Mal kleinreden, mal aufblähen: DocMorris und der Mutterkonzern Zur Rose müssen derzeit die Klaviatur der richtigen Botschaften beherrschen. Bei der Politik will die Versandapotheke den Eindruck eines Start-ups mit überschaubarer Bedeutung für den Markt vermitteln. Bei Investoren wird für den Börsengang getrommelt: Die Wachstumsmaschine komme jetzt in Gang, heißt es.
Nicht weniger als ein „Game Changer“ will Zur Rose werden. Der fragmentierte europäische Apothekenmarkt sei reif für die digitale Disruption. Der pharmazeutische Einzelhandel habe sich seit 500 Jahren nicht verändert. Noch heute sähen Apotheken aus wie im 16. Jahrhundert.
Damit soll nun Schluss sein: Bis 2020, so verspricht Zur Rose den Investoren in den Unterlagen zum Börsengang, wird sich der deutsche Versandapothekenmarkt im Bereich der OTC-Medikamente und Freiwahlprodukte im Vergleich zu 2015 verdoppeln. Legt man die Zahlen von QuintilesIMS um, kommt man auf einen Versandhandelsanteil von mehr als 25 Prozent.
Angesichts der zahlreichen Marktzugangsbeschränkungen in den EU-Mitgliedstaaten ist der Versandhandel laut Zur Rose die einzige Möglichkeit, eine europaweite Präsenz aufzubauen. Hier könne man belastbare Wettbewerbsvorteile vorweisen: Anders als unabhängige Apotheken habe man Expansionsmöglichkeiten und Zugang zum Kapitalmarkt. Anders als andere deutsche und niederländische Versandapotheken habe man eine Marke. Anders als Pharmahändler habe man keine Interessenkonflikte. Und anders als Internetriesen wie Amazon sei man eine Apotheke und habe entsprechende Erfahrungen.
Durch Skaleneffekte und Umgehung von Zwischenhändlern ließen sich Einsparungen generieren, die DocMorris zum Teil an die Kunden und Zur Rose an die Krankenkassen weitergeben will. Durch dieses Zwei-Marken-Modell sei man flexibel, auf regulatorische Veränderungen zu reagieren.
Wie groß der Versandanteil im Rx-Bereich sein soll, verrät Zur Rose nicht. 2016 setzte DocMorris 376 Millionen Euro um, davon entfielen 218 Millionen Euro auf den Rx-Bereich (minus 2 Prozent) und 94 Millionen Euro auf die Selbstmedikation (plus 51 Prozent). Zum Vergleich: 2014 waren aus Heerlen noch rezeptpflichtige Medikamente im Wert von 242 Millionen Euro verschickt worden.
Im ersten Quartal legten die Erlöse erneut um 15 Prozent zu, allerdings war das Wachstum auch hier geprägt vom OTC- und Freiwahlbereich (plus 45 Prozent). Auf Rezepte wartet DocMorris trotz Bonus noch: Die Rx-Erlöse wuchsen nur um 6 Prozent. Dennoch spricht Zur Rose von einem signifikanten Push bei der Rx-Akquise seit dem EuGH-Urteil: Die Zahl der Neukunden habe sich vervielfacht, mehr OTC-Kunden hätten auch für den Rezeptbereich gewonnen werden können.
Laut Zur Rose waren die Rezeptkunden der niederländischen Tochter auch in der schwierigen Zeit ab Inkrafttreten des Bonusverbots im August 2012 treu geblieben: Zwar seien weniger Neukunden hinzugekommen, die Rate der Wiederbesteller lag aber stets über 90 Prozent. Was Zur Rose nicht verrät: Mit verschiedenen Bonusmodellen hatte DocMorris immer wieder versucht, das Verbot zu umgehen.
Insgesamt lieferte DocMorris im vergangenen Jahr 4,4 Millionen Bestellungen an 1,4 Millionen aktive Kunden aus, das macht im Durchschnitt 3,1 Aufträge pro Kunde. Die Zahl der aktiven Kunden mit mindestens einer Bestellung hat sich in der Selbstmedikation seit 2014 auf 969.000 verdoppelt. 11 Prozent der Besucher der Website kauften auch tatsächlich ein. Retourniert würden nur 0,5 Prozent aller Bestellungen.
Die Zahl der Rx-Kunden lag zwar auf demselben Niveau wie vor zwei Jahren (489.000), allerdings werden bei jedem zweiten Auftrag rezeptpflichtige Medikamente ausgeliefert. Die Rate der Wiederbesteller liegt hier bei knapp 100 Prozent – Zur Rose spricht von einer inhärenten „Stickiness“ (Klebrigkeit) des Geschäftsmodells. Da in der Selbstmedikation nur 72 Prozent der Aufträge von treuen Kunden stammen, liegt die Quote insgesamt bei 85 Prozent.
Der durchschnittliche Warenkorb liegt bei 85 Euro; da in der Selbstmedikation im Durchschnitt 42 Euro pro Bestellung zusammenkommen, kommen auf den Rezepten, die an DocMorris geschickt werden, entsprechend höhere Beträge zusammen.
Allerdings lässt sich DocMorris auch jeden Kunden etwas kosten: Jeweils 12 Monate dauert es laut Analyse im Durchschnitt, bis die Ausgaben für die Akquise refinanziert sind und der Neukunden den „Break Even“ erreicht. Im OTC- und Freiwahl-Bereich kostet jeder Neukunde derzeit 7 Euro, 2011 waren es noch 16 Euro. Für Rx-Kunden muss DocMorris wegen der geringeren Kundenbasis das Doppelte ausgeben.
Das Wachstum hat also seinen Preis: Das operative Ergebnis (EBITDA) in Deutschland war 2016 mit 1,8 Millionen Euro negativ. Im ersten Quartal stand sogar ein Minus von 5,9 Millionen Euro vor Finanzierungskosten, Steuern und Abschreibungen.
In der Finanzwelt sieht man die Zahlen nüchtern: Die Strategie in Deutschland sei mit Risiken behaftet, weil sie an binäre Entscheidungen gebunden sei, zitierte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) David Bussmann von Albin Kistler. Der Erfolg hänge von vielen juristischen und politischen Entscheiden ab, die im schlimmsten Fall die Expansion stoppen könnten.
Noch habe Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) kein Gehör für sein Rx-Versandverbot gefunden. Das könnte sich nach der Bundestagswahl aber ändern, so die NZZ. „Der Erfolg von DocMorris könnte dabei zum Problem werden.“ Politiker von CDU und Grünen hätten bereits darauf hingewiesen, dass die Versandapotheken stets als Argument angeführt hätten, der Markt werde sich nur langsam wandeln.
Die Expansionsstrategie könnte teuer werden, so die NZZ weiter. Zwar habe Amazon gezeigt, wie sich die stationäre Konkurrenz mit E-Commerce in die Knie zwingen lasse. Das Beispiel führe aber auch vor Augen, dass dieses „Ausbluten“ der traditionellen Anbieter Jahre dauere und lange nicht profitabel sei. So würden in den kommenden Jahren bei Zur Rose Verluste anfallen und wahrscheinlich keine Dividenden ausgeschüttet werden, so die NZZ weiter. Etliche Investoren bemängelten auch den hohen Bestand an immateriellen Werten in der Bilanz, insbesondere den großen Goodwill.
Zur Rose will rund 230 Millionen Schweizer Franken durch einen Börsengang einsammeln, nach Abzug der Kosten sollen 200 Millionen Franken zur Verfügung stehen. 1,9 Millionen Aktien sollen zum Preis zwischen 120 und 140 Franken ausgegeben werden, insgesamt wird Zur Rose mit bis zu 870 Millionen Franken bewertet.
In Frauenfeld geht man davon aus, dass in den kommenden Jahren im deutschen Apothekenmarkt eine „Phase der Strukturbereinigung, unter anderem mit einer Konsolidierung im Bereich des Versandhandels von Arzneimitteln“ stattfinden wird. „Die Gruppe will eine aktive Rolle in dieser Marktkonsolidierung einnehmen.“
So soll das Geld vor allem für den Ausbau der Marktführerschaft in Deutschland, die internationale Expansion in bestehende und neue Märkte, vorrangig durch Akquisitionen, Digitalisierungsinitiativen sowie die Refinanzierung der im Dezember 2017 fällig werdenden Unternehmensanleihe im Umfang von 50 Millionen Franken genutzt werden.
APOTHEKE ADHOC Debatte