Wem gehört der Bonus? Den Krankenkassen, sagen die Krankenkassen. Den Versicherten, sagen die Versicherten. Wird die Zuzahlung direkt erlassen, muss dies auf der Quittung vermerkt sein, entschied vor zwei Jahren das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) im Fall von DocMorris. Wenn dagegen wie bei der Europa Apotheek Gutschriften für spätere Einkäufe verteilt werden, geht dies die Kasse nichts an, befand jetzt dasselbe Gericht. Denn nur der Kunde kann entscheiden, ob er das spendierten Guthaben auf dem Kundenkonto später nutzt oder nicht. Wer will, kann sich nach dieser Logik seinen Privatbedarf heimlich von der PKV finanzieren lassen. Allerdings könnte der Bonus selbst unzulässig sein.
Hintergrund ist der sogenannte Sofort-Bonus der Europa Apotheek, der – anders als der Name vermuten lässt – Privatversicherten zwar sofort gutgeschrieben wird, aber erst beim nächsten Kauf eingelöst werden kann. Das Modell hat Methode, denn würde der Gutschein wie bei Kassenrezepten direkt mit dem Rechnungsbetrag verrechnet, würde dies den Anspruch der Patienten gegenüber der Versicherung schmälern. Denn die PKV erstattet nur, was auch tatsächlich an Kosten angefallen ist.
Mehrere Juristen sahen in der Quittierung des vollen Rechnungsbetrags vorsätzliche Täuschung beziehungsweise Anstiftung und Beihilfe zum Versicherungsbetrug. DocMorris wurde vom OLG Stuttgart bereits 2017 untersagt, die reduzierte Zuzahlung auf der Quittung zu verschweigen. Die Richter hatten die Sorge, dass Krankenkassen und Finanzamt zu kurz kommen könnten.
Die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) wollte nun auch die Europa Apotheek verpflichten, die gutgeschriebenen Boni auf den Quittungen der Privatversicherten zu vermerken. Erstatte die Krankenversicherung aus Unwissenheit über den Rabatt den vollen Betrag, erleide sie einen Vermögensnachteil. Ein unternehmerisches Verhalten, das den Kunden verleiten solle, seine Pflichten gegenüber der Versicherung zu verletzen und einen Betrug zu begehen, stelle eine Verletzung der fachlichen Sorgfalt im Sinne des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) gegenüber dem Verbraucher dar.
Umgekehrt sei die Werbung auch dann zu untersagen, wenn der Bonus gegenüber der Versicherung angezeigt werden. Dann erhalte der Kunde nämlich entsprechend weniger und hätte keinen Vorteil. Die Werbung sei dann irreführend.
Doch das OLG Stuttgart kam – wie schon zuvor das Landgericht – zu einem anderen Ergebnis. Zwar wäre ein Preisnachlass von bis zu 30 Euro grundsätzlich ein Verstoß gegen die Preisbindung, auch wenn er erst beim nächsten OTC-Einkauf verwendet werden könne. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte bereits klargestellt, dass die künstliche Aufspaltung eines einheitlichen Vorganges in ein Erst- und ein Zweitgeschäft bei der rechtlichen Beurteilung nicht zulässig ist. Doch darauf hatte die Kammer in ihrer Klage nicht abgestellt.
Vielmehr ging es um die versicherungsrechtliche Frage, ob es gegen die unternehmerische Sorgfalt verstößt, wenn die Versandapotheke die Gutschrift nicht auf den Quittungen für die PKV vermerkt. Laut OLG erhält der Kunde mit dem Bonus ein „Recht auf einen der Höhe nach festgesetzten Preisnachlass auf eine künftige, rechtlich gesonderte Bestellung“. „Der so gewährte, unwiderrufliche, aufschiebend bedingte Anspruch ist zwar ein geldwerter Vorteil für den Kunden, der wirtschaftlich einem Preisnachlass letztlich gleichkommen kann.“ Ob der Kunde eine weitere Bestellung vornehme und ob er dabei seinen Gutschein in Anspruch nehme, sei zum Zeitpunkt der Bonusgewährung aber regelmäßig noch offen. „Von daher steht der Bonus einem Preisnachlass auf die Ausgangsbestellung – anders als dies bei einer Bargutschrift der Fall sein könnte, was der Senat aber nicht zu entscheiden hat – auch wirtschaftlich nicht gleich.“
Dem stünden auch die Rechtsbeziehungen zwischen dem Kunden und seiner Krankenversicherung nicht entgegen. Der Versicherte sei weder nach den einschlägigen Allgemeinen Versicherungsbedingungen noch aus vertraglicher Nebenpflicht gehalten, dem Versicherer den Bonus anzuzeigen. „Die Krankheitskostenversicherung gibt dem Versicherungsnehmer als Passivenversicherung Anspruch auf Ersatz derjenigen Aufwendungen, die diesem in Bezug auf das versicherte Risiko zur Erfüllung von Verpflichtungen aus berechtigten Ansprüchen Dritter erwachsen sind. Bezugspunkt ist also der Zahlungsanspruch des Leistungserbringers gegen den Versicherungsnehmer.“
Auch ein Abtretungsanspruch bestehe angesichts des zugleich gewährten Bonus‘ nicht. „Einem solchen steht die auf eine Willensentscheidung des Kunden gerichtete aufschiebende Bedingung entgegen, unter der der Bonus steht. Seine persönliche Entscheidung kann nicht auf einen Dritten übertragen werden, ohne den Anspruch inhaltlich zu verändern.“
Aus Sicht des OLG liegt auch kein sitten- oder treuwidriges Umgehungsgeschäft zu Lasten des privaten Krankenversicherers vor – „unbeschadet der hier nicht zu beantwortenden Frage, ob das Versicherungsunternehmen es in der Hand hätte, den wirtschaftlichen Vorteil derartiger Boni im Zuge der Vertragsgestaltung auf sich umzulenken“. Die Kammer will jetzt vor den BGH.
Nur in einem Punkt konnte sich die AKNR durchsetzen: Die Europa Apotheek darf sich künftig nicht mehr „Die Rezept-Apotheke“ nennen – und zwar weil dies eine Selbstverständlichkeit sei. Anders als von der Europa Apotheek behauptet, denke der Verbraucher bei diesem Begriff nicht an Sonderleistungen auf Anfrage, etwa für chronisch Kranke. „Es gehört zudem zu den Aufgaben eines Apothekers, seinen Kunden über Wechselwirkungen zwischen mehreren Medikamenten beraten, wenn er danach gefragt wird.“
Vielmehr erwecke die Werbung beim Verbraucher den falschen Eindruck, die Versandapotheke biete ihm „eine Leistung, die ihm eine andere Apotheke bei der Rezepteinlösung nicht biete, ohne dass diese Zusatzleistung in der für eine informierte Marktentscheidung erforderlichen Weise beschrieben wäre“.
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