Steuerberater am Roulette-Tisch Carolin Bauer, 27.04.2018 09:52 Uhr
Dr. Bernhard Bellinger ist wohl der bekannteste Steuerexperte im Apothekenbereich. Als junger Mann war er am Roulette-Tisch für das schwungvolle Einsammeln der Jetons bekannt. Während seines Studiums verdiente er sich als Roulette-Croupier eine stolze Summe hinzu. Der Rechtsanwalt und Steuerberater aus Düsseldorf wurde zu Beginn seines Jurastudiums 1973/74 bundesweit in privaten Kasinos gebucht. Gerade wegen seines Erfolgs hielt er seinen Studentenjob vor seinen Eltern geheim.
Bellinger stammt aus einem konservativen Elternhaus. Von Beginn an war klar, dass er selbst teilweise für sein Studium aufkommen musste. „Meine Eltern haben mich mit 10 Prozent unter BAföG finanziell unterstützt, aber nicht in den Semesterferien“, sagt er. „Ich musste mich immer refinanzieren. Das war für mich ok.“ Auf der Suche nach einem Job entdeckte er am schwarzen Brett in der Bochumer Ruhr-Universität einen Aushang mit dem Versprechen eines guten Verdienstes.
Ein privates Spiel-Kasino suchte Croupiers für Roulette. Für Studenten sei der Job mit Arbeitszeiten zwischen 18 und 24 Uhr perfekt gewesen, so Bellinger. „Ich konnte daneben studieren.“ Auch der Lohn reizte ihn: Monatlich seien damals 6000 D-Mark netto in Aussicht gestellt worden. „Der Beruf ist so gut bezahlt, weil man stundenlang im Kopf schnell fehlerfrei Zahlenkolonnen aus Addition und Multiplikation rechnen muss, ohne Erschöpfung zu zeigen. Gleichzeitig muss man konsequent höflich sein, egal was passiert.“
Der damals 20-Jährige entschied sich, parallel zur Uni die zweimonatige Ausbildung zu beginnen. Wichtig seien mathematische Kenntnisse und sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, sagt Bellinger. Von 20 Bewerbern fielen 19 durch. Dem heutigen Steueranwalt lagen Zahlen schon immer. „Ich hatte eine 1 im Mathe-Abitur.“ Seinen in Berlin lebenden Eltern verschwieg er den neuen Job. „Sie hätten mich erwürgt.“ Bellingers Vater war BWL-Professor und hatte den Bankenlehrstuhl an der FU Berlin, die Mutter war promovierte Betriebswirtin und unterrichtete Staatsanwälte im raschen Erkennen von Bilanzfälschungen.
Vom Sommer 1973 bis in den Herbst 1974 war Bellinger bundesweit in verschiedenen Casinos tätig. Das Wichtigste am Roulette-Tisch sei, sich zu merken, was die Spieler setzen. Nach der Ansage „Rien ne va plus“ müssen die Jetons liegen. Steht die Gewinnzahl fest, verteilt der Croupier die Erlöse. Im Schnitt säßen 20 Spieler am Tisch, so Bellinger. „Ein Croupier ist umso besser, je schneller er einen Tisch abräumen kann.“ Pro Spieler sollte er unter einer Minute den Auszahlungsbetrag sicher berechnen können.
Die Klientel im Kasino sei gemischt – vom Juwelier über Banker bis zum Rentner sitze ein Querschnitt der Gesellschaft mit am Tisch. 90 Prozent der Kunden setzten nach einem individuellen Muster. „Mit etwas Erfahrung weiß man nach wenigen Sekunden, wie jemand spielt.“ Die meisten Spieler blieben am Tisch, bis sie ihren vorher festgelegten Betrag verspielt hätten. „So gut wie keiner verlässt das Kasino, solange er gewinnt.“ Für viele Senioren sei die Spielstätte auch ein sozialer Treffpunkt: „Sie kommen aus Langeweile, trinken ihren Kaffee und gehen wieder, nachdem die 20 Euro weg sind.“
Auch Besuche aus dem Rotlichtmilieu waren nicht selten: „In München habe ich einem Mann aus der Unterwelt mit dem Croupiersstab leicht auf den Finger gehauen, als ich sah, wie dieser schummeln wollte“, erinnert sich Bellinger. Dessen Reaktion vergisst er nie: „Er sagte: Wenn du heute Abend rauskommst, wartet ein Killer auf dich.“ Die Antwort des angehenden Juristen war ebenso schlagfertig wie effektiv: „Das macht keinen Sinn, dann ist kein Croupier mehr da.“ Als er das Kasino nach Mitternacht verlassen habe, sei ihm trotzdem das „Herz in die Hose gerutscht“. Passiert sei jedoch nichts.
Selbst gespielt hat Bellinger nicht: „Ich habe schlimme Schicksale gesehen und erlebt, dass Glücksspiel schnell süchtig machen kann.“ Nach etwas mehr als einem Jahr gab er den Job selbst auf. „Dieser Beruf frisst einen physisch auf, da man hochkonzentriert jede Nacht ohne Pausen rechnen muss. Manchmal bin ich zu Hause auf dem Bett noch im Smoking eingeschlafen.“
Als die Rücklagen aus der Croupierszeit aufgebraucht waren, wechselte Bellinger als studentische Hilfskraft an einen zivilrechtlichen Lehrstuhl. An das neue Gehalt musste sich der Student jedoch erst gewöhnen: Nachdem er im Kasino teilweise für vier Stunden 500 Mark erhalten habe, winkten als Lehrstuhlmitarbeiter lediglich 400 Mark monatlich. „Als Croupier verhandelt man sein Gehalt selbst.“ Viel gelernt habe er: „Das war ein Psychologie-Studium im Zeitraffer. 70 Prozent meiner Menschenkenntnis habe ich in dieser Zeit erlangt.“
Bellinger ist Jurist und Steuerberater sowie vereidigter Buchprüfer. „Ich habe vier Staatsexamen abgelegt“, sagt er. 1981 gründete er eine reine Rechtsanwaltskanzlei und erweiterte diese 1994 um eine eigene Steuerabteilung. Seine Eltern haben viel später über einen Cousin doch noch von seinem wilden Jahr in deutschen Spielkasinos erfahren. „Da konnten sie darüber lachen.“