Ungenügend für Immunstimulanzien Nadine Tröbitscher, 28.10.2016 16:31 Uhr
Öko-Test hält nichts von Immunstimulanzien, um die Abwehrkräfte zu unterstützen oder gar Erkältungen vorzubeugen. Händewaschen und Abstandhalten seien effektiver als die getesteten Mittel – 15 von 16 wurden mit ungenügend bewertet. Nur ein Produkt bekam die Note ausreichend. Erkältungsmittel waren erst kürzlich Thema bei einem NDR-Test. Den vorgestellten Immunpräparaten wurde hierbei von Professor Dr. Gerd Glaeske ein schlechtes Zeugnis ausgestellt.
Die Erkältungszeit bricht an – Apotheken und Drogerien halten verschiedene Tabletten, Granulate, Trinkampullen und Lösungen bereit, um das vermeintlich schwache Immunsystem zu stärken. Im vergangenen Jahr wurden mit entsprechenden Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) und bilanzierten Diäten laut IMS Health knapp 72 Millionen Euro umgesetzt.
Laut Öko-Test könnte man sich das Geld sparen. Es gebe keine überzeugenden Beweise, dass die getesteten Mittel die Abwehrkräfte stärken oder vor einer Erkältung schützen. Einzig auf einen Placeboeffekt könne man hoffen. Professor Dr. Manfred Lutz vom Institut für Virologie und Immunbiologie der Universität Würzburg ist ebenfalls skeptisch. „Wenn ich gesund bin, also vor einer Erkältung, dann ist mein Immunsystem intakt und ausgeglichen. Dann will ich eigentlich, dass es nicht reagiert.“ Der Versuch, die Abwehrkräfte zu stimulieren, sei kontraproduktiv: Dem aktivierten Immunsystem fehle der Gegner – der Trainingseffekt bleibe aus.
Leide man subjektiv häufig unter einer Erkältung, liege das nicht zwangsläufig an schwachen Abwehrkräften. Gesunde Erwachsene könnten sich wiederholt erkälten, da „das Abwehrsystem mit den Virustypen bisher noch keinen Kontakt hatte“, sagt Professor Dr. Thomas Mertens von der Uni Würzburg. Eine Immunschwäche verursacht durch einen Vitamin- oder Mineralstoffmangel ist laut Mertens hierzulande extrem selten. Effektiver als das Einnehmen von Pillen sei gerade im Winter das Waschen der Hände. Händedruck, Anhusten und Anniesen sollten verhindert werden.
Die getesteten Mittel kamen aus Apotheke und Drogerie und lagen preislich zwischen 5,98 Euro und 31,92 Euro – überzeugen konnten alle nicht. Bemängelt wurde unter anderem die Überschreitung der Höchstmengen an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen, die vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) festgelegt wurden. Gesetzliche Grenzwerte für die Vitamine und Mineralstoffe in NEM gibt es nicht. Die in den Produktinformationen vorgesehenen Tagesdosen überschreiten laut Öko-Test die Empfehlungen für Kupfer, Mangan, Selen, Vitamin C und Zink. Zudem fehle bei vielen Produkten die Altersbeschränkungen für einzelne Inhaltsstoffe.
Getestet wurden die Apothekenprodukte: Orthomol Immun und Immun Pro (Orthomol), Kijimea Immun (PharmaFGP), Biomo Aktiv Immun Konzentrat Orange (Biomo Vital), Aronia+ (Ursapharm), Immun Loges (Dr. Loges), Ortho Expert Basic-Immun (Weber&Weber), Doppelherz System Immun+Aronia (Queisser), Unizink Immun Plus (Köhler), Aminoplus Immun (Kyberg) und Symbioflor 1 (SymbioPharm).
Sowohl die Produkte aus der Apotheke als auch aus der Drogerie erhielten das Gesamturteil „ungenügend“. Die Gründe sind nahezu identisch: Deklarationsmängel, überschrittene Tagesdosen nach dem Motto „viel hilft viel“ und nicht überzeugende Studienlagen. Qualitative Unterschiede der Inhaltsstoffe wurden nicht getestet.
Das einzige Arzneimittel im Test war Symbioflor 1. Die Darmbakterien der Spezies Enteroccus faecalis sollen das Immunsystem unspezifisch reizen und vermehrt Abwehrzellen bilden. Das Produkt senkt laut Anbieter die Häufigkeit von wiederkehrenden Infekten der Bronchien und Nasennebenhöhlen. Die vom Hersteller beauftragten klinischen Studien konnten die Tester nicht überzeugen, dennoch vergaben sie das Testergebis „ausreichend“.
Die anderen auf Anfrage eingereichten Studien „haben durchgehend methodische Mängel, sind teilweise vom Hersteller bezahlt oder von Firmenmitarbeitern und Autoren”.
Mertens hält den Kauf obskurer Mittelchen für schwerverständlich. „Es gibt einerseits immer wieder starke Vorbehalte gegen Impfungen, obwohl ihr hoher Schutzeffekt gegen zahlreiche Krankheiten hervorragend wissenschaftlich bewiesen ist. Andererseits werden wie wild solche obskuren Mittelchen gekauft, deren Wirkung sich nicht belegen lässt, um sich vor Erkältungsinfekten zu schützen.“