Stada: Rette sich, wer kann dpa/APOTHEKE ADHOC, 30.08.2017 11:42 Uhr
Die Querelen beim Generikakonzern Stada nehmen auch nach der Übernahme durch Finanzinvestoren kein Ende. Aufsichtsratschef Carl Ferdinand Oetker erklärte am Mittwoch auf der Hauptversammlung in Frankfurt überraschend, das Kontrollgremium wolle die früheren Stada-Chefs Hartmut Retzlaff und Dr. Matthias Wiedenfels sowie Ex-Finanzchef Helmut Kraft für das vergangene Jahr nicht entlasten.
Ursprünglich hatten Vorstand und Aufsichtsrat laut Tagesordnung eine Entlastung gefordert. Oetker erklärte, es gebe aber nun Ermittlungen des Aufsichtsrats wegen „belastbarer Erkenntnisse zu schwerwiegenden Pflichtverletzungen des Vorstands“. Es gehe um Unklarheiten im Asiengeschäft, Verstöße gegen Rechtsgrundsätze und Beraterverträge ohne erkennbare Gegenleistungen für Stada.
Mit diesen Hinweisen sei die Integrität von Wiedenfels und Kraft „nicht mehr gewährleistet gewesen“. Deshalb seien sie im Juli abgetreten. Der Hintergrund der Verträge sei nicht im Unternehmen und schon gar nicht im Aufsichtsrat bekannt gewesen, zitiert Börse Online. In einem Fall sei der Aufsichtsrat sogar über die Leistungserbringung getäuscht worden. Teils hätten die Pflichtverletzungen zu signifikanten Schäden geführt. Als Kontrollgremium wolle man ein Signal setzen, „dass wir solche Geschäftspraktiken nicht tolerieren“, sagte Oetker. Eine Entlastung entspräche nicht einer zeitgemäßen Corporate Governance.
Auch Retzlaff war laut Oetker Teil von Ermittlungen. Der langjährige Konzernchef habe bislang die Gelegenheit zur Stellungnahme nicht wahrgenommen und Gesprächsangebote ausgeschlagen. Der Manager, der den Konzern aufgebaut hatte, dem aber Gehaltsexzesse und Vetternwirtschaft vorgeworfen wurden, war im vergangenen Sommer von aktivistischen Investoren aus dem Amt gedrängt worden.
Konzernchef Engelbert Willink sagte, der Vorstand wolle den Tagesordnungspunkt zur Entlastung der Ex-Vorstände vertagen. Den Untersuchungsbericht des Aufsichtsrats habe man erst kurzfristig erhalten und benötige Zeit zur Aufarbeitung. Dafür stimmten dann gut 90 Prozent der Aktionäre; das Votum darüber solle 2018 nachgeholt werden, sagte Oetker.
Wiedenfels' Anwältin konterte prompt: Die Entscheidung sei nicht nachvollziehbar, Umstände in der Geschäftsführung durch den Vorstand, die hierzu Anlass geben könnten, lägen nicht vor. Zumindest habe das Kontrollgremium solche gegenüber seiner Person nicht kommuniziert. Ganz im Gegenteil: Noch bis vor wenigen Tagen seien Vorschläge zur Beendigung der Tätigkeit unterbreitet worden, welche die positive Beschlussempfehlung an die Hauptversammlung zu seiner Entlastung ausdrücklich beinhaltet hätten. „Dies galt gerade auch im Hinblick auf die heute von Herrn Oetker genannten und lange bekannten geschäftlichen Themen.“
Diese böten nach gründlicher Prüfung keinen Anhaltspunkt für Pflichtverletzungen – und solche habe der Aufsichtsrat auch bis heute nicht bezeichnet. „Aus Rechtsgründen erschließt sich daher nicht, weshalb diese Themen rechtfertigen sollen, Herrn Dr. Wiedenfels heute die Entlastung vorzuenthalten. Zu der Haltungsänderung des noch amtierenden Aufsichtsrats kam es erst nach dem Rücktritt mehrerer Aufsichtsratsmitglieder im Zusammenhang mit der erfolgreichen Übernahme.“
Oetker selbst war erst vor einem Jahr durch eine Revolte aktivistischer Investoren an die Spitze des Stada-Aufsichtsrats gekommen. Allerdings war er zuvor lange Vize seines Vorgängers Dr. Martin Abend – und damit vermutlich eingeweiht in jene Vorgänge, mit denen er jetzt nichts zu tun haben will.
Erst am vergangenen Freitag hatten Oetker und vier weitere Stada-Kontrolleure angekündigt, angesichts der Übernahme durch die Bain und Cinven im Juli ihre Posten zum 25. September niederzulegen. Der langjährige CEO Hartmut Retzlaff war im vergangenen Sommer auf Drängen aktivistischer Investoren abgetreten.
Aktionärsvertreter kritisierten die andauernden Querelen: Stada sei ein Lehrstück für schlechte Unternehmensführung, sagte ein Vertreter der Dekabank. „Wir bekommen von allen Protagonisten eine Daily Soap geliefert, die man mit dem Titel 'Alle zusammen – jeder für sich' beschreiben könnte“. Auch die am Ende nur hauchdünn geglückte Übernahme sei eine Leistung, für die „alle Beteiligten die 'goldene Himbeere' verdient hätten“. Deka werde Vorstand und Aufsichtsrat nicht entlasten.
Ein Vertreter vom Anlegerschutzverein DSW kritisierte, Wiedenfels und Kraft seien nach dem ersten gescheiterten Übernahmeversuch von Bain und Cinven „aus dem Amt gedrängt worden“. Er bemängelte, dass Willink als dritter Konzernchef binnen rund eines Jahres nur bis Jahresende einen Vertrag habe. Alle Ungereimtheiten müssten „schonungslos aufgeklärt“ werden. „Geld gemacht haben die Hedgefonds, verloren hat die Gesellschaft.“ Die traditionsreiche Stada habe „ihre über Jahrzehnte aufgebaute Identität verloren“.