Der verpflichtende Anschluss an die Telematikinfrastruktur (TI) gehört ohnehin nicht zu den Lieblingsprojekten der meisten Apotheker. Als wäre der Frust über die Umsetzung der politisch verordneten Digitalisierung noch nicht genug, sind immer mehr Apotheker wütend auf die IT-Häuser: Denn wer sich nicht für den Konnektor seines Warenwirtschaftsanbieters entscheidet, dem drohen saftige Zusatzkosten für den Anschluss von Fremdkonnektoren – dabei sind die weißen Kästen komplett standardisiert. Der Vorwurf: Die IT-Häuser treiben ihren Wettbewerb auf Kosten der Apotheker. Doch ist da etwas dran? Und wie viel müssen Apotheken zusätzlich berappen, wenn sie bei der Konkurrenz buchen?
Bisher war der Markt für Apotheken-IT recht überschaubar: Eine Handvoll großer Anbieter teilte sich den Kuchen, Verschiebungen von Marktanteilen fanden eher in kleinen Schritten statt. Doch der Digitalisierungskurs von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat Schwung in den Markt gebracht. Jede Apotheke muss künftig in der Lage sein, in die TI zu kommen, um die vorgeschriebenen Fachdienste und -anwendungen zu nutzen. Plötzlich steht da ein ganz neuer Kuchen: Die Softwarehäuser kämpfen darum, ihre TI-Pakete samt Konnektor und Kartenterminals sowie der zugehörigen Serviceleistungen unters Volk zu bringen. Und als würde der neue Wettbewerb nicht reichen, hat sich auch noch ein neuer Konkurrent in den Markt geschlichen, der mit einem alternativen Anbindungskonzept ein gar nicht so kleines Stück vom neuen Kuchen abhaben will.
Nun ist es natürlich naheliegend, den Konnektor bei dem Haus zu bestellen, dessen Warenwirtschaftssystem man nutzt. Verpflichtend ist es jedoch keineswegs und die meisten Apotheker vergleichen entweder das Angebot ihres Warenwirtschaftsanbieters mit dem der großen Konkurrenzhäuser, sei es Noventi, Compugroup Medical (CGM), Pharmatechnik oder ADG. Oder aber sie liebäugeln gar damit, sich den Konnektor nicht in die Offizin zu stellen, sondern auf das zentral gehostete Modell des Neueinsteigers Red Medical zu setzen. „Am Ende entscheidet die Apotheke, welche Lösung die Beste für sie ist, dies beinhaltet auch die Antwort auf die Frage, für welchen Konnektor sich die Apotheke entscheidet“, erklärt Pharmatechnik dazu auf Anfrage. Doch ganz so einfach ist es eben nicht.
Denn viele Apotheker fühlen sich verschaukelt: Bei manchen Anbietern drohen ihnen beinahe vierstellige Anschlussgebühren, falls sie sich entscheiden, den Konnektor eines Konkurrenten zu kaufen. Dabei unterliegen Warenwirtschaftssysteme und TI-Equipment identischen Spezifikationen, die von der Gematik zentral festgelegt wurden. Es steht also die Frage im Raum, ob die Höhe der Zusatzkosten verhältnismäßig ist. Und die wird zunehmend auch an die Standesvertreter herangetragen. „Bei der Apothekerkammer mehren sich die Anfragen zur TI-Anbindung, und zwar nicht nur zum Termin für die Freischaltung der Kartenanträge, sondern auch bezüglich des Anschlusses von in- oder extern stationierten Konnektoren“, sagt Berlins Kammerpräsidentin Dr. Kerstin Kemmritz. „Einige Kolleginnen und Kollegen beschweren sich regelrecht über die Kosten. Anscheinend lassen Information und Kommunikation mancher Anbieter derzeit in dieser Hinsicht durchaus zu wünschen übrig.“
Tatsächlich geben sich die großen Häuser schmallippig, wenn es um Zusatzgebühren geht. Noventis Preismodell stand erst kürzlich ungewollt in der Öffentlichkeit. Eine öffentliche Entschuldigung wurde fällig, nachdem mindestens ein Außendienstler die Zusatzgebühren von Noventi in einer Präsentation auf das Angebot der Konkurrenz aufgeschlagen hatte, als wäre es deren Preis. Aus der Präsentation geht hervor: Entscheidet sich ein Awinta-Kunde, auf das Modell Konnektorenfarm zu setzen, kostet ihn das seitens Noventi 950 Euro Gebühr für den Anschluss und danach eine monatliche Nutzungsgebühr von 45 Euro. Kritiker werfen Awinta nun vor, dass es sich bei dem Anschluss im Wesentlichen lediglich darum handelt, die Client-ID, die Mandanten-ID, Arbeitsplatz-ID sowie die IP-Adresse des Konnektors in ein Formular einzutragen.
Kemmritz hält solche Gebühren – nicht nur bei Noventi, sondern allgemein – für überzogen. „Die teilweise in Aussicht gestellten Kosten für den Anschluss des Routers eines Fremdanbieters stehen in keinem erkennbaren Verhältnis zum zu erwartenden Aufwand, sondern wirken manchmal mehr wie eine Art Strafzoll, wenn der Apotheker nicht dem Vorschlag des Warenwirtschaftsanbieters bezüglich der Konnektoreninstallation folgt“, sagt sie. „Hier irgendwelche zusätzlichen Test- und Anschlussgebühren, Anpassungskosten oder Einbindungen für die bereits standardisierten und zertifizierten Komponenten konstatieren zu wollen, zeugt nicht gerade von partnerschaftlichem Verhalten.“
Welche Parameter in der Software für den Anschluss eines Konnektors konfiguriert werden müssen, hat die Gematik in ihren Spezifikationen festgeschrieben. Als marktneutrale Gesellschaft in öffentlicher Hand, die noch dazu die Spielregeln festlegt, müsste sie eigentlich in der Lage sein, eine objektive Einschätzung des rein technischen Mindestaufwands für den Anschluss abzugeben. Doch auch auf explizite Nachfrage verweist sie bei diesen technischen Fragen auf die Softwarehäuser. „Zu Geschäftsmodellen der Hersteller können wir uns nicht äußern“, so eine Gematik-Sprecherin.
Noventi teilt auf Nachfrage mit, dass der kolportierte Preis nicht mehr aktuell sei. „Wir müssen aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen mit Fremdinstallationen davon ausgehen, dass unsere Kunden bei Fragen, die eigentlich diese Fremdinstallationen betreffen, sich weiterhin auch an uns wenden werden“, erklärt das Unternehmen. „Auch wenn wir in den meisten Fällen zu einer ‚Fremd-TI‘ nicht weiterhelfen können werden, wird dadurch Servicezeit in Anspruch genommen, die es zu vergüten gilt. Aufgrund dessen haben wir uns auch entschlossen, an der technischen Installation der ‚Fremd-TI‘ aus Gewährleistungsgründen keine Hand anzulegen, was zur Folge hat, dass der Einmalbetrag derzeit neu kalkuliert wird.“ Wie hoch der neue Betrag für den Anschluss sein wird, steht noch nicht fest.
Die weiteren zusätzlichen Kosten kommen laut Noventi dadurch zustande, dass beim Anschluss des Konkurrenz-Konnektors an die Warenwirtschaft zusätzliche Leistungen anfallen, die gesondert in Rechnung gestellt werden müssen. „Dabei handelt es sich um Aufwände für Schulung und Inbetriebnahme der TI-Software sowie um eine allgemeine Umlage des zu erwartenden erhöhten Serviceaufwands“, so das Unternehmen. Glaubt man Mitbewerber Red Medical, sieht das allerdings etwas anders aus. Demnach funktioniert jeder Konnektor auf identische Weise, nämlich auf Basis der von der Gematik definierten und zertifizierten Schnittstelle. „Jede von der Gematik zertifizierte Software muss mit einem von der Gematik zertifizierten Konnektor zusammenarbeiten, ohne dass es einer zusätzlichen Hardware, Software oder Installation bedarf. Dies schreiben die Gematik-Spezifikationen vor“, sagt Geschäftsführer Jochen Brüggemann. „Wenn eine Software also den selbst vertriebenen Konnektor anbinden kann, dann ist nicht einzusehen, warum die Anbindung eines anderen Konnektors erhebliche Mehraufwände erzeugt.“
Den Vorwurf, die Apotheker auf deren Kosten davon abhalten zu wollen, bei der Konkurrenz zu buchen, weist Noventi hingegen entschieden zurück. „Noventi und dessen Tochterunternehmen verhalten sich ihrer Marktposition gemäß allen Mitbewerbern gegenüber gleich und auch diskriminierungsfrei. Dies bedeutet, dass selbstverständlich auch TI-Lösungen übriger Anbieter an die Awinta-Warenwirtschaft angeschlossen werden.“ Deshalb wolle das Unternehmen noch einmal darauf hinweisen, dass diese Aufwände nur entstünden, wenn die Konnektoren eines anderen Anbieters an die Warenwirtschaft der Awinta-Kunden angeschlossen werden sollen.
Schneller und eindeutiger ist die Frage nach den Zusatzgebühren für einen Fremdanschluss bei ADG beantwortet. „Die Anbindung der TI Dritter wird nicht unterstützt, folglich gibt es diesbezüglich kein Preismodell“, teilt die Phoenix-Tochter auf Anfrage mit. Wer ein ADG-Warenwirtschaftssystem hat, dem bleibt demnach keine Wahl, als auch dort den Konnektor zu kaufen. Das Unternehmen begründet das mit Sicherheitsbedenken: Die ADG kläre ihre Kunden in Gesprächen darüber auf, dass hinsichtlich des Konnektors die Fragen des Datenschutzes, der Verantwortlichkeiten und der Haftung bei Störungen wesentlich sind. Die Mitarbeiter seien stets für die Vor-Ort-Apotheken da, aber: „Wir können nur unterstützen, wenn sich technische Probleme in unserem Verantwortungsbereich ereignen. Daher empfehlen wir unseren Kunden, unnötige Risiken zu umgehen, indem sie sich im sicheren Umfeld der ADG Infrastruktur bewegen.“
Mit der Sicherheit argumentiert auch Pharmatechnik, betont aber, grundsätzlich alle Gematik-zertifizierten Konnektoren anzubinden. „Durch Anbindung einer TI-Lösung, die nicht von Pharmatechnik kommt, entsteht ein Mehraufwand, den es zu bewerten gilt“, so das Unternehmen. „Wir können heute noch nicht sagen, wie hoch diese Kosten sein werden, wir haben Kalkulationen und Abschätzungen erstellt, jedoch liegt uns noch kein bestätigtes Preismodell vor.“ Allerdings: Bereits im Mai hat das Unternehmen eine Preisaufstellung samt jener Gebühren für den Fremdanschluss an eine Apothekenkooperation mit mehr als hundert Mitgliedern versandt. Aus der Preistabelle geht hervor, dass Pharmatechnik mindestens zu dieser Zeit 990 Euro für den einmaligen Fremdanschluss sowie daraufhin 49 Euro im Monat für die „Integrationsschnittstelle Fremd-TI“ veranschlagt hat – unabhängig davon, ob es sich bei dem Fremdkonnektor um ein klassisches TI-Anschlussmodell handelt oder einen im Rechenzentrum gehosteten Konnektor.
Ähnliche Preise kolportieren auch Apotheker, die CGM-Kunden sind. Doch CGM äußert sich auf Anfrage nicht zu konkreten Preismodellen und Mehraufwand, sondern verweist ausschließlich auf die kürzlich getätigten Aussagen von TI-Vertriebschef René Dunkel. Damit seien aus Sicht von CGM alle Fragen zum Thema beantwortet worden. Er könne als Vertriebsleiter für die Telematikinfrastruktur nicht genau sagen, wie die CGM-Tochtergesellschaft CGM Lauer den Preis für den Anschluss kalkuliert hat, erklärte er Ende Juli. „Weitere Konnektoren oder Angebote haben bisher keine Zulassung, sodass man sich mit der Frage auch noch gar nicht so intensiv beschäftigen kann als Lauer Fischer“, so Dunkel. „Aber es ist natürlich dann auch gegeben, dass man im Support, bei den Technikern, weiteres Know-how aufbauen muss. Konnektorenoberflächen unterscheiden sich, die Konstellationen unterscheiden sich und ich kann mir vorstellen, dass darüber der höhere Preis gerechtfertigt ist.“
Kemmritz – die als Inhaberin der Falken-Apotheke in Berlin-Weißensee auch selbst vor der Entscheidung steht – zeigt sich demgegenüber skeptisch, was die Rechtfertigungen für den Kostenaufwand angeht. „Es kann und darf jedenfalls nicht sein, dass die Apothekerinnen und Apotheker bei der Anbindung an die TI draufzahlen, weil beispielsweise der Anschluss externer Konnektoren durch den einen oder anderen Warenwirtschaftsanbieter mit einer nicht nachvollziehbar hohen Gebühr veranschlagt wird“, sagt sie und verweist auf mögliche zusätzliche Probleme mit den laufenden Fristen: „Diese Gebühr könnte sonst mit ursächlich dafür sein, dass einige Apotheken sich nicht an die TI anbinden können, weil sie die geforderten Anschlussgebühren nicht bezahlen können und wollen, da sie sie letztendlich auch nicht in voller Höhe über die Refinanzierungsvereinbarung erstattet bekämen, wenn die Gesamtförderungssumme bereits ausgeschöpft ist.“
APOTHEKE ADHOC Debatte