Rx-Boni

Der Zuzahlungsclub ist zurück Nadine Tröbitscher, 28.06.2017 10:27 Uhr

Berlin - 

Dass acht Monate nach dem EuGH-Urteil nur sehr vereinzelt deutsche Apotheker versucht haben, ihren Kunden Rx-Boni zu gewähren, ist eine der großen Überraschungen des Jahres. Doch jetzt ist der Zuzahlungsclub zurück: Wer Mitglied bei Valerevital ist, bekommt die Zuzahlung anteilig oder komplett zurück. Mitmachen kann angeblich jeder, doch eine Nähe zur EU-Versandapotheke ist nicht zu übersehen.

Valerevital hat sich auf die Fahne geschrieben, was deutschen Apotheken verwehrt ist – den Kunden die Zuzahlung zu erlassen. Dazu hat das Unternehmen mit Sitz in Berlin drei Tarife ausgeschrieben: Wer Basis-Mitglied wird, zahlt 15 Euro im Jahr und bekommt 2,50 Euro pro Rx-Medikament zurück. Plus-Mitglieder erhalten für 65 Euro im Jahr die Zuzahlung zu 100 Prozent erstattet. Die Partner-Mitgliedschaft für zwei Personen ist für eine Jahresgebühr von 125 Euro zu haben, auch hier gibt es die Zuzahlung in vollem Umfang zurück.

Wer dem „Zuzahlungsclub“ beitritt, muss abgestempelte und unterschriebene Rezeptkopien inklusive Kassenbon unter Angabe von Mitgliedsnummer und Bankverbindung einreichen. Die Mitgliedschaften gelten für jeweils ein Jahr und können jederzeit gewechselt und vier Wochen vor Ablauf gekündigt werden.

Patienten, die bereits befreit sind, bekommen ebenfalls einen Betrag in Höhe der Zuzahlung ausgezahlt. Auch Privatpatienten können profitieren: Sie bekommen laut Website die Arzneimittelkosten bis zum Erreichen des Freibetrages zurückerstattet.

Valerevital hat es auf „Schnäppchenjäger, die gut verdienen“ abgesehen. Hinter der Firma steht Detlev Bergner. Der Betriebswirt hatte als Standortentwickler vor einigen Jahren für die Anzag eine geheime Apothekenkette aufgezogen; in den vergangenen Jahren hat er Apothekern geholfen, sich aus wirtschaftlichen Krisen zu befreien. Außerdem war er zuletzt Berater der EU-Versandapotheke, die zur Apotheke am Telering von Dr. Bettina Kira Habicht gehört.

Der vorherige Besitzer der EU-Versandapotheke, Kurt Rieder, hatte gemeinsam mit seinem Berater, dem langjährigen BVDA-Geschäftsführer Dr. Karl-Heinz Blüher, vor einigen Jahren den Zuzahlungsclub Vivavita aufgezogen, der ähnlich wie Valerevital funktionierte: Der Verein erließ seinen Mitgliedern die Zuzahlung ganz oder teilweise, wenn sie ihre Arzneimittel bei der EU-Versandapotheke bestellten. Später wurde das Modell zwar angepasst, als Verstoß gegen die Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) aber trotzdem verboten.

Um nicht denselben Fehler zu machen, wurde das Modell laut Bergner noch einmal überarbeitet. Es gebe keine direkte Verbindung zur Apotheke mehr, theoretisch könne jeder Mitglied werden. Und: Mit der Mitgliedschaft habe man bei jedem in einer deutschen stationären Apotheke oder Versandapotheke eingereichten Rezept Anspruch auf eine Kostenrückerstattung, heißt es auf der Website.

Allerdings gibt es Premiumpartner. Wer bei diesen bestellt, muss sich auch um die Rückabwicklung nicht mehr kümmern: Monatlich fordert das Unternehmen die Informationen zu den entsprechenden Aufträgen ab. Man kann erahnen, dass hier ein geschlossener Kreislauf im Entstehen ist. Auf Werbung für das Konzept wird daher bewusst verzichtet. Man arbeite „präzise und nicht nach dem Gießkannenprinzip“, sagt Bergner.

Aktuell gibt es laut Bergner zehn solcher Premiumpartner; deren Identität wollte er aber auf Nachfrage nicht verraten. Nur soviel: „Der Holländer ist raus.“ Und: Versandapotheken, die zu den Premiummitgliedern zählten, seien „nur eine Stunde entfernt“. Auch zu den Mitgliederzahlen machte er keine Angabe: Man sei erst vor Kurzem gestartet, das Konzept stecke noch in den Kinderschuhen.

Wohlwissend, dass die „Rezept-Rückerstattung“ aus rechtlicher Sicht hochbrisant ist, legt Valerevital großen Wert darauf, sich als unabhängiges Gesundheitsportal zu präsentieren. So werden zusätzliche Leistungen versprochen, darunter die kostenlose Überprüfung von Medikamentenverordnungen durch die Partnerapotheken. Medizinische Fragen beantworten Fachärzte, Therapeuten und Heilpraktiker aus dem Netzwerk. „Ihnen entstehen dabei keinerlei Kosten“, verspricht Valerevital. Auf Wunsch werden auch Ärzte empfohlen. Dasselbe gilt für juristische Probleme: Hier verspricht das Unternehmen die Vermittlung an einen Fachanwalt für Medizin-, Familien-, Sozial-, Versicherungs- oder Erbrecht aus dem Netzwerk.

Solche „Nebeninitiativen“ seien auch nötig, um sich auf Dauer zu finanzieren, sagt Bergner. So kooperierten Apotheken, Ärzte und Heilpraktiker mit Valerevital mit dem Ziel, an Kunden zu kommen, die sie sonst nicht hätten. Abgesehen davon soll ein gemeinsamer Einkauf auf die Beine gestellt werden, der es den teilnehmenden Apotheken ermöglicht, Arzneimittel zu günstigen Preisen abzugeben.

Um das Modell rechtlich wasserdicht zu machen, denkt Bergner auch über die Umwandlung in eine Stiftung nach. Derzeit ist das Unternehmen mit Büroadresse im Berliner Hauptbahnhof zu finden.

Die EU-Versandapotheke hatte bis vor Kurzem auch ein Bonusprogramm. Das Modell hieß Punkteshop, auf der Website hieß es unter dem Stichwort „Rezepteinlösung“: „Sie können bei uns alle in Deutschland lieferbaren, rezeptpflichtigen Medikamente, obwohl sie nicht in den Onlineshop eingestellt sind, bestellen und somit auch beim Einlösen Ihrer Rezepte sparen.“ Einer Mitarbeiterin zufolge gibt es das Modell seit März nicht mehr.

Seit dem EuGH-Urteil vom 19. Oktober wachen die Kammern akribisch darüber, dass im Inland die Preisbindung für Arzneimittel hält. Trotz aller Appelle an die „Solidarität der Apotheker“ und damit verbundener Mahnungen gab es erste Rx-Preisbrecher: Die Bären-Apotheke in Ratingen versprach ihren Kunden als Gegenleistung für die Abgabe eines Rezeptes eine Werkzeugbox. Inhaber Wolfgang Wittig wollte sich nicht zur Werbeaktion äußern.

Wir-leben-Apotheker Dirk Düvel landete vor Gericht, weil er seinen Kunden Wertgutscheine von 50 Cent für den Besuch seiner Apotheke gewährt hatte. Eine Kollegin hatte einen Testkäufer geschickt und belegt, dass die Gutscheine auch bei der Rezepteinlösung herausgegeben wurden. Das Landgericht Lüneburg hatte in erster Instanz keine Probleme mit dem Modell.

Die Boni gibt es trotzdem aktuell nicht mehr. Denn die Apothekerkammer Niedersachsen hatte das Modell in ihrer Funktion als Aufsichtsbehörde bereits verboten. Gegenüber Düvel wurde eine Untersagung ausgesprochen, nachdem zuvor eine Anhörung stattgefunden hatte. Das Verwaltungsgericht Lüneburg wies den Eilantrag des Apothekers gegen ein entsprechendes Verbot der Kammer zurück. In der Folge einigte sich Düvel auch mit der Apothekerin, die ihn verklagt hatte.

Seit dem EuGH-Urteil ist die Debatte um Rx-Boni neu entfacht: Während sich DocMorris & Co. nicht mehr an die Preisbindung halten müssen, gilt das Rabattverbot für hiesige Apotheken und Versender weiterhin. Eine Darmstädter Apotheke führt ein Verfahren um ihr Bonusmodell und will die Sache notfalls vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bringen. Das „Ofenkrusti-Verfahren“ liegt derzeit beim Oberlandesgericht Frankfurt (OLG).

Die Politik hat bislang keine Antwort auf die Ungleichbehandlung nach dem EuGH-Urteil gefunden. Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) ist mit seinem Vorschlag für ein Rx-Versandverbot im Kabinett vor allem am Widerstand der SPD gescheitert. Deren Vorschlag, begrenzte Boni auf Zeit für alle zuzulassen, will andererseits die Union nicht mittragen.

Da in dieser Legislaturperiode dem Anschein nach nichts mehr passieren wird, richtet die ABDA ihre Lobbyarbeit bereits auf die Zeit nach der Bundestagswahl am 24. September 2017 aus. Ein Rx-Versandverbot bleibt weiter das Ziel der Apotheker.