Es gibt Zeiten im Unternehmerleben, da wird es ganz eng. Die Stada ist jetzt in einer solchen Phase: Mitten im Streit mit dem Finanzinvestor AOC wirft CEO Hartmut Retzlaff hin; aus gesundheitlichen Gründen müsse er sein Amt ruhen lassen, teilt der Konzern mit. Damit ist der letzte verbliebene deutsche Generikahersteller in freier Wildbahn zum Abschuss freigegeben.
Retzlaff ist seit 1993 Vorstandschef der Stada; sein Vertrag war erst im vergangenen September bis 2021 verlängert worden. Der ehemalige Pharmareferent hatte aus dem einstigen lokalen Anbieter einen internationalen Konzern geschmiedet – an ihm führte eigentlich kein Weg vorbei. Retzlaff war bis zum Sonntagabend „Mr. Stada“: unerreicht und unersetzbar.
Doch in den vergangenen Wochen war die Luft dünner geworden. Der Finanzinvestor AOC blies Anfang Mai zum Angriff auf das bestehende System. Als erstes sollte der laut AOC an längst vergangene Zeiten erinnernde Aufsichtsrat davon gefegt und durch Profis ersetzt werden. Dann sollten alle Versäumnisse der vergangenen Jahre aufgearbeitet werden.
Management und Aufsichtsrat traten die Flucht nach vorne an: Erst einigte man sich mit AOC auf einen Kompromiss, um kurz darauf die Hauptversammlung zu verlegen. Treiben lassen wollte man sich in Bad Vilbel nicht, sondern sich die Kandidaten für die neue Stada selbst suchen. Dann machten plötzlich wieder Übernahmegerüchte die Runde, angeblich verhandelte Retzlaff mit einem anderen Investor über einen Verkauf. Die erste Runde ging an Stada.
Doch irgendwann muss Retzlaff klar geworden sein, dass er um eine Schlammschlacht nicht herum kommen würde. Wer in einer börsennotierten Aktiengesellschaft als Patriarch herrscht, der hat auch wunde Punkte, die ihn angreifbar machen. Solange das Geschäft läuft, stellt niemand Fragen. Doch AOC & Co. hatten zum Sturm auf das System geblasen.
Bei der zweiten sonntäglichen außerordentlichen Aufsichtsratssitzung innerhalb kürzester Zeit wurde nun beschlossen, dass Retzlaff sein Amt vorläufig ruhen lässt. Ob er tatsächlich krank ist oder nur aus der Schusslinie genommen wurde: Die Stada ist nach seinem plötzlichen Abgang verwundbarer als je zuvor.
Wie groß das Vakuum ist, zeigt schon die Mitteilung vom gestrigen Abend: „Bis auf Weiteres“ werde Retzlaff sein Amt ruhen lassen, hieß es – ohne dass irgendein Hinweis auf seine Rückkehr gegeben wurde. Und die Ernennung von Dr. Matthias Wiedenfels zum Interims-CEO wurde damit begründet, dass er ein erfahrener langjähriger Manager sei, der den Erfolg der vergangenen Jahre maßgeblich mitgestaltet habe. „Er steht damit sowohl für Kontinuität als auch für die Fähigkeit, dem Unternehmen die laufend erforderlichen neuen Impulse zu geben.“ Zur Erinnerung: Wiedenfels ist seit drei Jahren bei der Stada und als Vorstand für Zentrale Dienste bislang eher im Hintergrund aktiv.
In einer ganz ähnlichen Situation wie die Stada war vor einigen Jahren Celesio. Der Haniel-Clan hatte nach der lange hinausgezögerten Trennung von Dr. Fritz Oesterle mit Markus Pinger auf das falsche Pferd gesetzt. Als sich abzeichnete, dass der ehemalige Beiersdorf-Mann das Ruder nicht herumreißen würde, fiel die Entscheidung für Plan B: Während die beiden verbliebenen Vorstände das Geschäft am Laufen hielten, fädelte der Großaktionär mit McKesson den Verkauf ein. Für ihr Durchhalten wurden Marion Helmes und Stephan Borchert mit dicken Abschiedschecks belohnt.
Auch bei der Stada blieb der Börsenkurs im morgendlichen Handel stabil. Schon in den vergangenen Wochen hatten die Verkaufsgerüchte den Wert beflügelt; dass Retzlaff nun weg ist, scheinen viele Anleger eher als Bestätigung zu empfinden denn als Grund zur Sorge.
Um die Stada in ihrer Eigenständigkeit zu bewahren, müssten vom Aufsichtsrat jetzt schnell Zeichen kommen. Doch das könnte schwierig werden: Nur wenige Manager hätten die Erfahrung und das Format etwa eines Claudio Albrecht, um das unternehmerische Erbe Retzlaffs anzutreten – und vermutlich noch weniger bereit, ihm in der schwierigen Phase bis zu einer eventuellen Rückkehr den Stuhl warm zu halten.
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