an Dirk Düvel verkauft. Das Be im Namen steht für Berning und ist der interessante Teil der Geschichte.
Hans-Jürgen Berning hatte ab Mitte der 1980er Jahre die Firma Intermed aufgebaut, einen Lieferanten für Klinik-, Praxis- und Sprechstundenbedarf. Später verkaufte er das Unternehmen gewinnbringend. Im Jahr 2000 gründete er in Winsen an der Luhe den Diabetes-Versand Medico-Lab. Mittlerweile wurde mit der Sparte Medico-Lab professional auch der B2B-Bereich wieder verstärkt ins Visier genommen.
Als 2004 der Versandhandel von Arzneimitteln zugelassen wurde, tat sich Berning mit Salchow zusammen, der 200 Meter entfernt von Medico-Lab die Löwen-Apotheke betrieb. Zunächst ging der Webshop unter dem Namen Pharma-Versand-Apotheke an den Start, 2009 folgte die Umbenennung in Besamex (Berning-Salchow-Medikamenten-Express).
Das Lager der Versandapotheke mit einer Fläche von rund 2500 Quadratmetern befindet sich nicht in den Räumen der Apotheke, sondern auf dem Betriebsgelände von Medico-Lab. Dem Unternehmen gehören auch die Markenrechte und die Domain – für Besamex genauso wie für den Ableger Paul Pille.
Berning machte nie ein Geheimnis daraus, dass er der Kopf hinter Besamex ist. Im Impressum wird er sogar als Verantwortlicher nach Rundfunkstaatsvertrag (RVStV) genannt. Sein Sohn Torben ist Geschäftsführer der Schwesterfirma Medico Marketing, die seit Ende vergangenen Jahres unter den Namen Besamex Service firmiert. Er sagt, dass die Konstruktion rechtlich geprüft sei: „Alle großen Versender haben ein Interesse daran, etwas auf die Beine zu stellen, das länger hält.“
Zur Rose. Auch wenn sich das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) am Ende nicht dafür interessierte: Die Ohrfeige, die das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt (OVG) der Versandapotheke Zur Rose im Herbst 2010 verpasste, war schallend: Nahezu sämtliche Tätigkeiten und Leistungen habe Apotheker Ulrich Nachtsheim aus der Hand gegeben, stellten die Richter fest und kassierten die vorübergehend Versanderlaubnis. Um nicht noch einmal in eine solche Situation zu geraten, überarbeitete die gleichnamige Kapitalgesellschaft später ihren Kooperationsvertrag. Seit 2012 hat Nachtsheim ein Vetorecht bei seinem „Komplettdienstleister“.
In Halle/Saale eröffnete eine Tochterfirma der Ärzte-AG – mit Unterstützung von Stadt und Land – im Jahr 2004 ein Logistikzentrum, das formal nur als Dienstleister für die gleichnamige Filialapotheke von Nachtsheim tätig ist. Die GmbH erbrachte laut Firmenunterlagen aus dem Jahr 2010 für die Apotheke eine ganze Reihe von Dienstleistungen: „Bereitstellung/Vorhaltung von Arzneimitteln, Leistungen im Rahmen der Verpackung und des Versands der Arzneimittel, Abrechnung der versandten Arzneimittel gegenüber Krankenkassen und Kunden sowie Betreiben eines Call-Centers“. Außerdem war die GmbH für Marke, Marketing und Vertrieb zuständig.
Das OVG kam zu dem Schluss, dass nicht davon auszugehen sei, dass Nachtsheim die Versandapotheke „in rechtlichen und wirtschaftlichen, nicht einmal in allen pharmazeutischen Fragen, selbstständig und eigenverantwortlich leitet”. Weil der Apotheker das Konzept nicht ohne Zustimmung des Kooperationspartners weiterführen dürfe, sei die GmbH mehr als ein untergeordneter Dienstleister, so die Richter damals.
Auch die Tatsache, dass die vertraglich vereinbarte Vergütung von der Rezept- und Packungszahl abhänge, sahen die Richter als Indiz dafür, dass die Versandapotheke in Wahrheit von den Schweizern betrieben wird. 2,4 Millionen Euro zahlte Nachtsheim 2009 für die Kooperationsleistungen, das waren fast 10 Prozent des Umsatzes, plus 100.000 Euro für die Miete. Die Richter kassierten die Versanderlaubnis.
Das BVerwG interessierte sich aber für diese Fragen nicht – denn der Apotheker, der gegen die Konstruktion vorgegangen war, war aus Sicht der Richter ohne den konkreten Nachweis eigener Umsatzeinbußen schlichtweg nicht klagebefugt. Arzneimittel- und Apothekengesetz dienten nicht dem Schutz der individuellen Interessen von Wettbewerbern, bügelten die Richter in Leipzig den Fall ab.
EU-Berlinda-Versandapotheke. Seit Dr. Bettina Kira Habicht die Führung übernommen hat, geht es in Cottbus deutlich ruhiger zu. Zwar wird nach wie vor mit Tiefstpreisen geworben, aber nicht mehr mit Rabatten auf Rezept für Clubmitglieder. Die früheren Verantwortlichen hatten es wesentlich forscher angehen lassen.
Die früheren Verantwortlichen, das waren Apotheker Kurt Rieder, seine Filialleiterin Kerstin Thierfelder und ihr Spiritus Rector Dr. Karl-Heinz Blüher. Letzterer war 25 Jahre lang Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Apotheker (BVDA), als er um die Jahrtausendwende im Streit ging, nahm er nicht nur seinen Hut, sondern auch seine Kontakte mit. Einer von ihnen war Rieder, der Apotheker war in den 1990er Jahren aus dem Fränkischen nach Cottbus gekommen – und wollte anfangs partout nicht in den Versandhandel einsteigen.
Doch Blüher überzeugte ihn. Der ehemalige Verbandschef ahnte, dass der Versandhandel für die Politik ein Baustein war, um Großkonzernen langfristig den Markt zu servieren. Außerdem brachte er Erfahrungen mit, die er beim Aufbau eines Hilfsmittelversenders beim BVDA gesammelt hatte.
Gemeinsam zogen die beiden das Modell der Clubmitgliedschaft auf: Blühers Verein Vivavita bot seinen Mitgliedern gratis den Erlass der Zuzahlung – bei einer unbegrenzten Anzahl von Rezepten. Dazu mussten die Kunden ihre Rezepte nur zur Partnerapotheke schicken. Bei der wiederum war Blüher – als Miteigentümer der Marke – mittelbar ebenfalls an Bord. Alle profitierten, bis ihnen das Modell gerichtlich untersagt wurde.
Die EU-Versandapotheke wuchs trotzdem, bis auf 70 Millionen Euro Umsatz in der Spitze. Die zweite Besonderheit war, dass Rieder und Blüher ohne eigene Logistik auskamen: Die Päckchen wurden in der Phoenix-Niederlassung vorkonfektioniert; Mitarbeitern der Apotheke wurde zur Kontrolle der Zutritt gestattet. Rechtlich war das für alle Beteiligten ein Ritt auf der Rasierklinge, der bis zum Schluss gut ging. Angeblich soll die Behörde zuletzt sogar noch grünes Licht gegeben haben.
Doch auch dieses Modell gibt es nicht mehr: Als Rieder krank wurde, übergab er die Apotheke an Habicht, die bis dahin im thüringischen Suhl selbstständig war. Obwohl sie Rieder und Blüher seit Jahren kannte, warf sie deren Konzept über Bord und eröffnete am Telering eine neue Zentrale. Seitdem liegen alle Beteiligten über Kreuz. Rieder kann es egal sein: Die Rechte an der EU-Versandapotheke gehören seiner Familie noch heute; Habicht muss für die Nutzung der Marke Pacht zahlen. Wen interessiert da, wer wann und wo die Päckchen packt.
Sanicare. Im März 2013 übernahm der saarländische Apotheker Dr. Volkmar Schein die niedersächsische Versandapotheke Sanicare. Ein Jahr später nahm er überraschend Christoph Bertram an Bord. An der eigens gegründeten OHG hielt Scheins Kollege die Hälfte der Anteile, im November 2015 wechselten weitere 45 Prozent den Besitzer, wiederum unentgeltlich. Noch vor Scheins Suizid im Juli 2016 schaltete sich seine Frau ein: Ohne ihre Zustimmung hätte ihr Mann nicht über das gemeinsame Vermögen verfügen dürfen; die unentgeltlichen Übertragungen der Anteile seien damit unwirksam, argumentiert Ingrid Schein.
Seitdem wird erbittert gestritten. Bertram, die OHG sowie verschiedene Firmen aus dem Umfeld von Sanicare fordern Geld. Diese Unternehmen gehören direkt oder indirekt Detlef Dusel, der als kaufmännischer Leiter von Anfang an dabei war, und verfügen über Genussrechtskapital, das offenbar zur Finanzierung von Sanicare genutzt wurde.
Dass Dusel mehr als nur ein Angestellter ist, zeigt sich daran, dass Markenrechte und Domain seit vergangenem Jahr nicht mehr der OHG gehören. Die Verfügungsgewalt über diese wesentlichen Vermögenswerte haben weitere Firmen des kaufmännischen Leiters.
Aponeo. Im Sommer 2015 verkündete der britische Investor Marcol den Einstieg bei der deutschen Versandapotheke Aponeo. Wie bitte? Das Ganze geht so: Apothekeninhaber Konstantin Primbas und Marcol gründeten die Firma Pharmahera, die – nach dem Vorbild von Apotheke Zur Rose und Zur Rose Pharma – als Dienstleister aktiv ist.
Die anonymisierten Aufträge werden weitergeleitet, von Pharmahera fertiggestellt und an Aponeo zurückgeschickt. Dort werden die Bestellungen verpackt und mit der Adresse des Empfängers versehen. Die Zusammenarbeit sei „juristisch einwandfrei“, so Primbas.
Der Apotheker hatte sich zuvor lange um einen Kredit bemüht. Doch die Banken zahlten nicht. „Ich hätte es gerne alleine geschafft.“ Heute ist er mit der Partnerschaft rundum zufrieden: Marcol habe nicht nur das nötige Kapital mitgebracht, um mehr Artikel auf Lager zu nehmen, sondern auch qualifiziertes Personal. Er habe heute nicht nur einen CEO, sondern auch Stellen geschaffen, von denen er zuvor nicht einmal geträumt habe.
Medpex. „Angefangen hat alles im Hinterzimmer der Stifts-Apotheke in Ludwigshafen“, schreibt Medpex über sich. Mag sein. Seniorchef Franz Bichler hatte aber bereits bei der Gründung im Jahr professionelle Partner dabei: Seit dem Launch betreut die Firma Comventure die Versandapotheke in den Bereichen Software-Entwicklung und IT-Infrastruktur.
Das Unternehmen wurde 2003 gegründet, hinter der Firma stehen Tobias Kindlieb, Frank Müller und Ulrich Spindler. Kindlieb ist Wirtschaftsinformatiker, Müller ist bei Medpex für den Bereich Marketing zuständig. Spindler leitet seit 2007 die gesamte Logistik der Versandapotheke. Fast 300 Mitarbeiter kümmern sich um die monatlich rund 250.000 Bestellungen, verwalten mehr als 100.000 Artikel auf über 4000 Quadratmetern Lagerfläche.
Comventure ist unter derselben Adresse wie Medpex zu erreichen, offizieller Firmensitz ist aber in Forst an der Weinstraße, wo Spindlers Familie ein Weingut besitzt. 180 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen mittlerweile. Für einen Dienstleister auch hier ungewöhnlich: Die Website von Medpex gehört nicht der Versandapotheke, sondern Comventure. Auch die Rechte für Medpex, die Eigenmarke Harumé und die Wohlfühlbox teilt sich Apothekerin Christiane Bülow-Bichler mit ihren drei Partnern.
Aktuell bereitet Comventure den Start in den Niederlanden vor. Zum Aufbau und zur Etablierung einer neuen Versandapotheke wird ein Chefapotheker gesucht. „Nachdem wir in Deutschland bereits über eine starke Marktposition verfügen, möchten wir im Zuge einer Internationalisierung künftig auch den rasant wachsenden europäischen Markt für Arzneimittelversand (vom Standort Niederlande aus) bedienen“, heißt es in der Stellenanzeige weiter.
Apo-Discounter. Mit Standorten in Kaufland-Märkten hatte Helmut Fritsch in den 1990er Jahren den Markt erobert. Sein Schwiegervater hatte einen direkten Draht in den Konzernvorstand – so erhielt die Familie den ersten Zugriff auf die attraktiven Flächen in den SB-Märkten, die sie mit mal mehr, mal weniger selbstständigen Apothekern besetzte. Fritsch selbst übernahm eine Apotheke im Kaufpark Eiche bei Berlin, seine Frau Kirsten die Apotheken im Paunsdorfcenter in Leipzig.
Als der Versandhandel zugelassen wurde, kam Apo-Discounter dazu. Die Versandapotheke wuchs rasant, sodass wenige Jahre nach dem Start in Markkleeberg am anderen Ende von Leipzig ein riesiges Logistikzentrum eröffnet wurde. Das notwendige Kapital stellte Disko zur Verfügung. Die Leasingsparte von GE Capital war Finanzierungspartner der ersten Stunde.
Als Apo-Discounter 2010 zur offiziellen Lidl-Partnerapotheke wurde, nährte dies Gerüchte, dass die Schwarz-Gruppe auch bei der Versandapotheke an Bord sein könnte. Kurz darauf ging auch noch Dr. Fritz Oesterle zum Lebensmittelkonzern; der ehemalige Celesio-Chef hatte in den 1990er Jahren als Anwalt die Familie Fritsch in mehreren berufsrechtlichen Verfahren vertreten.
Doch eine Verbindung nach Neckarsulm konnte nie nachgewiesen werden. Stattdessen stieg 2014 Dr. Gerhard Köhler bei Apo-Discounter ein, ehemaliger Banker und Großaktionär beim Fotoanbieter Orwo. Fritsch hatte mehrere Firmen um die Versandapotheke herum gegründet, vom Großhandel über einen Marketingdienstleister bis hin zur Domainverwaltung. Die zentrale Holding sitzt in der Schweiz.
Gerüchten aus der Branche zufolge hatte der Medienkonzern Ströer zuletzt eine Übernahme von Apo-Discounter geprüft, nach dem Blick in die Bücher aber abgewinkt. Stattdessen übernahm Fritschs Firma im Frühjahr Internetseite und Kundenstamm von Medipolis.
Apodiscounter ist außerdem unter Apotheke.de zu erreichen. Die Domain gehört dem Internetunternehmer Dr. Florian Korff, einem Mediziner aus Ottobrunn, der sich in den 1990er-Jahren zahlreiche prominente Internetadressen gesichert hatte. Einige Domains wie medizin.de betreibt Korff heute in Eigenregie, für andere wie foto.de oder immo.de hat er Kooperationsverträge mit großen Onlineshops abgeschlossen.
APOTHEKE ADHOC Debatte