Teleclinic kann im Moment wegen eines technischen Problems keine Rezepte an Vor-Ort-Apotheken versenden. Statt die Rezeptausstellung deshalb einzustellen, lässt sie den Patienten nur eine Wahl: Entweder er schickt es an eine Stuttgarter Versandapotheke – oder er kann es gar nicht einlösen. Ein betroffener Patient erhebt hingegen schwere Vorwürfe gegen Teleclinic: Er hätte dringend Arzneimittel für seine Tochter benötigt, doch sei vorab in die Irre geführt worden. Eine postalische Zusendung des Papierrezepts, wie von Teleclinic behauptet, sei nicht möglich. Dass er das E-Rezept nicht in einer Vor-Ort-Apotheke einlösen kann, merkte er erst, als er schon in einer stand. Teleclinic-Geschäftsführerin Katharina Jünger weist die Vorwürfe zurück. Das Problem sei nur zustande gekommen, weil apotheken.de die Zusammenarbeit Hals über Kopf aufgekündigt hat.
Michael Bergner* hatte es wahrlich eilig: Seine 6-jährige Tochter war von einer Wespe gestochen worden und der Stich entzündete sich. Bergner lebt auf dem Land, bis zum nächsten Kinderarzt ist es weit und obwohl er Privatpatient ist, war er sich nicht sicher, ob er schnell genug einen Termin bekommt. „Da habe ich mich erinnert, dass ich von meiner Versicherung Werbung für Teleclinic bekommen habe“, erzählt er. „Also dachte ich mir, ich probiere das mal aus.“ Schneller und bequemer soll es ja sein, wie die Werbung verspricht. Also buchte er einen Termin für eine Videosprechstunde und geriet an einen nach seiner Aussage absolut patenten und freundlichen Arzt, der ihm Rivanol, Cortison und sterile Kompressen verschrieb.
„Der Arzt hat mich auch explizit darauf hingewiesen, dass ich mit dem Rezept in eine Apotheke gehen soll. Der Stich ist nahe am Ellenbogengelenk und er meinte, ich solle mit dem Auftragen der Salbe keine 24 oder 48 Stunden mehr warten, da eine weitere Verschlimmerung auch dem Gelenk schaden könnte“, erzählt er. Bergner schaute also in die App unter „angeschlossene Apotheken“ und fand: nichts. „Die Karte war komplett leer, da war kein einziger roter Punkt.“ Das verwirrte ihn nicht zuletzt deshalb, weil in der Bestätigungsmail von Teleclinic, die APOTHEKE ADHOC vorliegt, explizit steht: „Ein Rezept wurde für Sie ausgestellt und liegt in der Teleclinic App bereit. Sie können das Rezept über die App an eine Apotheke zur Abholung übermitteln oder Lieferung durch eine Versandapotheke wählen.“
Also ging Bergner in seine Stammapotheke und zeigte die Verordnung in der App vor. Das sollte sich noch als Glück im Unglück herausstellen. Auch der Pharmazeut konnte mit der App nichts anfangen. „Da war oben die Verordnung abgebildet und darunter ein Button, auf dem ‚Rezept einlösen‘ steht“, erinnert sich Inhaber Jens Huber*. „Es gab auch keine Funktion, mit der man das Rezept ausdrucken oder per Mail verschicken konnte. Deshalb wusste ich gar nicht, wie ich an das Rezept kommen soll.“ Also tippte er auf „Rezept einlösen“ – und erhielt die Bestätigung, dass es an die Apotheke Mache in Stuttgart geschickt wurde und die die Arzneimittel an die angegebene Lieferadresse verschickt.
Was also tun? Der Arzt hatte ihm explizit gesagt, dass er nicht warten soll. Also gab Huber ihm im guten Vertrauen trotzdem alles ab, auch das verschreibungspflichtige Cortison, und versicherte ihm, dass sie das schon geregelt kriegen. Irgendwie würden sie schon an das Rezept kommen. Huber schrieb an Teleclinic und fragte, was denn da nun los sei. Die Antwort folgte umgehend: „Es gibt zur Zeit leider ein Problem mit der Schnittstelle zu lokalen Apotheken, das wir gerade zu beheben versuchen“, heißt es in der Antwortmail. „Bis dahin können unsere Rezepte nur über unsere Online-Apotheke eingelöst werden.“
Huber schrieb zurück und beschwerte sich über das Vorgehen. Es könne nicht angehen, dass er Patienten abweisen muss, sollten die mit einem Rezept über verschreibungspflichtige Arzneimittel zu ihm kommen. „Ja, das kann ich gut verstehen“, antwortete ihm Teleclinic prompt. „Eigentlich werden unsere Patient*innen mehrmals vor Terminbuchung darauf hingewiesen, dass unsere Rezepte nicht bei Apotheken vor Ort und schon gar nicht ohne elektronische Übermittlung eingelöst werden können.“ Doch dem widerspricht Bergner. Im Nachhinein habe er es nochmal überprüft und sei zu dem Schluss gekommen: „Es stimmt schon, dass ganz am unteren Ende in den Farben, in denen die ganze App gehalten ist, klein darauf hingewiesen wird, dass derzeit keine Vor-Ort-Apotheken angebunden sind.“ Das habe er sicherlich bei der Terminbuchung übersehen – doch in allen anderen Nachrichten und Hinweisen sei davon nirgends die Rede gewesen.
Und vor allem: Der Arzt selbst wusste davon offensichtlich nichts. Im Gegenteil wies er ihn ja explizit darauf hin, dass er in eine Vor-Ort-Apotheke gehen soll. „Das hat mich in der Annahme bestärkt, dass das auch geht. Eigentlich hätte der Arzt in dem Moment sofort abbrechen und mich in eine Praxis schicken müssen“, sagt er. Dass der Arzt offensichtlich nichts von dem Problem wusste, mache ihn wütend. „Wenn ich in meinem Unternehmen eine solche Schieflage in einem so zentralen Prozess habe, dann muss ich doch die Ärzte, mit denen ich arbeite, sofort darüber informieren!“ Und auch die Kundenkommunikation sei absolut nicht ausreichend gewesen, kritisiert er. „Für den Patienten ist irreführend, nicht ausreichend darauf hingewiesen zu werden.“
Huber und Bergner scheinen bei Weitem nicht die einzigen zu sein, die das im Moment erregt. „Wir erhalten gerade viele Anrufe von Apotheken, die uns fragen, warum sie keine Rezepte mehr empfangen können“, sagt Teleclinic-Geschäftsführerin Katharina Jünger. Den Vorwurf, der Hinweis an die Patienten sei ganz am Ende versteckt gewesen, weist sie ebenfalls von sich. „Das steht da groß und fett gedruckt.“ Auch um eine Zuweisung handele es sich keineswegs, denn: „Der Patient hat die Möglichkeit, bei unserem Kundenservice anzurufen und sich das Rezept per Post zusenden zu lassen.“ Glücklich sei sie mit dieser analogen Lösung natürlich auch nicht, aber auf die Schnelle gehe es nicht anders. Denn die Ursache des Problems liege nicht bei Teleclinic, sondern bei apotheken.de. Denn nur einen Tag, nachdem die Übernahme von Teleclinic durch DocMorris bekanntgegeben wurde, verkündete der Geschäftsführer des Deutschen Apotheken Verlags, Dr. Christian Rotta – der apotheken.de betreibt – dass damit eine rote Linie überschritten sei und die Zusammenarbeit mit Teleclinic mit sofortiger Wirkung beendet werde.
Jünger gibt den Vorwurf nun weiter: Der Deutsche Apotheker Verlag sei vor dieser Ankündigung gar nicht an Teleclinic herangetreten. „Von der Beendigung der Zusammenarbeit haben wir selbst erst aus der Presse erfahren“, sagt sie. „Wir würden liebend gern weiter digitale Rezepte an die Vor-Ort-Apotheken schicken, aber uns wurden ohne Vorwarnung die Schnittstellen zu apotheken.de gesperrt, sodass wir auf die Schnelle noch keine andere digitale Lösung entwickeln konnten.“ Sie versichert allerdings, bereits mit Hochdruck an einer neuen Lösung zu arbeiten und bereits mit zahlreichen Vor-Ort-Apotheken im Gespräch zu sein, um zeitnah eine neue Anbindung einzurichten.
Bergner indes weist Jüngers Einwand zurück: Nicht nur sei er an keiner Stelle auf diese vermeintliche Möglichkeit hingewiesen worden, sich ein Papierrezept per Post zusenden zu lassen – ihm sei von der Kundenberatung sogar explizit gesagt worden, dass das nicht gehe. „Ich habe die Kundenberaterin gefragt, ob es eine andere Möglichkeit gibt, an das Rezept zu kommen. Sie sagte mir, das geht nicht“, wendet er ein. „Hätte es die Möglichkeit gegeben, mir das Rezept für 80 Cent Porto zuschicken zu lassen, hätte ich das doch gemacht und es dann in der Apotheke nachgereicht.“ Stattdessen habe die Kundenberatung einen anderen Weg gewählt, ihm auszuhelfen: Ihm wurde die Rechnung für die Videosprechstunde erlassen.
*Name geändert, der echte Name ist der Redaktion bekannt.
APOTHEKE ADHOC Debatte