Das Debakel der AOK Hessen mit ihrer Zyto-Ausschreibung hat womöglich Konsequenzen. In der Branche kursieren Informationen, nach denen sich Fresenius aus dem Bereich zurückziehen will. Demnach sollen die Herstellbetriebe in Kürze verkauft werden. Der DAX-Konzern galt als ernst zu nehmender Konkurrent für die Apotheken.
Fresenius zählt neben ZytoService und GHD zu den führenden Herstellern von patientenindividuellen Sterillösungen. Die zentrale Fertigungsstätte befindet sich in Neufahrn; daneben gibt es kleinere Herstellbetriebe, die der Konzern in den vergangenen Jahren aufgekauft und unter dem Dach von CFL („Compounding for life“) gebündelt hatte. Dazu gehören Zentren wie Onko Service, Henke Pharma, Rheinische Compounding, Fortuna Herstellung und cas central compounding baden-württemberg. Verantwortlich für den Bereich ist Dr. Herbert Beer.
Bei der Ausschreibung der AOK war Fresenius der große Gewinner. Als Unterauftragnehmer sollte der Konzern die Rezepturen für die Hälfte der 22 Lose liefern: Partner waren die Diemeltal-Apotheke im nordrhein-westfälischen Marsberg, die Apotheke im Elisenpalais in Aschaffenburg, die Fortuna Apotheke aus Mannheim sowie die Lahn-Apotheke aus Marburg.
Seit Dezember vergangenen Jahres sollten die AOK-Versicherten in Hessen exklusiv von den Ausschreibungsgewinnern beliefert werden. Doch viele Ärzte versorgten ihre Krebspatienten weiterhin über die gewohnte Apotheke; die AOK war mit der Umsetzungsquote alles andere als zufrieden.
Selbst massive Retaxationen führten nicht dazu, dass mehr Rezepte bei den Vertragspartnern eingelöst wurden. Stattdessen verlor die Kasse gleich zwei Gerichtsverfahren auf ganzer Linie: Eine Einschränkung der freien Apothekenwahl sei nirgends im Sozialgesetzbuch vorgesehen, so die Richter in Darmstadt und Marburg.
Schon im Juni liefen der AOK die ersten Vertragspartner davon, darunter mit der Lahn-Apotheke ein Partner von Fresenius. Jetzt zieht womöglich auch der Konzern enttäuscht die Reißleine. Wenn nach der Barmer in Nordrhein-Westfalen auch die AOK in Hessen nicht mit Selektivverträgen in der Fläche durchkommt, dürften deutschlandweite Ausschreibungen auf absehbare Zeit vom Tisch sein. Nur in Berlin gibt es noch Exklusivverträge mit Zytoservice und GHD.
Bei Fresenius wollte man die Gerüchte nicht kommentieren. Ob der Konzern mit einem blauen Auge davon käme, ist ungewiss: Zwar haben sich zahlreiche Zyto-Apotheker seit der Novellierung der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) aus der Herstellung verabschiedet. Doch der Markt ist genauso umkämpft wie komplex. Nur wer genügend Apotheker einbindet, kann womöglich vom rasanten Marktwachstum profitieren. Selbst Fresenius soll beim Aufbau seines Netzwerkes hinter den eigenen Erwartungen zurückgeblieben sein.
Am ehesten würde CFL geografisch wohl zu ZytoService passen, da es bislang nur eine Zweigniederlassung in Berlin gibt. Hinter dem Branchenprimus aus Hamburg steht mit Capiton nach wie vor ein Finanzinvestor, der womöglich das erforderliche Kapital einsammeln könnte.
Auch bei GHD ist Risikokapital im Spiel; allerdings hat die Ahrensburger Firmengruppe seit 2008 mehrere Herstellbetriebe im gesamten Bundesgebiet aufgekauft, darunter Medinal (Greven), Oncotrade (Haan), AdHibis (München), Oncosachs (Leipzig) und zuletzt RS Pharma (Berlin). Die Sparte firmiert unter dem Namen Profusio.
Fresenius war mehr als zehn Jahre lang im Bereich der patientenindividuellen Zubereitungen aktiv. Seit der Übernahme der Pharmafirmen App und Dabur verfügte der Konzern außerdem über eine eigene Wirkstoffe, darunter Gemcitabin. Am Standort in Friedberg werden außerdem industrielle Infusionslösungen sowie Sonden- und Trinknahrung hergestellt.
Während der Bereich der klassischen Rezepturen seit Jahren an Bedeutung verliert, wächst das Segment der Spezialrezepturen deutlich: Deutschlandweit wurden 2012 laut Arzneiverordnungsreport 4,2 Millionen Sterilrezepturen im Wert von 2,5 Milliarden Euro zu Lasten der Krankenkassen verordnet. Damit machen 0,6 Prozent aller Verordnungen 8,2 Prozent der gesamten Arzneimittelausgaben aus.
Auf Zytostatikazubereitungen entfielen dabei 2,6 Millionen Verordnungen und 1,1 Milliarden Euro. 26 Millionen Euro entfielen auf Antimetabolite, dahinter folgten Taxane (206 Millionen Euro), Proteasominhibitoren (105 Millionen Euro) und Platinverbindungen (100 Millionen Euro).
Umsatzstärkste Kategorie waren in dem Bereich mit knapp 1,2 Milliarden Euro monoklonale Antikörper für onkologische Indikationen, die aber lediglich 960.000 Mal verordnet wurden. Hier war Trastuzumab der führende Wirkstoff (417 Millionen Euro), gefolgt von Bevacizumab (358 Millionen Euro), Rituximab (248 Millionen Euro), Cetuximab (91 Millionen Euro) und Panitumumab (38 Millionen Euro).
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