Digitalisierung

Teleclinic prescht mit E-Rezept vor

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Berlin -

Seit Mai gibt die ABDA bei der Digitalisierung plötzlich Vollgas: Mitte 2020 wollen die Apotheker mit ihrem elektronischen Rezept bundesweit an den Start gehen. Es geht um Macht und Marktanteile. Doch während die ABDA noch projektiert, sind andere bereits ein gutes Stück weiter. Das Münchner Start-up Teleclinic hat als einziger Anbieter bereits ein funktionsfähiges E-Rezept im Markt – nicht nur in einem kleinen Pilotprojekt in Baden-Württemberg, sondern bundesweit. Und hebelt dabei mit Unterstützung des Deutschen Apothekerverlags (DAV) das von Ex-Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) verhängte DrEd-Verbot aus.

300 Ärzte nutzen laut Teleclinic aktuell die Software zur ambulanten Telemedizin. Auf diese Weise bieten diese Mediziner Sprechstunden an – bis jetzt ausschließlich für Privatpatienten. Damit die Sache richtig rund läuft, stellen 60 dieser Ärzte bereits E-Rezepte aus. Diese gelangen mit Hilfe von Apotheken.de in eine der 7000 angeschlossenen Apotheken. 200 solcher Rezepte wurden nach Angaben von Teleclinic-Geschäftsführerin Katharina Jünger in den vergangenen Wochen und Monaten ausgestellt und über das Portal des Deutschen Apothekerverlags in die nahe gelegenste Apotheke digital übermittelt. Alles kleine Pilotprojekte, alles kleine Ausnahmen vom DrEd-Verbot, das Apothekern eigentlich die Bedienung von Rezepten aus Fernbehandlungen untersagt?

Angefangen hat alles in Baden-Württemberg. Seit 2006 bietet Teleclinic seine Software für Fernbehandlungen an. Der Durchbruch gelang dem Start-up aber erst mit einem Pilotprojekt für Privatpatienten im „Ländle“. Im Rahmen des Modellprojekts der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KV) genehmigte Landessozialminister Manfred Lucha (Grüne) das Ausstellen von Rezepten im Zuge telemedizinischer Behandlungen.

„Das Ministerium für Soziales und Integration begrüßt die baden-württembergischen Modellprojekte zur Fernbehandlung ausdrücklich. Solche Ansätze können künftig einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die ärztliche Versorgung auch in Zukunft auf qualitativ hohem Niveau in der Fläche des Landes zu erhalten. Das Ministerium wurde von den Projektdurchführenden angefragt, ob im Rahmen der bundesweit einzigartigen Modelle auch elektronische Rezepte über verschreibungspflichtige Arzneimittel ausgestellt werden dürfen. Wir halten dies im Rahmen einer modellhaften Erprobung gemäß der in den bundesrechtlichen Vorschriften angelegten Ausnahmetatbestände für zulässig“, so das Ministerium.

Bei der rechtlichen Begründung holte Lucha allerdings weit aus: Nach dem Wortlaut des Arzneimittelgesetzes (AMG) sei eine Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel „ohne einen offenkundigen Arzt-Patienten-Kontakt dem Grundsatz nach nicht zulässig“, schrieb das Sozialministerium in einer Stellungnahme. Allerdings gebe es darin eine „Öffnungsklausel, nach welcher in begründeten Ausnahmefällen von diesem Grundsatz abgewichen werden kann, insbesondere, wenn die Person dem Arzt oder Zahnarzt aus einem vorangegangen direkten Kontakt hinreichend bekannt ist und es sich um die Wiederholung oder die Fortsetzung der Behandlung handelt“.

Die Landesregierung vertritt in Bezug auf die Öffnungsklausel die großzügige Auffassung, dass durch die „insbesondere“-Formulierung auch begründete Ausnahmefälle möglich sind, die einer Wiederholung oder Fortsetzung einer Behandlung gleichstünden. In der Begründung stelle der Gesetzgeber nämlich fest, dass Ausnahmen möglich seien, wenn „das Vorgehen einer gewissenhaften Versorgung mit geeigneten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft“ entspreche.

Werde dieser medizinisch-wissenschaftliche Standard im Rahmen einer Fern-/Erstbehandlung mittels Internet und/oder Telefon auch unter Beachtung der allgemeinen berufsrechtlichen Pflichten bei der Ausübung des Arztberufs eingehalten, gehe das Ministerium davon aus, dass ein begründeter Ausnahmefall vorliege, der eine Abweichung vom Grundsatz des unmittelbaren Arzt-Patienten-Kontakts zulasse.

Darauf beruft sich Teleclinic auch außerhalb von Baden-Württemberg und sieht deshalb in der Übermittlung von E-Rezepten durch den Kooperationspartner Apotheken.de keinen Rechtsbruch. Seitdem verordnen auch Ärzte beispielsweise in Schleswig-Holstein via E-Rezept Arzneimittel für Privatpatienten.

Außerdem hat Teleclinic sein E-Rezept auch im Bundesgesundheitsministerium (BMG) vorstellt und ist dort auf großes Interesse gestoßen. Das BMG signalisierte, dass das DrEd-Verbot ohnedies im kommenden E-Health-Gesetz wieder aufgehoben werden soll. Damit ist Teleclinic zur Zeit der erste und einzige Anbieter im deutschen Markt, der ein technisch funktionsfähiges und behördlich geduldetes E-Rezept einschließlich der notwendigen digitalen Arztsignatur anbieten kann. Außerdem ist das Angebot Teleclinic zufolge auch mit der Telematik-Infrastruktur der Gematik kompatibel, über die künftig alle eHealth-Angebote abgewickelt werden müssen.

Weil das neugierig macht, erhielt Teleclinic eine Einladung zum Telemedizin-Gipfel im BMG: Ärzte, Kassen, Krankenhäuser und Pflegeheime saßen dort Mitte Juni an einem Tisch mit Teleclinic, um über die Beschleunigung der Digitalisierung zu diskutieren. Nicht dabei geladen war die ABDA. Bremser könne man dabei nicht gebrauchen, ließ das BMG dazu wissen.

Inzwischen hat die ABDA reagiert und in Windeseile ein eigenes E-Rezept-Konzept – zumindest auf dem Papier – aus dem Boden gestampft. Auch die Apothekenrechenzentren positionierten sich. Noventi mit circa 30 Prozent Marktanteil setzt auf seine Callmyapo-App. Im Markt wird erwartet, dass sich in wenigen Wochen NARZ, ARZ Haan und das Berliner Rezeptabrechnungszentrum zu einem E-Rezept-Konsortium zusammenschließen. Hier wären 50 Prozent des Marktes gebündelt. Wohin die Reise bei ARZ Darmstadt geht, scheint noch offen. Die drei dort maßgeblichen Apothekerverbände Rheinland-Pfalz, Hessen und Saarland haben sich noch nicht entschieden, auf welche Seite sie sich schlagen wollen.

Und überall mischt Teleclinic mit. Für das E-Rezept im GKV-Sektor sucht man neue Kooperationspartner, für Apotheken.de wäre das eine Nummer zu groß, heißt es. Nach eigenen Angaben kooperiert das Start-up mit der ABDA. Gespräche gibt es auch mit Noventi. Gerüchte halten sich hartnäckig, dass die Münchener an einer Teleclinic-Beteiligung interessiert sind.

Und wieder ist Teleclinic der Konkurrenz einen Schritt voraus. Ab Ende September bietet das Unternehmen erstmals Tele-Krankschreibungen für Privatpatienten an. Fünf Tage im Quartal sind möglich und eine Folgebescheinigung. Voraussetzung: Der Arbeitgeber spielt mit. Legt dieser Widerspruch ein, muss der Arbeitnehmer persönlich zum Arzt in die Praxis gehen. Als weiteren Schritt sind laut Jünger Facharztüberweisungen geplant. Dann verfügt Teleclinic über wesentliche Komponenten der alltäglichen Abläufe in Arztpraxen. Soweit sind weder Ärzte noch Apotheker.

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