Wem gehört Sanicare? Der Streit zwischen der Witwe des früheren Inhabers Dr. Volkmar Schein und dem kaufmännischen Leiter Detlef Dusel berührt womöglich nicht nur Gesellschafts-, sondern auch Apothekenrecht. Die Apothekerkammer Niedersachsen soll sich jetzt erklären, inwiefern sie die Abtretung von Marken- und Domainrechten für einen Verstoß gegen das Fremdbesitzverbot hält. Eine heikle Angelegenheit für die mit Aufsichtsrechten ausgestattete Berufsorganisation, zumal es deutschlandweit ähnliche Konstruktionen gibt.
Am 1. Oktober 2013 übertrug Schein die Markenrechte für Sanicare, Aliva und Medicaria an die Firma Mercator, die Dusel gehörte und deren Geschäftsführer schon damals Christoph Bertram war, der heutige Haupteigentümer von Sanicare. Schein dachte sich vermutlich nicht allzu viel dabei, schien doch alles irgendwie gemeinsame Sache zu sein – unabhängig davon, welcher Name auf dem Briefkopf und im Handelsregister stand.
In Wirklichkeit hatte Schein damit die wichtigsten Vermögenswerte aus der Hand gegeben. Denn Versandapotheken wie Sanicare leben von der Marke, unter der sie auftreten, und der Domain, unter der sie erreichbar sind. Gewinne lassen sich über Dienstleistungsverträge abschöpfen. Die Apotheke dahinter ist letztlich austauschbar.
Diese Konstruktion, so argumentieren die Anwälte von Scheins Witwe in einem Schreiben an die Apothekerkammer, lässt sich nicht mit den Grundzügen des Apothekenrechts in Einklang bringen. Apotheker dürften laut Apothekengesetz und Berufsordnung keine Bindungen eingehen, die ihre berufliche Unabhängigkeit gefährdeten. Insbesondere seien stille Gesellschafter und Umsatz- oder Gewinnbeteiligungen unzulässig.
Genau diese gebe es aber bei Sanicare: Für die Nutzung der Marken muss die Apotheke monatlich 15.000 Euro sowie 15 Cent pro Lieferposition zahlen – rund 100.000 Euro pro Monat beziehungsweise 1,2 Millionen Euro seien so pro Jahr zusammen gekommen. Aufgrund der Bedeutung der Marke für das Geschäft sei das Verhältnis von Sanicare und Mercator auch nicht von Gleichrangigkeit geprägt, sondern von einem Unterordnungsverhältnis. Dies gelte umso mehr, als Dusel gleichzeitig Lizenzgeber und kaufmännischer Leiter sei. Er leite die Apotheke damit insgeheim, so der Vorwurf der Juristen von der Kanzlei Comtesse & Comtesse. Sanicare sei nicht eigen-, sondern fremdbestimmt.
Dazu komme, dass die Nutzungsrechte nur bis 2017 vereinbart wurden, danach könne Mercator eigenmächtig bestimmen, ob die Apotheke ihr Geschäft weiter unter bisherigem Namen und bisheriger Domain abwickeln dürfe – ob die Apotheke ihrem Versorgungsauftrag also weiter im bisherigen Umfang nachkommen dürfe oder nicht. Somit sei die OHG von einem Dritten abhängig: Wenn sie sich nicht wohlgefällig verhalte, könne ihr die weitere Nutzung untersagt werden.
Die Anwälte weisen auch darauf hin, dass die Markenrechte bereits an eine andere Firma Dusels namens Top-Brands-Services übertragen und damit der Sphäre der Apotheke weiter entzogen wurden. Der wesentliche Wert einer Versandapotheke werde durch Domain- und Markenrechte konstituiert. Der Verkauf und Weiterverkauf diene so nur dem Gewinnstreben anderer Firmen, da diese faktisch am Apothekengeschäft beteiligt würden. Die Apotheke werde letzlich zu einer Handelsware, da derjenige, der über Marken und Domain verfüge, ihr ein bestimmtes Verhalten diktieren könne. „Es handelt sich somit um ein verschleiertes Beherrschungsverhältnis einer GmbH gegenüber der Apotheke.“
Bereits im vergangenen Jahr hatten die Anwälte die Kammer zweimal angeschrieben und darum gebeten, die Zustände bei Sanicare auf ihre Vereinbarkeit mit den berufsrechtlichen Grundsätzen zu überprüfen. Außerdem sollte die Verwaltung der Apotheke angeordnet werden.
Da es außer einer rudimentären Antwort im vergangenen Oktober keine Reaktion oder Entscheidung gegeben hat, werden die Anwälte jetzt härter. Mit ihrem aktuellen Schreiben legen sie formal Widerspruch gegen die Erteilung der Betriebserlaubnis für die OHG mit Chefapotheker Heinrich Meyer als zusätzlichem Gesellschafter ein, fordern aufschiebende Wirkung und Akteneinsicht.
Diesmal führen sie verwaltungsrechtliche Pannen ins Feld: Laut Gesellschaftsvertrag wird für die Aufnahme neuer Gesellschafter in die OHG ein einstimmiges Quorum verlangt. Die Anwälte hatten bei der Gesellschafterversammlung im Mai 2016 aber der Aufnahme Meyers widersprochen. Dies hätte die Kammer prüfen und berücksichtigen müssen. Da der Apotheker auch nicht im Handelsregister eingetragen sei, hätte die Kammer die Betriebserlaubnis nicht erteilen dürfen. Außerdem hätte sie die Witwe am Verwaltungsverfahren beteiligen müssen.
Auch die apothekenrechtlichen Zweifel werden erneut vorgetragen; für Scheins Anwälte ist unverständlich, warum die Kammer die offensichtlichen Widersprüche bislang nicht aufgeklärt und keine Entscheidung gefällt hat. Die Juristen drohen offen mit einer Untätigkeitsklage.
Die Apothekerkammer hat sich laut Geschäftsführerin Dr. Marion Eickhoff schon im vergangenen Jahr in diesem Fall positioniert. Aber offenbar gebe es immer noch unterschiedliche Auffassungen, ob Meyer eine Betriebserlaubnis im Rahmen der OHG hätte erteilt werden dürfen oder nicht. Die Justiziarin stellt klar: „Wir haben das geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir hier die Erlaubnis erteilen.“ Zum weiteren Verfahren kann Eickhoff keine Angaben machen. Sie bestätigte aber, dass der Widerspruch vorliege und man sich nun dazu erneut äußern werde.
Kammerpräsidentin Magdalene Linz betont, dass man mit Blick auf die Hintergrundgeschichte von Sanicare sehr genau hingesehen habe. Es sei aber natürlich das gute Recht von Frau Schein, gegen die Entscheidung vorzugehen und gegebenenfalls auch zu klagen. In diesem Fall geht es allerdings nur um die Betriebserlaubnis für Meyer. Weiterer Handlungsbedarf bei der Kammer als Aufsichtsbehörde könnte entstehen, sollte sich Schein in ihren zivilrechtlichen Klagen durchsetzen. Sie will die unentgeltliche Übertragung von 95 Prozent der Sanicare-Anteile an Bertram für nichtig erklären lassen. Ein Gutachter soll vor Gericht die Geschäftsunfähigkeit des verstorbenen Apothekers prüfen.
Parallel kämpfen die Anwälte vor Gericht darum, den Vertrag aus dem Jahr 2013 über den Verkauf der Markenrechte für sittenwidrig und damit für nichtig erklären lassen. Der damals vereinbarte Preis von einer Million Euro wäre wegen der hohen Nutzungsgebühren schon nach elf Monaten aufgezehrt. Damit handele es sich um ein wucherisches Rechtsgeschäft, das einem Drittvergleich nicht standhalten würde: Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung liege ein sogenanntes auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung bereits ab einem Verhältnis von 1:2 vor, hier liege der Faktor allein bis zum Zeitpunkt von Scheins Tod bei 3,4.
Der Ausgang des Verfahrens hängt auch davon ab, dass die Richter sich überzeugen lassen, dass Schein seinen früheren Partnern und späteren Gegenspielern nicht gewachsen war.
Scheins Witwe muss beide Prozesse gewinnen, um Apotheke und Marke zurückbekommen. Ansonsten droht ihr das Risiko, eine leere Hülle zu übernehmen: eine Apotheke, die einst Deutschlands größter Versandhändler war und die die Rechte an ihrem eigenen Namen verloren hat. Das dürfte auch nicht im Sinne der Mitarbeiter sein.
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