mRNA-Plattform

Strüngmann: Corona-Impfstoff ist erst der Anfang Patrick Hollstein, 11.11.2020 15:24 Uhr

Dr. Thomas Strüngmann freut sich über den Erfolg von BioNTech (Archivfoto). Foto: Elke Hinkelbein
Berlin - 

Mit den Studienergebnissen zum Corona-Impfstoff BNT162b2 hat BioNTech weltweit für Schlagzeilen gesorgt. Die Medien feiern Firmenchef Ugur Sahin, doch stolz sein können auch die Hexal-Gründer Thomas und Andreas Strüngmann. Sie sind ihrem Ziel, ein originäres Heilmittel für Patienten auf der ganzen Welt zu entwickeln, ein großes Stück näher gekommen.

Nach dem Verkauf von Hexal an Novartis im Jahr 2005 investierten die Strüngmann-Brüder in zahlreiche Branchen und Unternehmen. Auch dem Pharmabereich blieben sie treu: Einerseits gehören ihnen in der Apotheke bekannte Hersteller wie Aristo, Bioeq, Strathos (Siemens/Sidroga) und Klinge. Andererseits pumpten sie mehr als eine Milliarde Euro in unterschiedliche Biotechfirmen – unter anderem BioNTech. Etwas mehr als 50 Prozent der Anteile liegen bei den Zwillingen und weiteren Mitgliedern der Familie.

Entsprechend stolz ist Thomas Strüngmann auf den aktuellen Erfolg des Unternehmens: „Ugur und sein Team haben großartige Arbeit geleistet, in so kurzer Zeit einen Impfstoff gegen Covid zu entwickeln“, sagt er auf Nachfrage. Für ihn sind die vielversprechenden Ergebnisse aber auch eine Bestätigung des Konzepts von BioNTech insgesamt: „Darüber hinaus freue ich mich, dass die mRNA-Platform mit diesem Impfstoff validiert worden ist. Viele neue therapeutische Ansätze können mit mRNA angegangen werden.“

Schon bei Sahins erstem Projekt Ganymed waren die Strüngmann-Brüder als Investoren dabei. Die auf Antikörper gegen Krebs spezialisierte Biotechfirma wurde 2015 für knapp 1,3 Milliarden Euro an den japanischen Pharmakonzern Astellas verkauft. Auch bei BioNTech hat sich der Firmenwert vervielfacht: Wurden die Aktien zum Börsengang für 15 Euro ausgegeben, sind sie mittlerweile mehr als 90 Euro wert.

Dass das Unternehmen die Adresse „An der Goldgrube“ hat, fügen dementsprechend viele Medien augenzwinkernd ihren Berichten über die jüngsten Erfolge hinzu. Aber den Strüngmanns geht es gar nicht primär um Renditen, sondern vor allem darum, hochwirksame medizinische Innovationen hervorzubringen: Ihr Traum sei es, Medikamente auf den Markt zu bringen, die schwere Krankheiten chronisch beherrschbar machen oder kurativ sind, sagte Strüngmann schon vor Jahren. „Wir haben die Vision, ein neues, wirklich innovatives Pharmaunternehmen aufzubauen“, bestätigte er im vergangenen Dezember noch einmal im Interview mit dem Handelsblatt.

BioNTech wurde 2008 gegründet, Sahin leitet das Unternehmen, seine Frau Özlem Türeci, im Hauptberuf Hochschuldozentin ist Chief Medical Officer. Eigentlich arbeiten sie daran, die Therapie für jeden Krebspatienten zu individualisieren. Als die ersten Informationen über das Coronavirus aus China auftauchten, legten sie die laufenden Projekte auf Eis und stürzten sich in die Entwicklung eines Impfstoffs. Lightspeed (Lichtgeschwindigkeit) tauften sie das Projekt.

Dank des eigenen Aktienpakets rangiert das Paar laut Welt am Sonntag mit einem geschätzten Vermögen von 2,4 Milliarden Euro mittlerweile auf Platz 93 der wohlhabendsten Deutschen. Aber das sagt nichts über den Firmenchef: „Er ist ein sehr bescheidener, demütiger Mensch. Alles Äußere ist ihm nicht wichtig“, sagte sein langjähriger Wegbegleiter Professor Dr. Matthias Theobald, stellvertretender Leiter des Universitären Centrums für Tumorerkrankungen UCT Mainz, vor einiger Zeit gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. „Aber er will die Strukturen schaffen, um seine Vision zu verwirklichen, und da ist sein Anspruch dann nicht mehr bescheiden.“

Die Suche nach einer Impfung sehe er als „Menschheitsprojekt“, schreibt Bild: „Je früher ein effektiver Impfstoff verfügbar ist, desto früher können wir alle in unser altes Leben zurückkehren.“

„Dann hätte er auch wieder mehr Zeit für andere Dinge, die ihm wichtig sind: Er lehrt an der Uni Mainz und betreut Doktoranden, da ihm die Ausbildung der nächsten Generation an Wissenschaftlern am Herzen liegt“, heißt es weiter im Bild-Artikel. „Und er ist gerne mit dem Mountainbike unterwegs. Das musste er in den letzten Monaten zu oft zugunsten des Heimtrainers stehen lassen – zur Arbeit fährt er aber immer noch mit dem Rad.“

1965 geboren, kam Sahin laut Bild im Alter von vier Jahren mit seiner Mutter aus der Türkei nach Deutschland; sein Vater arbeitete in Köln bei Ford. Schon als Kind wollte er Mediziner werden, später studierte er in Köln, wo er auch als Arzt an der Uniklinik anfing. An der Uniklinik des Saarlandes in Homburg lernte er seine spätere Frau kennen; zusammen arbeitete das Paar ab 2000 an der Uniklinik Mainz. „Wir haben beide am Patientenbett angefangen“, wird Türeci zitiert. Und dann verrät sie noch, dass sie erst in diesem Jahr geheiratet haben – und direkt nach der Trauung ins Labor zurückgekehrt sind.

Die Strüngmanns investierten auch in anderen Biotechfirmen wie 4SC, Apceth, Formicon, Glycotope, Inmatics, Medigene und Nexigen. Dabei gab es eine Reihe von Fehlschlägen, aus einigen Beteiligungen hat sich die Familie wieder zurückgezogen. Die wohl größten Erfolge erzielte Aicuris, die ehemalige Antiinfektiva-Sparte von Bayer: 2012 sicherte sich der US-Pharmakonzern Merck die Rechte für mehrere Präparate zur Behandlung des humanen Zytomegalie-Virus (HCMV).

BioNTech arbeitet eigentlich an individualisierten, auf einzelne Patienten zugeschnittenen Immuntherapien gegen Krebs und hat mit seinen Forschungen in der Biotech-Branche Aufsehen erregt.