133 Millionen Euro Verlust

Tiefrote Bilanz: Noventi ist überschuldet

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Berlin -

Noventi hat das vergangene Jahr mit einem unvorstellbar hohen Verlust abgeschlossen – und ist jetzt bilanziell überschuldet. Vor der Insolvenz rettet das Unternehmen alleine eine von den Banken anerkannte positive Fortführungsprognose. Vorstand Frank Steimel versichert, dass er alle Altlasten in den Jahresabschluss gepackt hat und einen Schlussstrich ziehen kann.

133 Millionen Euro Verlust stehen bei Noventi in dem mit drei Monaten Verspätung vorgelegten Jahresabschluss für das vergangene Jahr. Zur Einordnung: Der Umsatz lag bei 234 Millionen Euro. „Wir haben die Entscheidung getroffen, dass wir einmal komplett aufräumen. In diesem Abschluss ist alles drin“, sagt Steimel.

Ursache für die roten Zahlen sind laut Steimel drei Faktoren:

Das operative Defizit liegt bei rund 43 Millionen Euro. Vor allem die Personalkosten waren 2022 noch einmal von 121 auf 157 Millionen Euro gestiegen. „Wir hatten hier einen dramatischen Overload.“

Der dringend notwendige Stellenabbau wurde erst im Januar eingeleitet, ist aber in der Bilanz für 2022 bereits enthalten: So sind Rückstellungen in Höhe von rund 43 Millionen Euro für Sonderaufwendungen ausgewiesen, die erst in diesem Jahr anfallen. Der Löwenanteil von 39 Millionen Euro betrifft davon den Personalbereich, also etwa absehbare Abfindungen.

Dritter Punkt sind Abschreibungen auf Bilanzpositionen wie Software oder Finanzanlagen in Höhe von rund 47 Millionen Euro. Hier hatte das alte Management zuletzt noch einmal kräftige Aufwertungen in der Bilanz vorgenommen, die aus Sicht von Steimel nicht haltbar sind. Alleine bei Beteiligungen wie Gesund.de oder Doctorbox fällt aufgrund von Wertkorrekturen ein negatives Ergebnis von 12 Millionen Euro an.

Eigenkapital ist weg

Damit weist die Unternehmensgruppe ein negatives Eigenkapital in Höhe von 27 Millionen Euro aus – und das obwohl seitens des Eigentümervereins FSA noch einmal 20 Millionen Euro eingebracht wurden.

Eine Insolvenz sei trotzdem kein Thema, versichert Steimel, da man eine positive Fortführungsprognose vorweisen könne und sich auch mit Aufsichtsrat, FSA und den Banken einig sei, was die Zukunft der Unternehmensgruppe angehe. Aktuell habe man rund 115 Millionen Euro an Mitteln zur freien Verfügung. „Das Liquiditätsthema haben wir besiegt“, räumt er vielsagend ein.

Berücksichtigt man außerdem, dass die Banken die Unternehmensfinanzierung im Januar noch einmal von 100 auf 150 Millionen Euro ausgeweitet haben, sieht man, wie weit der Weg bis zur Sanierung noch ist.

Schlussstrich und Neuanfang

Die Finanzlage sei natürlich unschön, aber nicht mehr kritisch, versichert Steimel. „Wir haben noch unsere Hypotheken oder, wie man so schön sagt, unseren Deckel, den wir bezahlen müssen. Aber auch wenn die Zahlen übel aussehen: Wir stehen mit beiden Beinen auf festem Boden und haben uns von allem befreit, was uns aus der Vergangenheit für die Zukunft behindert.“ Seit Juli sei man operativ wieder in der Gewinnzone.

Für das Gesamtjahr sei zwar noch einmal mit einem Verlust zu rechnen; laut Steimel gibt es aber „die Chance, dass er geringer ausfallen könnte als erwartet“. Und beim Umsatz rechnet man sogar mit Zuwächsen: „Auch wenn es im Markt anders kolportiert wird: Wir sehen keine größere Abwanderung von Kunden.“

Keine Investoren

Für drei Jahre steht die Finanzierung, sodass Verkaufspläne für einzelne Geschäftbereiche, weitere Finanzierungsrunden oder auch der Einstieg eines Investor wie der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (Apobank) laut Steimel vorerst vom Tisch sind. „Es gäbe genügend Interessenten, aber wir haben keinen Bedarf und kein Interesse. Wir sind durchfinanziert, wir haben keine größeren Überraschungen mehr im Köcher.“

Allerdings braucht der FSA vorerst nicht mit größeren Ausschüttungen zu rechnen. Auch die Rückzahlung der Genussscheine, die besonders treue Noventi-Kunden gezeichnet hatten und die derzeit nicht verzinst werden, ist nicht realistisch. Statt der angepeilten 80 waren zwar nur 2 Milliionen Euro zusammengekommen; angesichts des Finanztableaus ist laut Steimel eine Freigabe aber derzeit nicht drin.

Stille Reserven

Um das Eigenkapital zu stärken, will Steimel in den nächsten Jahren verschiedene bilanzielle Gestaltungsmöglichkeiten nutzen. So sollen erwartete zukünftige „gute Gewinne“ über einen Horizont von mindestens drei Jahren thesauriert werden. Außerdem verfüge die Gruppe über erhebliche stille Reserven – vor allem der Unternehmenswert der Tochter Noventi HealthCare mit dem gesamten Abrechnungsgeschäft übersteige die in der Bilanz veranschlagte Summe in Höhe von 37 Millionen Euro um ein Vielfaches.

Steimel geht davon aus, dass er hier das 12- bis 14-Fache drin ist, dies sei durch mehrere vorläufige Gutachten auch schon bestätigt. Selbst im vergangenen Jahr sei hier ein Plus von 8 Millionen Euro erzielt worden. Allerdings werde man die Aktivierung vermutlich erst im Geschäftsbericht für das Jahr 2024 vornehmen.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass Steimel nun bilanzielle Kosmetik betreiben muss, nachdem er gerade erst selbst bei den Firmenwerten aufgeräumt hat, die seine Vorgänger zur Rettung der vorherigen Bilanz noch aktiviert hatten. „Wir haben jeden Stein umgedreht und jeden Beleg geprüft, weil uns auch nicht alles, was passiert war, plausibel vorgekommen ist. Wir gehen davon aus, dass die Dinge jetzt bilanziell korrekt dargestellt sind“, sagt er und meint damit auch, dass die rechtliche Auseinandersetzung mit den früheren Vorständen weitergeht: „Was mögliche Verfehlungen angeht, wird sehr genau nachgeschaut.“

Wichtig ist Steimel zu versichern, dass insbesondere das Abrechnungsgeschäft nicht nur sicher, sondern auch profitabel ist. Allerdings sieht er auch, dass die Situation herausfordernd bleibt – nicht nur für Noventi, sondern für alle Rechenzentren. So sei die Preisanpassung nicht nur wegen der Finanzlage unvermeidbar gewesen, sondern auch wegen der Zinsentwicklung. Teilweise hätten Mitbewerber bereits nachgezogen. „Bei den Preisen im Markt dürfte das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht sein.“

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