Wegen DocMorris & Co.

Steuerforderung: Kassen drohen Apotheken

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Berlin -

Ein Steuerstreit von DocMorris & Co. befasst derzeit mehrere hundert Apotheken. Es geht um die umsatzsteuerliche Behandlung von Herstellerabschlägen, die seit einem Urteil zur Abrechnung ausländischer Versandapotheken diskutiert wird. Die IKK gesund plus und die AOK Sachsen-Anhalt befürchten eine Verjährung ihrer Ansprüche auch gegenüber deutschen Apotheken. Noch wird kein Geld gefordert, die Inhaber sollen aber eine Verzichtserklärung abgeben. Selbst die Steuerberater sind sich nicht einig, wie sich die Apotheker verhalten sollen.

Der Hintergrund: Weil niederländische Versandapotheken die Lieferungen nicht selbst versteuern, müssen die Krankenkassen die Umsatzsteuer in Deutschland abführen. Das Thema beschäftigt demnächst den Europäischen Gerichtshof (EuGH), und zwar weil DocMorris gerne die Aufwendungen für Rx-Boni gelten machen würde. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat in seiner Vorlage schon erklärt, dass im Extremfall der Staat die Aufwendungen ersetzen müsste.

Im aktuellen Verfahren geht es aber um den Herstellerabschlag. Das Finanzamt bewertete diesen nicht als Zwangsrabatt, sondern als „Zahlung von dritter Seite“. Also wurde zur Berechnung der Umsatzsteuer der komplette Verkaufspreis – abzüglich Apothekenabschlag – zugrunde gelegt. Die Kasse sollte daher auf diese nie gezahlten Beträge die volle Umsatzsteuer zahlen, weil aus Sicht des Fiskus der Hersteller den Betrag des Kaufpreises für die Kasse übernimmt. Dagegen klagte die hier betroffene BKK und bekam im März 2018 vor dem Finanzgericht Münster recht: Eine umsatzsteurrechtliche Bedeutung komme den Herstellerabschlägen nicht zu. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Und genau das treibt die beiden Kassen um. Die IKK gesund plus hat bereits vor knapp zwei Wochen Apotheken angeschrieben, inhaltlich entsprechende Briefe gehen in dieser Woche von der AOK Sachsen-Anhalt raus. Die Kassen sehen das Risiko, dass eine letztinstanzliche Entscheidung des BFH für alle Apotheken gelten würde, man aber aufgrund der Verjährung zu viel gezahlte Umsatzsteuer nicht mehr zurückfordern könne. Betroffen ist jetzt sind die Jahre 2014 und 2015, für das die angeschriebenen Apotheken eine Verjährungsverzichtserklärung abgeben sollen.

Die IKK erklärt, dass der Herstellerabschlag bei der Rechnungslegung heute vom endgültigen Apothekenverkaufspreis abgezogen werde. „Durch diese ‚Berechnungskette‘ wird auf den Herstellerabschlag auch Umsatzsteuer berechnet, denn der Abschlag ist zum Zeitpunkt der Ermittlung der Umsatzsteuer Bestandteil des Arzneimittelpreises.“ Doch das Finanzgericht Münster habe eben im März entschieden, dass auf die Herstellerabschläge keine Umsatzsteuer anfalle. Zwar weiß man auch bei der IKK, dass es in dem Verfahren um die Abrechnung einer ausländischen Versandapotheke ging und in letzter Instanz noch nicht entschieden wurde.

Doch die Kasse geht vom Schlimmsten aus: Das Urteil sei auch auf die Abrechnung inländischer Apotheken übertragbar. Daher schreibt die IKK gesund plus Apotheken an und warnt: „In diesem Fall stehen uns Rückforderungen aus überzahlter Umsatzsteuer auf die gesetzlichen Herstellerabschläge gegenüber Ihrer Apotheke zu, die Sie wiederum vom Finanzamt zurückfordern können.“

Denn auch von der Politik gebe es Signale, die die Einschätzung der Kasse stützten. So erkenne das Bundesfinanzministerium (BMF) nach einer BFH-Entscheidung bei Abrechnung im Bereich der privaten Krankenversicherung (PKV) die Herstellerabschläge als Minderung der Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer an.

Die IKK will daher auf Nummer Sicher gehen: Damit etwaige Ansprüche nicht verjähren, sollen Apotheker bis zum Ende der Woche eine entsprechende Verzichtserklärung abgeben. Und dieser Bitte folgt eine leise Drohung: „Wir weisen Sie darauf hin, dass wir ohne Rücksendung der unterzeichneten Erklärung prüfen müssen, ob ein Klageverfahren einzuleiten ist, um die Verjährung nicht eintreten zu lassen.“ Den Apotheker wird überdies empfohlen, sich mit dem Brief an den eigenen Steuerberater zu wenden und gegebenenfalls auch mit dem zuständigen Finanzamt schon Kontakt aufzunehmen.

Immerhin liefert die IKK gleiche einen Entwurf für die Verjährungsverzichtserklärung mit. Darin heißt es nach Beschreibung der Sachlage unter anderem: Um „aufgrund der entstandenen Unsicherheiten keine unnötigen Kosten und Gerichtsverfahren entstehen zu lassen und vor dem Hintergrund, dass eine Reduktion der Bemessungsgrundlage für die Apotheke nicht mit Nachteilen verbunden wäre“, sollen die Parteien vier Punkte vereinbaren (sinngemäß):

  1. Die Apotheke verpflichtet sich, noch nicht bestandskräftige Umsatzsteuerbescheide oder -erklärungen durch Einsprucherhebung für bis zu einem Jahr nach Verkündung der BFH-Entscheidung offen zu halten.
  2. Für das jetzt akute Jahr 2014 verzichtet die Apotheke auf die Einrede der Verjährung.
  3. Im Gegenzug verpflichtet sich die IKK, sollte ihr Anspruch vom BFH bestätigt werden, nur 80 Prozent der Summe geltend zu machen. „Damit wird der Aufwand der Apotheke für diesen Sachverhalt berücksichtigt.“
  4. Die Kasse verzichtet auf eine Klage, wenn die Apotheke die geforderte Erklärung (2.) abgibt.

Das Schreiben der AOK Sachsen-Anhalt ist inhaltlich ähnlich, mit einem entscheidenden Unterschied: Die Kasse fordert die Verzichtserklärung für das Jahr 2015, die IKK für 2014. Die AOK will ebenfalls den „Eintritt der Verjährung von eventuell bestehenden Ansprüchen“ verhindern und „eine geordnete Rückabwicklung“ vorbereiten. Die Apotheke verpflichtet sich, den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 2015 nicht bestandskräftig werden zu lassen, „soweit sie die nicht angemessene Berücksichtigung der Herstellerabschläge betreffen und die betreffenden Umsatzsteuerbescheide bei Unterzeichnung dieser Erklärung noch nicht bestandskräftig geworden sind“. Die Erklärung gilt bis Ende 2020, einen Rabatt wie die IKK räumt die AOK nicht ein.

Beide Kassen haben nicht alle Apotheken angeschrieben, sondern abhängig vom Erreichen einer Umsatzsschwelle. Wie hoch diese im Einzelnen ist, war bislang nicht zu erfahren. Alleine die AOK hat dem Vernehmen nach rund 400 Apotheken angeschrieben. Von anderen Kassen ist ein entsprechendes Vorgehen bislang nicht bekannt. Selbst unter Steuerberatern gibt es keine einheitliche Antwort, wie sich die Apotheken verhalten sollen. Eine Seite warnt vor der Abgabe der Verzichtserklärung, da bereits abgeschlossene Steuererklärungen mit diesem Sachverhalt nicht angefasst werden könnten – in diesem Fall würde die Apotheke im schlimmsten Fall auf der Forderung sitzen bleiben. Andere sehen dieses Risiko nicht, da mit einer BFH-Entscheidung eine neue Rechtslage entstehen würde, die eine Rückforderung seitens der Apotheke rechtfertigen würde.

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