Porträt

Strauchelnder Pharma-Patriarch Yvette Meißner, 10.02.2011 14:32 Uhr

Berlin - 

Innerhalb von wenigen Jahrzehnten hat der Arzt und Apotheker Dr. Jaques Servier ein kleines Labor zum zweitgrößten französischen Pharmaunternehmen aufgebaut. Nun steht der 88-Jährige vor einem Scherbenhaufen. Mit dem Antiadipositum Mediator (Benfluorex) werden in Frankreich 500 bis 2000 Todesfälle in Verbindung gebracht. Der Skandal schlägt große Wellen: Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss hat bereits seine Arbeit aufgenommen, die Arzneimittelzulassung soll verschärft werden. Am Freitag muss sich Servier vor Gericht verantworten. Medienberichten zufolge drohen ihm im Zusammenhang mit dem Skandal vier Jahre Gefängnis.

Mediator, zur Behandlung übergewichtiger Diabetiker zugelassen, war in Frankreich mehr als 30 Jahre lang im Handel. Wegen seiner appetitzügelnden Eigenschaften wurde das Präparat auch bei übergewichtigen Nicht-Diabetikern eingesetzt. Die bekannten kardiovaskluären Nebenwirkungen hatten sowohl Servier als auch die französischen Behörden ignoriert. Erst mit dem Widerruf der Zulassung durch die Europäische Arzneimittelagentur Ende 2009 verschwand Mediator auch vom französischen Markt.

Das heutige Unternehmen geht auf einen Sirup-Hersteller mit neun Angestellten zurück, den Servier 1954 übernommen hatte. Von Anfang an setzte der Firmeninhaber auf Schnelligkeit und Wachstum: Innerhalb von einem Jahr entwickelte Servier zwei Medikamente - das Antihypertonikum Sarpagan und das Antidiabetikum Glucidoral. Noch ein Jahr darauf wurde ein zweiter Firmensitz in Fleury-les-Aubrais gegründet.

Inzwischen agiert das Unternehmen eigenen Angaben zufolge in 140 Ländern und beschäftigt weltweit mehr als 20.000 Mitarbeiter, darunter 3000 in der Forschung und Entwicklung. 40 verschiedene Arzneimittel hat das Pharmaunternehmen mit Hauptsitz in Neuilly-sur-Seine, einem Vorort von Paris, bislang entwickelt.


Neben eigenen Entwicklungen hat Servier sein Portfolio auch durch Zukäufe erweitert: 1995 wurde das ungarische Unternehmen Egis übernommen, zwei Jahre später die polnische Anpharm; 1996 gründete Servier den Generikahersteller Biogaran.

Der weltweite Umsatz von Laboratoires Servier betrug im Geschäftsjahr 2009/2010 rund 3,7 Milliarden Euro, 88 Prozent davon wurden im Ausland erwirtschaftet. Auf der Liste der reichsten Franzosen steht der Firmenpatriarch auf Platz neun; im Jahr 2009 wurde sein Vermögen auf 3,8 Milliarden Euro geschätzt. Seit 2002 ist die Firma eine Forschungsstiftung.

In Deutschland ist Servier seit 1996 mit Sitz in München vertreten. Dort arbeiten derzeit 450 Personen. Servier vertreibt hierzulande acht Präparate für die Indikationen Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Depressionen und Osteoporose, darunter das Antidepressivum Valdoxan (Agomelatin) und die Koronarmittel Coversum (Perindopril) und Procoralan (Ivabradin).