Versandapotheken

Die Geschäfte der Shop-Apotheke

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Berlin -

Die Shop-Apotheke ist an der Börse. Mit einer beeindruckenden Wachstumsstory und der Vision von einem europaweit aktiven OTC-Versender haben die Gründer einen dreistelligen Millionenbetrag in die Kasse geholt und dafür rund die Hälfte ihrer Anteile abgegeben. Der Fall ist mehr als ein Zeugnis unternehmerischer Cleverness: Er zeigt, dass es im Versandhandel darum geht, sich als neuer Vertriebskanal zu positionieren – und dass selbst Millionenverluste keine Rolle spielen, wenn es darum geht, den Vor-Ort-Apotheken das Geschäft streitig zu machen.

Nach den Zahlen von IMS Health und Insight Health wächst der Versandhandel mit Non-Rx-Produkten seit Jahren im einstelligen Bereich. Mit dem Börsengang der Shop-Apotheke wurden diese Zahlen regelrecht vom Tisch gefegt: Denn erstmals gewährte das Unternehmen einen detaillierten Einblick in seine Zahlen. Weil die Marktforschungsunternehmen bis dahin nicht mit Informationen beliefert wurden, waren vom tatsächlichen Wachstum viele Beobachter überrascht.

2015 erwirtschaftete die Shop-Apotheke mit 310 Vollzeitbeschäftigten einen Umsatz von 125,5 Millionen Euro, das waren 48 Prozent mehr als im Vorjahr, in dem der Umsatz um 53 Prozent zugelegt hatte. Im ersten Halbjahr dieses Jahres lag der Umsatz mit 82 Millionen Euro immer noch 36 Prozent über Vorjahresniveau. Der Löwenanteil von 85 Prozent wird in Deutschland erwirtschaftet, der Rest verteilt sich auf Österreich (seit April 2012), Frankreich und Belgien (seit März beziehungsweise Juli 2015). Shop-Apotheke ist bei OTC- und Freiwahlprodukten stark, der Rx-Bereich lag 2015 mit 2,6 Millionen Euro auf niedrigem, aber stabilem Niveau.

Nach eigenen Angaben hat die Shop-Apotheke aktuell knapp 1,5 Millionen aktive Kunden, das sind Verbraucher, die innerhalb von zwölf Monaten mindestens einmal bestellen. Dieser Wert ist zuletzt linear um 31 Prozent gewachsen und hatte Ende 2015 noch bei 1,27 Millionen gelegen. Knapp drei Viertel der 2,8 Millionen Bestellungen im vergangenen Jahr (plus 44 Prozent) beziehungsweise 1,8 Millionen Bestellungen in den ersten sechs Monaten (plus 36 Prozent) waren Aufträge von Kunden, die im jeweiligen Zeitraum bereits einmal Ware geordert hatten. Die Rückläuferquote liegt bei 0,7 Prozent; mit einem speziellen Algorithmus werden Rechnungsausfälle bereits bei der Auswahl der Zahlungsmethode minimiert.

Entsprechend viel los ist auf der Website der Versandapotheke, die im vergangenen Jahr 25,5 Millionen Mal aufgerufen wurde (plus 34 Prozent). In diesem Jahr konnte die Zahl der Seitenaufrufe bis Ende Juni noch einmal um 42 Prozent auf 17,5 Millionen gesteigert werden. Von den rund 25.000 Kundenanfragen pro Monaten werden die nichtpharmazeutischen von einem externen Call Center abgearbeitet.

Der Erfolg kommt nicht von selbst: So wird viel Arbeit in Suchmaschinenoptimierung und -werbung investiert. Außerdem werden Flyer den Paketen anderer Versandhäuser beigelegt. Seit 2014 ist Shop-Apotheke mit einem Spot im Fernsehen präsent und seit diesem Jahr auch in Österreich auf Sendung. Zusätzlich gibt es einen Youtube-Kanal mit 700 selbst produzierten Erklärvideos zu bestimmten Indikationen und Produkten. Das komplette Marketing wird inhouse abgewickelt: Ein Team in Köln entwirft die Kampagnen und misst den Erfolg für die eigene Arbeit und für die Pharmakunden. In Düsseldorf sitzt die Ende 2013 für eine Million Euro übernommene Firma Xcite, die die Technologie für die Webshops entwickelt hat und betreut.

Natürlich hat das rasante Wachstum seinen Preis: Die Rohertragsmarge lag wegen der oft erheblichen Abschläge auf den Listenpreis zuletzt mit 20,5 Prozent niedriger als in den Apotheken (25 Prozent). Vor allem aber sorgte die Ausgabenseite für tiefrote Zahlen: 2015 stand ein Fehlbetrag von 10,5 Millionen Euro in den Büchern, nach 4,9 beziehungsweise 2,8 Millionen Euro in den Jahren davor. Im Vorfeld des Börsengangs war der Verlust in den ersten sechs Monaten dieses Jahres noch einmal auf 6,2 Millionen Euro angewachsen.

Finanziert wurde das Wachstum bislang durch Investoren, die der bisherige Mutterkonzern Europa Apotheek Venlo (EAV) bei der ersten Runde 2013 an Bord geholt hatte. Neben einigen vermögenden Kapitalgebern wurde eine ganze Reihe von Privatanlegern aus der Wirtschaft gewonnen, darunter Topmanager von Ratiopharm, Budenheim (Chemikalien), SES (Satelliten) und Steelcase (Büromöbel). Auch ein ehemaliger Vorstand des mittlerweile zerschlagenen Druckmaschinenherstellers Manroland ist dabei, genauso wie der als Investor aktive Apotheker Dr. Frank Steinhoff und die Familie Kuhn-Temmler.

Mit den Erlösen aus dem Börsengang soll nun die internationale Expansion weiter vorangetrieben werden. Von den knapp 100 Millionen Euro aus der Kapitalerhöhung stehen abzüglich Transaktionskosten von etwas mehr als 5 Millionen Euro und Rückzahlung der Gesellschafterdarlehen in Höhe von 25 Millionen Euro rund 70 Millionen Euro zur Verfügung.

Das Management von Shop-Apotheke träumt von einer Präsenz in ganz Kontinentaleuropa. Zum Nukleus soll dabei die wenige Wochen vor dem Börsengang übernommene Versandapotheke Farmaline werden. 3 Millionen Euro hat Shop-Apotheke im September für den belgischen Konkurrenten bezahlt, eine weitere Million Euro wird bei Erreichen bestimmter Meilensteine fällig.

Das 2008 gegründete Unternehmen kommt zwar nur auf Umsätze von 18 Millionen Euro (2015), ist aber nicht nur in Belgien und Frankreich aktiv, sondern auch in den für Shop-Apotheke neuen Märkten Spanien, Italien und Niederlande. Nach dem Zukauf seien 76 Prozent des kontinentaleuropäischen OTC-Marktes abgedeckt, begründet das Management den Zukauf.

Auftreten will Europas erste börsennotierte Versandapotheke künftig unter zwei Marken nebeneinander: Unter Shop-Apotheke beziehungsweise Farmaline soll das Kerngeschäft in den jeweiligen Märkten laufen, mit dem Discounter Vitazita soll außerdem eine besonders preisbewusste Klientel vor allem auf Preisvergleichsportalen abgefangen werden. Auch das Sortiment soll ausgeweitet werden: Neben apothekentypischen Produkten sollen künftig auch verstärkt Konsumgüter angeboten werden, teilweise auch als Eigenmarke.

Mit der EAV hat das Management bei der Abspaltung eine ganze Reihe von Vereinbarungen geschlossen, die die weitere Zusammenarbeit regeln und ein Konkurrenzverhältnis ausschließen. So fungiert die Shop-Apotheke als Großhändler für das bisherige Mutterhaus – Lieferanten sind nach Firmenangaben alle führenden deutschen Großhändler sowie 280 Hersteller.

Umgekehrt stellt die EAV das Lagerhaus mit 18.000 Quadratmetern Fläche, in dem aktuell Ware im Wert von 10 Millionen Euro dauerhaft vorrätig gehalten wird. Das zwei Kilometer vom bisherigen EAV-Standort entfernte Vertriebszentrum ist auf 32.000 Pakete ausgelegt; verschickt wird ab 19 Euro für die Verbraucher portofrei über Hermes oder DHL, in anderen Ländern entfallen die Versandkosten erst ab 39 Euro.

Zusätzlich hat sich die EAV verpflichtet, nicht im Revier der Shop-Apotheke zu wildern, sondern sich auf die – mittlerweile vom Internet unabhängige – Chronikerversorgung zu fokussieren. Die Altgesellschafter der Shop-Apotheke sind zugleich Anteilseigner der EAV, Interessenkonflikte sind daher nicht auszuschließen.

An der Börse kamen die Phantasien gut an, wenngleich der Ausgabepreis von 28 Euro je Aktie am untersten Ende der Skala lag. Ganz deutlich gemacht hatte das Management, dass die Anleger auch vorerst nicht mit einer Dividende rechnen können: Dass es in absehbarer Zeit Ausschüttungen geben wird, sei jedenfalls zweifelhaft.

Um den Börsenkurs nicht zu beeinflussen, haben sich die bisherigen Anteilseigner sich verpflichtet, innerhalb von sechs beziehungsweise zwölf Monaten keine Aktien zu verkaufen. Neben den Firmengründern Michael Köhler (EAV) sowie Stephan Weber und Marc Fischer (Shop-Apotheke) gehören die verantwortliche Apothekerin Theresa Holler und Finanzchef Dr. Ulrich Wandel zum Vorstand und zum Gesellschafterkreis. EAV-Mitgründer Dr. Robert Hess ist nach Köhler der zweitgrößte Anteilseigner.

Shop-Apotheke war 2002 aus der Kölner Fortuna Apotheke heraus gegründet und 2009 an die EAV verkauft worden. Der niederländische Versender gehörte von 2008 bis 2013 zum US-Konzern Medco. Rund 150 Millionen US-Dollar ließ sich der heute zu Express Scripts gehörende Pharmacy Benefit Manager (PBM) den Einstieg in den deutschen Markt kosten, der von einem PBM-ähnlichen Dienstleistungsangebot für Krankenkassen und Hersteller flankiert werden sollte.

Doch auch eine Partnerschaft mit Celesio brachte keinen Schub für das US-Konzept. Nachdem auch noch die Pick-up-Kooperation mit dm gescheitert war, wurde das Unternehmen für weniger als vier Millionen Dollar von den vorherigen Eigentümern zurückgekauft.

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