Großhändler fühlen sich oft gegenüber Versandapotheken diskriminiert. Während sie selbst aufgrund der EU-Richtlinie Good Distribution Practice (GDP) für viel Geld ihre Flotten umrüsten müssen, verschicken die Versandapotheken ihre Päckchen ungesehen der Lagerbedingungen mit der normalen Post. Eine Studie des European Institut for Pharma Logistics (EIPL) hat dies jetzt noch einmal nachgewiesen. Die Ergebnisse der Temperatur-Studie im Versandhandel seien „alarmierend“.
EIPL hatte Anfang des Jahres bei Versandapotheken online verschiedene Medikamente bestellt. Gleichzeitig wurden 100 Test-Päckchen mit Temperatur-Sensoren verschickt, verteilt auf die fünf von Online-Apotheken standardmäßig gewählten Paketdienstleister. Diese Päckchen kamen als unzustellbar zurück, da bewusst ein falscher Empfänger angegeben war. Auf diese Weise konnten die Temperaturbedingungen beim Transport über die Paketdienste nachvollzogen werden. Die Päckchen gingen nach Hamburg, Köln, Dresden, Rosenheim und Fulda, um möglichst viele verschiedene Regionen abzudecken. Sechs Päckchen gingen vollständig verloren.
Die Ergebnisse der Temperatur-Studie seien alarmierend, so EIPL. „Erstens zeigte sich, dass auch temperatursensible Medikamente von den Online-Apotheken nur in normalen Versandkartons geliefert wurden – und damit unzureichend geschützt vor zu tiefen oder zu hohen Temperaturen. Zweitens verdeutlicht die Daten-Auswertung der mit Sensoren bestückten Päckchen, dass die Temperaturbedingungen in vielen Fällen nicht eingehalten werden können.“ Die gemessenen Temperaturen während der Zustellung schwankten zwischen -12,5°C und +35,9°C – im letzteren Fall vermuten die Studienautoren, dass das Päckchen im Fußraum oder auf dem amaturenbrett abgelegt wurde, wo es der Heizungsluft direkt ausgesetzt war.
Zu den bestellten Medikamenten zählte ein Paracetamol-Saft von Stada, der laut Fachinformation nicht unter +8°C zu lagern ist – und damit laut GDP so zu transportieren ist. Die zeitgleich mit demselben Dienstleister versandten Test-Päckchen mit den Temperatur-Sensoren zeigten, dass die Pakete während der Auslieferung Temperaturen von bis zu -12°C ausgesetzt waren – und das in bis zu 48 Stunden Versandzeit. „Vom Hersteller haben wir die klare Aussage erhalten, dass dieses Produkt in solch einem Fall keinesfalls mehr verwendet werden soll“, sagt EIPL-Geschäftsführer Christian Specht. „Denn laut Hersteller kann die Wirksamkeit dann nicht mehr garantiert werden.“ Ferner bestellt wurden Bromelaintabletten hysan (Ursapharm), Mutaflor (Ardeypharm), Lamisil (Novartis), Aspirin (Bayer) und Ibuprofen 400 (Aliud).
Die Messungen ließen zudem darauf schließen, dass die eigentlich temperiert zu transportierenden Medikamente in herkömmlichen Fahrzeugen ohne aktive Temperaturführung befördert wurden. Hinzu kommt, dass der temperatursensible Paracetamol-Saft in einem Fall sogar mit kühlpflichtigen Medikamenten geliefert wurde – zusammen mit einem Kühl-Akku in der Verpackung.
Dabei bedürfen laut Studie schätzungsweise 20 Prozent aller OTC-Arzneimittel einer Lagerung in einem bestimmten Temperaturbereich (qualifizierte Lagerung). Relevant für die Praxis sind vor allem die gekühlte Lagerung (2-8°C) und Lagerung bei Raumtemperatur (15-25°C). Betroffen sind sehr gängige Produkte wie Nasensprays, Augentropfen, Sirups und Säfte, aber auch Hartkapseln.
„Die zitierten Fallbeispiele sind lediglich ein Ergebnis unserer unabhängigen Studie, die viele weitere Schwachstellen aufgedeckt hat“, so EIPL-Geschäftsführer Specht. Das Institut hat laut eigener Aussage bewusst die Transportqualität untersucht, die in der öffentlichen Diskussion oft zu wenig beleuchtet werde. „Aus unserer Sicht zeigt der Feldtest deutlich auf, dass das Konzept der Online-Versandapotheken nicht aufgeht. Denn beim jetzigen Versandweg über die herkömmlichen Paketdienstleister bleiben die Transportqualität und damit die Patientensicherheit ganz klar auf der Strecke“, warnt Specht.
Der EIPL-Geschäftsführer hat kein Verständnis für Pfennigfuchserei in diesem Bereich: „Es kann nicht sein, dass wegen einer Ersparnis von wenigen Cent bis Euro die Gesundheit riskiert wird – im Paracetamol-Beispiel sprechen wir über 0,16 bis 1,78 Euro Ersparnis gegenüber der unverbindlichen Preisempfehlung“, so Specht. Aus seiner Sicht müssten Versandapotheken GDP-Kriterien genügen. Das EIPL fordert den Gesetzgeber auf, diese Schwachstelle zu beheben und eine klare Regelung bezüglich der Distribution der Online-Apotheken zu erlassen.“
Das EIPL ist ein Dienstleister für alle Unternehmen entlang der pharmazeutischen Lieferkette. Das Institut unterstützt Firmen bei der Qualifizierung von Fahrzeugen und Personalschulungen im Sinne der EU-GDP-Guideline. Zum Geschäftsmodell zählen ferner Audits und das Erstellen von GDP-konformen Qualitätssicherungssystemen.
Die Apothekerkammer Nordrhein hatte bereits im Sommer 2015 einen ähnlichen Test durchgeführt. Kammerpräsident Engelen hatte von der Geschäftsstelle in Düsseldorf und seiner Grenzland-Apotheke in Herzogenrath aus zwei Pakete mit Temperaturloggern an einen Kollegen in Bad Wiessee am Tegernsee geschickt. Auf dem Weg nach Süden maß der Temperaturlogger fast 80 Prozent der Zeit über mehr als 25 Grad, auf dem Rückweg zwar nur in 43 Prozent – dafür aber eine Höchsttemperatur von knapp 33 Grad.
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