Kommt ein vergleichsweise junger Kunde in die Apotheke, verlangt nur Traubenzucker, aber eine Quittung – dann ist das vermutlich ein Spion. Ganz sicher kann man sich sein, wenn er sich in der Offizin auch noch sehr aufmerksam umsieht und anschließend von außen fotografiert. Und dann gibt es noch studentische Microjobber, die sich gleich in der Apotheke zu erkennen geben, dafür aber auch die Regale fotografieren wollen. Auftraggeber ist jeweils die Pharmaindustrie.
Microjobs sind derzeit sehr angesagt: Über Apps wie sind Streetspotr oder Appjobber kann man ganz einfach von unterwegs ein wenig Kleingeld dazuverdienen. Das Prinzip ist recht simpel: Man meldet sich an, bestätigt mit ein paar Klicks Volljährigkeit und Datenschutzbestimmungen und schon kann losgejobbt werden. Durch die Annahme eines Auftrags kann man in einem begrenzten Zeitraum bestimmte Aufgaben erfüllen und sich nach erfolgreicher Überprüfung einen Betrag zwischen drei und 15 Euro gutschreiben lassen.
Neben Mystery-Shopping in Tankstellen und Supermärkten liegen zuweilen auch Apotheken im Fokus. Nur bekommen diese das je nach Auftrag und Anbieter gar nicht mit. Bei Streetspotr etwa heißt die Kategorie „Apotheken-Check“. In einer aktuellen Aufgabe geht es darum, Produkte und Werbematerialien der Sommerpromotion „Urlaub gebucht. Reiseapotheke gecheckt?“ von Johnson & Johnson zu überprüfen. Eine Streetspotr-Sprecherin wollte auf Nachfrage weder bestätigen noch dementieren, dass der Pharmakonzern der Auftraggeber ist.
Die Aufgabenstellung ist allerdings mehr als ein Indiz: Die Tester bekommen eine Liste mit Namen und Adresse der Apotheke sowie ein Informationsschreiben. Beim Job zur Sommerkampagne von Johnson & Johnson soll zunächst eine Außenaufnahme der ausgewählten Apotheke angefertigt werden. Wenn dieser Punkt abgearbeitet wurde, geht es in die Apotheke. Der Microjobber soll sich etwas genauer umschauen: „Kannst du Produkte oder Werbematerial der Sommerpromotion „Urlaub gebucht. Reiseapotheke gecheckt?“ (Dolormin, Imodium, Nicorette und/oder Microlax) in der Apotheke finden?“ Beispielbilder der Produkte sind ebenfalls in der Jobbeschreibung abgebildet. Die Jobber sollen sich die Regale hinter dem HV-Tisch genau ansehen.
Ganz oben in dem Schreiben gibt es jedoch einen wichtigen Hinweis: „Beachte: da keine Innenaufnahmen erstellt werden dürfen, ist der Kauf einer Kleinigkeit z.B. Traubenzucker verpflichtend. Dieser Produktkauf ist bereits in der Vergütung enthalten.“ Gelb markiert heißt es: „Solltest du entgegen der Aufgabenstellung Innenaufnahmen erstellen, müssen wir dein Ergebnis leider ablehnen.“
Mit dem Kauf soll nicht die Apotheke entschädigt, sondern wiederum der Testkäufer kontrolliert werden. Wichtig ist, dass der Kassenbeleg aufbewahrt wird, denn dieser dient als Nachweis für den Aufenthalt in der Apotheke. Nach Verlassen der Apotheke gehört das Erstellen von Schaufensteraufnahmen zum letzten Aufgabenpunkt . Betont wird hier, dass die Mitarbeiter der Apotheke nicht mitbekommen sollen, dass Fotos gemacht werden. Mit dem Einsatz verdient der Microjobber fünf Euro.
Für alles, was in der App passiert, übernimmt Streetspotr die Haftung, erklärt Community Managerin Natascha Müller. Das umfasst die rechtliche Prüfung auf Seiten des Anbieters. Es gibt aber eine Ausnahme: Die Kommunikation mit den gelisteten Apotheken kann nicht gewährleistet werden. Da die Adress- und Standortlisten in den meisten Fällen direkt von den Auftraggebern – also den Herstellern – kommen, haften diese auch dafür. Beschwert sich eine Apotheke über die Listung in der App, sind sie beim Anbieter an der falschen Adresse.
Etwas anders gestalten sich die Testkäufe, die Procter & Gamble (P&G) beim Anbieter AppJobber in Auftrag gibt. Bereits seit Anfang 2018 werden „Laien-Marktforscher“ in die Offizin geschickt. Diese stellen sich mit einem Anschreiben des Herstellers vor und bitten darum, eine der temporären Werbeaktionen zu begutachten. Aktuell trifft das auf aktuelle Kampagne zu Vigantolvit zu. Dies beinhalte unter anderem den Aufbau und die Umsetzung. Erklärt ein Unternehmenssprecher. Zudem solle der „AppJobber“ auch Fotos vor Ort machen – mit Erlaubnis des Inhabers.
Bei den Apothekenbesuchen geht es laut P&G nicht um die Kontrolle einzelner Kunden: Es handele sich „keinesfalls um die ‚Überprüfung‘ einzelner Apotheken, uns interessiert nicht die Umsetzung in einer einzelnen Apotheke, sondern ausschließlich eine aggregierte Betrachtung“, sagt der Sprecher. Ziel des Unternehmens sei es, besser zu verstehen, wie Werbeaktionen ausgeführt werden und wo gegebenenfalls Optimierungsbedarf bestehe. „Es handelt sich somit um eine Form der Marktforschung, die wir gezielt nutzen, um unsere Werbeaktionen zu optimieren, was nicht zuletzt ja auch im Interesse der Apotheker liegt.“ Das sei durchaus „gängige Praxis in unserer und anderen Industrien“.
Die Apothekendaten erhält der App-Anbieter von P&G: „Wir stellen unserem Dienstleister die gesamte Liste der Apotheken zur Verfügung, die an unserer spezifischen Werbeaktion teilnehmen. Daraus wählt der Dienstleister eine repräsentative Auswahl an AppJobbern aus, die auf unsere Bitte hin über eine gewisse Erfahrung in Besuchen von Apotheken verfügen müssen“, sagt er.
Diese würden lokal den Apotheken zugeordnet und aufgefordert, diese zu besuchen. Dies geschehe freiwillig gegen ein kleines Honorar für den individuellen Aufwand des jeweiligen „AppJobbers“. Sie sollten sich laut P&G direkt in der Apotheke zu erkennen geben und das Anschreiben vorzeigen. „Selbstverständlich kann dann der Apotheker entscheiden, ob er dies zulässt oder unterbindet“, so der Sprecher. Zudem könne er sich über die genannten Kontaktdaten jederzeit an das Unternehmen wenden und sich auch komplett aus der Liste der App streichen lassen.
Die Resonanz sei „ganz überwiegend positiv“, so der Sprecher. „Zum einen erhalten wir aus dieser Form der Marktforschung extrem wertvolle Einsichten, die uns dann helfen, unsere Werbeaktivitäten gezielt zu optimieren, dies ja durchaus auch ganz im Interesse der beteiligten Apotheken.“ Zum anderen laufe die Umsetzung in den Apotheken reibungslos, es gebe nur sehr vereinzelt Inhaber, die nicht mitmachen wollten. „Und das respektieren wir dann selbstverständlich.“
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