Apothekenrechenzentren

Spitzentreffen: DAV lädt zum E-Rezept-Gipfel

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Berlin -

Am 13. Juni treffen sich die Chefs der großen Apothekenrechenzentren zu einem Gipfeltreffen der besonderen Art: Es geht um die Zukunft der Branche, um Geld, um Einfluss und um Digitalisierung. Denn mit der bevorstehenden Einführung des elektronischen Rezeptes stehen die Rechenzentren vor dem größten Umbruch seit ihrer Gründung. Das umständliche Handling der Papierzettel fällt weg und damit auch die Arbeit eines Großteils der Beschäftigen. Der Markt muss sich neu finden.

Eingeladen hat der Deutscher Apothekerverband (DAV) zum „Spitzengespräch des Geschäftsführenden DAV-Vorstandes mit den Apothekenrechenzentren“. In der Berliner ABDA-Zentrale kommen die Großen der Branche erstmals zu einem politischen Meinungsaustausch zusammen. Das allein ist ein Signal.

Am Tisch sitzen werden Reiner Haupt und Gert Nagel vom ARZ Darmstadt, Thomas Haubold vom ARZ Haan, Frank Nebrich vom Berliner Rechenzentrum, Hanno Helmker und Uwe Ennen vom Bremer NARZ, Roman Schaal und Herbert Wild von der Münchener VSA sowie Klaus Henkel und Tobias Wölk von der nicht standeseigenen AvP aus Düsseldorf. Damit sitzen über 90 Prozent des Marktes für Rezeptabrechnungen an einem Tisch.

Auf der anderen Seite sitzen unter anderem der Geschäftsführender DAV-Vorstand um Fritz Becker, ABDA-Hauptgeschäftsführer Dr. Sebastian Schmitz, DAV-Geschäftsführerin Claudia Korf und Avoxa-Chef Metin Ergül. Die Tagesordnung verspricht eine lebhafte Diskussion. Bis Ende Mai können noch Themenwünsche angemeldet werden.

Neben einem Bericht zum Stand der Gematik-Infrastruktur und zum Aufbau des apothekeneigenen IT-Netzes durch die NGDA soll als erstes brisantes Thema über den neu gegründeten Bundesverband Deutscher Apothekenrechenzentren (VDARZ) diskutiert werden. Der Verband selbst ist nicht eingeladen.

Gründungsmitglieder sind die Apothekenrechenzentren Dr. Güldener, ARZ Darmstadt, Apothekenrechenzentrum Wünsch, ARZ Haan, AVC Dick, NARZ/AVN, Digitales Rezept Zentrum (Pharmatechnik), HSB Schrader, Apothekenrechenzentrum Hildegard Schröter und das Rechenzentrum für Berliner Apotheken Stein & Reichwald. Vorsitzender des Verbandes ist Werner Dick, Chef des Rechenzentrums AVC.

Die Rechenzentren wollen mit ihrem gemeinsamen Verband nach eigenen Angaben vor allem den Herausforderungen der Digitalisierung begegnen. Die Apotheken vor Ort müssten ihren Patienten zunehmend digitale Services und Mehrwerte anbieten. Aber auch klassische Lobbyarbeit steht auf dem VDARZ-Programm. Die Gründung war daher dem DAV ein Dorn im Auge, hatte er doch in der Vergangenheit die politischen Angelegenheiten der Rechenzentren im Alleingang – beispielsweise gegenüber den Krankenkassen – vertreten. Aber nicht alle Rechenzentren fühlten sich vom DAV nicht hinreichend vertreten – auch weil sich der Apothekerverband stets auf die Expertise der VSA gestützt habe. Der Branchenprimus ist kein Mitglied des VDARZ.

Interessant ist das Branchentreffen auch deshalb, weil es nicht nur um gemeinsame Interessen und Zukunftsfragen geht, sondern auch ums knallharte Geschäft. Vor allem ARZ Haan fällt in der Brache immer wieder auf mit Marketing-Aktionen, um im süddeutschen und norddeutschen Revier auf Kundenfang zu gehen. Auch der wettbewerbliche Umgang untereinander könnte am 13. Juni also zur Sprache kommen.

Richtig ernst wird es dann bei der neu auf die Tagesordnung gesetzten TOP 5: „Elektronische Verordnung im Kontext der Beschlüsse des deutschen Ärztetages 2018“. Dort haben die Mediziner die Lockerung des Fernbehandlungsverbotes beschlossen. Weil das nur Sinn ergibt mit der gleichzeitigen Einführung des E-Rezeptes, ist die Branche elektrisiert. Der E-Rezept kommt und stellt den Markt auf den Kopf.

Papierrezepte müssen dann nicht mehr umständlich hin und her gefahren und eingescannt werden. Das Regionalprinzip bröckelt schon aus logistischen Gründen. Experten sind sich einig: Die Rechenzentren werden sich zu Clearingstellen mit angeschlossenem Bankgeschäft entwickeln. Das Engagement der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (Apobank) bei ARZ Haan und Güldener kommt nicht von ungefähr.

Nach Einschätzung von Branchenkennern werden mit dem E-Rezept nicht nur die Karten im Abrechnungsgeschäft neu gemischt, sondern es stehen damit in den Rechenzentren zahlreiche Arbeitsplätze zur Disposition. Über die Hälfte der Beschäftigen organisieren das Handling der Papierrezepte – Abholung in den Apotheken, Korrektur von Fehlern, Sortieren und Lagern der Rezepte. Viele Teilzeitarbeitsplätze sind in diesen Bereichen gefährdet. Hier drohen absehbar gravierende Veränderungen.

Mehr noch: Mit der elektronischen Übermittlung der Rezepte vom Arzt zum Apotheker entsteht ein neues Geschäftsfeld. Im Hintergrund hat der Kampf um die Vorherrschaft längst begonnen. Auch die Anbieter von Praxissoftware wie der Marktführer CompuGroup mischen mit. Bisher tragen die Patienten das Papierrezept kostenfrei in die Apotheken. Dabei wird es nicht bleiben. Aber wer zahlt die Kosten für die digitale, dem strengen Datenschutz unterliegende Technik? Die Ärzte werden sich erfahrungsgemäß sträuben, bleiben die Kosten bei den Apothekern hängen?

Unter TOP 6 findet sich ein weitere brisanter Punkt: „Umsetzung der Direktabrechnung mit der PKV“. Mit der HUK Coburg und deren Tochterunternehmen PAX-Familienfürsorge hatte der DAV bereits 2015 die Möglichkeit zur Direktabrechnung vereinbart. Normalerweise müssen Privatpatienten in Vorkasse gehen und anschließend die Erstattung bei ihrer Versicherung beantragen. Dies kann laut DAV zwischenzeitlich zu hohen finanziellen Belastungen führen. Die Direktabrechnung macht sowohl die Vorkasse als auch das Einreichen der Rezepte überflüssig.

Privatversicherte der Debeka müssen sehr teure Arzneimittel bereits seit 2013 nicht mehr selbst zahlen. Der DAV hatte mit dem Versicherungsverein eine Vereinbarung über die Direktabrechnung von Rezepten ab 1000 Euro getroffen. 2012 hatte die Allianz bereits einen ähnlichen Vertrag mit dem DAV geschlossen: Apotheken, die der Vereinbarung beigetreten sind, können ab einer Rechnungssumme von 750 Euro direkt mit der Krankenversicherung abrechnen.

Es gibt also reichlich Gesprächsstoff für eine Branche im Umbruch: 18 Rechenzentren konkurrieren in Deutschland um die Gunst der knapp 20.000 Apotheken. Beherrscht wird der Markt von den Big Five, den apothekereigenen Unternehmen: VSA (früher: Verrechnungsstelle der Süddeutschen Apotheken), NARZ (Norddeutsches Apothekenrechenzentrum), ARZ Haan, ARZ Darmstadt und Rezeptabrechnungsstelle Berliner Apotheker (RBA). 13 weitere mehr oder weniger große private Anbieter teilen sich den Rest.

Inzwischen lassen etwas weniger als vier von fünf Apotheken ihre Rezepte bei einem der standeseigenen Rechenzentren abrechnen. Der Marktanteil der Big Five ist in denn vergangenen Jahren nach Schätzung von Branchenkennern von 80 auf 75 Prozent gesunken. Das hängt auch zusammen mit der insgesamt sinkenden Apothekenzahl. Auch die Marge schrumpft. Statt satten 0,4 Prozent vom Rezeptumsatz bleiben heute nur noch 0,2 bis 0,3 Prozent übrig, teilweise noch weniger. Einheitspreise gibt es nicht mehr. Nach Umsatz je Rezept oder Apotheke gibt es gestaffelte Sätze, auch für Hochpreiser. Die Konkurrenz ist hart, es wird um Dezimalstellen hinter dem Komma gefeilscht.

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