Lange sah es traurig aus für die deutsche Biotech-Szene, trotz viel versprechender Projekte – die großen Deals wurden in den USA gemacht. Doch ausgerechnet in der Corona-Krise richtet sich die weltweite Aufmerksamkeit auf zwei hiesige Unternehmen, deren Eigentümer sich seit Jahren ein Wettrennen liefern.
Dietmar Hopp hatte als Mitgründer des Softwarekonzerns SAP ein Vermögen gemacht, den Brüdern Thomas und Andreas Strüngmann erlösten mit dem Verkauf von Hexal an Novartis mehr als 6 Milliarden Euro. In beiden Fällen sollte eine innovative medizinische Therapie das unternehmerische Erbe krönen – Hopp und die Strüngmanns waren daher in den vergangenen Jahren nicht nur die wichtigsten, sondern nahezu einzigen Biotech-Investoren in Deutschland.
Die Strüngmanns investierten in Firmen wie 4SC, Apceth, Formicon, Ganymed, Glycotope, Inmatics, Medigene und Nexigen. Dabei gab es eine Reihe von Fehlschlägen, aus einigen Beteiligungen hat sich die Familie wieder zurückgezogen. Die wohl größten Erfolge erzielte Aicuris, die ehemalige Antiinfektiva-Sparte von Bayer: 2012 sicherte sich der US-Pharmakonzern Merck die Rechte für mehrere Präparate zur Behandlung des humanen Zytomegalie-Virus (HCMV). Obwohl mittlerweile mehr als eine Milliarde Euro investiert wurden, geht es nicht primär um Renditen, sondern vor allem darum, hochwirksame medizinische Innovationen hervorzubringen: „Unser Traum ist es, Medikamente auf den Markt zu bringen, die schwere Krankheiten chronisch beherrschbar machen oder kurativ sind“, sagte Thomas Strüngmann im Dezember im Interview mit dem Handelsblatt. „Wir haben die Vision, ein neues, wirklich innovatives Pharmaunternehmen aufzubauen.“
Hopp wiederum ist er über seine Holding Dievini aktuell an insgesamt zehn Unternehmen – sieben in Deutschland, zwei in der Schweiz, eines in Italien – beteiligt, die fast alle auf Basis tiefer molekularer wissenschaftlicher Erkenntnisse und Technologien Diagnostika, Therapeutika und Impfstoffe gegen schwerste Erkrankungen wie Krebs, bakterielle und virale Infektionserkrankungen, sowie neurodegenerative Erkrankungen entwickeln. Auch er hat sei 2005 einen Milliardenbetrag in 21 Biotech-Firmen gesteckt, darunter AC Immune, Apogenix, Cassiopea, Cosmo, CureVac, Immatics, Joimax, LTS Lohmann, Molecular Health, Novaliq, Sygnis und Wilex. Auch hier gab es Rückschläge, dennoch erklärte Hopp 2017 gegenüber dem Manager Magazin, weiter langfristig Geld in Unternehmen aus der Biotechnologie stecken zu wollen. „Es wird in meinem Vermächtnis stehen, dass wir weiter investieren, wenn auch mit geringeren Einsätzen als bisher.“
Die Hartnäckigkeit könnte sich jetzt auszahlen: Die Tübinger Biotechfirma CureVac soll eine führende Rolle bei der Suche nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus übernehmen; an ihr sind neben Hopp mittlerweile auch die Bill & Melinda Gates Foundation, der Pharmakonzern Lilly sowie verschiedene Privatinvestoren beteiligt. Das Unternehmen wurde zuletzt zum Politikum: Medienberichten zufolge versuchte US-Präsident Donald Trump, den in Entwicklung befindlichen Impfstoff für einen Milliardenbetrag exklusiv für sein Land zu sichern.
Hopp lehnte ab: „Seit wir 2005 dievini gründeten, bin ich davon überzeugt, dass das Verstehen molekularer Zusammenhänge Diagnose und Therapie auch schwerster Erkrankungen für Patienten weltweit transformativ verbessern wird“, gab er in einer öffentlichen Stellungnahme zu Protokoll. „Dem Ziel, alle Menschen vor Infektionen zu schützen und Patienten weltweit besser therapieren und im besten Fall heilen zu können, bin ich ebenso verpflichtet, wie meiner Absicht, nachhaltige innovative Infrastruktur und Arbeitsplätze in Deutschland zu schaffen. Wenn es uns hoffentlich bald gelingt, einen wirksamen Impfstoff gegen das Corona-Virus zu entwickeln, soll dieser Menschen nicht nur regional sondern solidarisch auf der ganzen Welt erreichen, schützen und helfen können. Ich wäre froh, wenn dies durch meine langjährigen Investitionen aus Deutschland heraus erfolgen würde.“
Im Frühsommer soll eine klinische Studie bei CureVac beginnen, die EU will die Firma bei der Entwicklung mit bis zu 80 Millionen Euro unterstützen. „Ich habe große Hoffnung, dass im Spätherbst dieses Jahres ein Impfstoff von CureVac verfügbar sein wird. Dann beginnt die nächste Herausforderung, möglichst viele Dosen zur Verfügung stellen zu können“, sagte Hopp, der übrigens am Sonntag seinen 80. Geburtstag feiert. Mit der vorhandenen Produktionsanlage könne das Unternehmen 400 Millionen Dosen pro Jahr herstellen. „Das klingt zunächst einmal viel, aber die Welt hat acht Milliarden Menschen. Vermutlich wird Anfang 2022 die erweiterte Produktionsanlage dann Milliarden dieser Einheiten produzieren können.“ Aber es gebe ja viele Corona-Impfstoffentwicklungen, von denen hoffentlich einige erfolgreich sein würden.
Eine davon ist der RNA-Impfstoff von BioNTech. Das Mainzer Unternehmen hat gerade vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) die Genehmigung erhalten, ihren Impfstoff an 200 gesunden Freiwilligen im Alter zwischen 18 und 55 Jahren zu testen. Es ist die erste klinische Prüfung eines Impfstoffkandidaten gegen Sars-CoV-2 hierzulande; im Vorfeld der Studie wurde das potenzielle Nutzen-Risiko-Profil des Impfstoffkandidaten sorgfältig bewertet. Dieses Verfahren konnte in nur vier Tagen abgewickelt werden, sodass nun die Erprobung mehrerer gering modifizierter Impfstoffvarianten am Menschen starten kann.
BioNTech arbeitet eigentlich an individualisierten, auf einzelne Patienten zugeschnittenen Immuntherapien gegen Krebs und hat mit seinen Forschungen in der Biotech-Branche Aufsehen erregt. Die Firma entstand 2008 in Mainz und hat mittlerweile mehr als 1100 Mitarbeiter weltweit. Im Herbst sammelte BioNTech beim Börsengang in den USA 150 Millionen Dollar ein, weniger als zunächst geplant. Dennoch war BioNTech laut Thomas Strüngmann einer der höchstbewerteten Börsenneulinge im Biotechbereich. Etwas mehr als 50 Prozent der Anteile liegen nach wie vor bei ihm, seinem Bruder und weiteren Mitgliedern der Familie. Jüngst verkündete BioNTech die Übernahme des US-Krebsspezialisten Neon Therapeutics für 67 Millionen Dollar.
Strüngmann kritisiert die Abhängigkeit von Geldgebern aus den USA: Die industrielle Wertschöpfung werde so dauerhaft ins Ausland abwandern. Sein Finanzchef Helmut Jeggle wurde noch deutlicher und bemängelte fehlende politische Unterstützung: BioNTech könne am Standort Rheinland-Pfalz nicht das gleiche staatliche „Bemühen” feststellen, wie es Tesla beim Bau seiner Autofabrik in Brandenburg oder Siemens bei seinem Start-up-Inkubator in Berlin genieße, monierte er im Gespräch mit „Capital“. Gut möglich, dass sich das mit dem Corona-Impfstoff ändert. Im Moment hat die Strüngmann-Familie mit BioNTech hierzulande die Nase vorn.
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