Die ABDA will sich nicht mit Apple und Google ins Bett legen: Die geplante Rezept-App soll nicht über den App Store oder den Google Play Store heruntergeladen werden können. Stattdessen setzt der Verband auf eine Web App. Das sei nicht so antiquiert, wie es vielleicht klingen mag, versichert ABDA-IT-Chef Sören Friedrich auf dem DAV-Wirtschaftsforum.
„Wir sind komplett systemfrei und komplett Store-frei“, erklärt Friedrich. „Damit sind wir unabhängig von Apple und Co.“ Die ABDA setzt nicht wie andere Akteure im Gesundheitswesen auf eine Native App, also ein eigenständiges Programm, das für die jeweiligen Betriebssysteme – meist Apples iOS oder Googles Android – programmiert wurde und in deren jeweiligen Stores heruntergeladen und dann installiert werden kann. Stattdessen soll es sich bei der gestern angekündigten Anwendung um eine Web-App handeln: ein Anwendungsprogramm, das beim Nutzer in einem Webbrowser abläuft und auch dort dargestellt wird. Eine Web-App ist im Prinzip nichts anderes als eine speziell programmierte HTML-5-Seite, die das Endgerät erkennt und ihren Inhalt dann für dessen Betriebssystem optimiert darstellt.
Vereinfacht ausgedrückt: „Der Nutzer wird einfach einen Weblink auf dem Startbildschirm haben, der zur Seite der App führt“, erklärt Friedrich. „Ich musste von dieser Art der Umsetzung auch erst überzeugt werden“, sagt der Diplom-Informatiker und verucht, etwaige Bedenken auszuräumen: „Als IT-Mann habe ich das natürlich nur ungern zugegeben, aber es ist heutzutage nicht mehr so, dass Native Apps heute automatisch mehr können als Web-Apps.“ Tatsächlich solle die App „weitaus mehr beinhalten als eine reine Rezepttransportfunktion“. Die Kommunikation mit der Apotheke vor Ort soll damit genauso möglich sein wie die Abfrage der Verfügbarkeit eines Medikaments.
Landläufig gelten Native Apps mittlerweile als Standard in der Nutzung. Die ABDA wird dem Durchschnittsnutzer also wohl Vorteile gegenüber der Konkurrenz bieten müssen. Den sieht Friedrich vor allem in der Verbreitung: „Unsere App wird deutschlandweit sein“, erklärt er. „Ich persönlich will ja auch keine fünf Apps auf dem Telefon haben, nur weil ich mal nach Bayern in den Urlaub fahre.“ Um eine hohe Durchdringung des Angebots zu gewährleisten sei die ABDA aber auf reichlich Unterstützung angewiesen, die App müsse möglichst zahlreich angewendet werden. „Wir brauchen jeden einzelnen Apotheker!“, so Friedrich.
In dieser Art der Verbreitung sieht er auch einen der wichtigsten Bausteine beim Erhalt der Apotheken vor Ort vis-à-vis der wachsenden Marktdurchdringung der Online-Versender. „DocMorris und Co. sind doch nur ein My im Vergleich zu Amazon“, warnt er. „Amazon will verstärkt am Ausbau seiner Hotspots hierzulande arbeiten – dem können wir entgegenhalten, wenn wir sagen, wir haben 20.000 Hotspots in Deutschland, das kriegst du nicht hin! Ganz ehrlich: Wenn jemand ein elektronisches Rezept hat und mehrere Apotheken vor Ort sind, warum sollte er das nicht nutzen?
Eine Rolle bei der Entscheidung für eine Web-App statt einer Native App könnten auch die Kosten gespielt haben: Eine HTML-basierte Anwendung ist in der Entwicklung meist günstiger als eine Native App. Denn die Finanzierung durch die LAVen ist eine der sechs Anforderungen, die die ABDA an die App des DAV gestellt hat – neben dem Verzicht auf Werbung. Außerdem sollen keine finanziellen Interessen verfolgt, die Patienten nicht gelenkt und kleine Apotheken nicht diskriminiert werden. Auch das Makeln mit Rezepten soll verhindert werden.
Am Mittwoch hatte Fritz Becker, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), überraschend angekündigt, nun doch eine eigene Rezept-App entwickeln zu wollen. „Deutschlands Apotheker wollen allen Patienten in Deutschland eine kostenfreie, wettbewerbsneutrale und leicht bedienbare Web-App anbieten, mit der sie in Zukunft ihr E-Rezept einsehen und sicher einlösen können“, so Becker. Der DAV reagiere damit nicht nur auf die Einführung des E-Rezepts, sondern auch auf Angebote und Ankündigungen der jüngsten Zeit zum Auf- und Ausbau digitaler Bestellplattformen. Vor knapp drei Jahren hatte der Deutsche Apothekertag beschlossen, auf die Entwicklung eigener digitaler Angebote zu verzichten.
Der zweite Tag des DAV-Wirtschaftsforums steht im Zeichen von Digitalisierung, E-Rezept und elektronischer Patientenakte. Unter anderem Friedrich erklärte, wie der Fahrplan der ABDA für die Digitalisierung in den nächsten Jahre ist. Dabei habe sich die Vision der ABDA für das E-Rezept bisher stark auf die Kommunikation der Leistungserbringer untereinander konzentriert, „der Patient war da bisher nur als Beifahrer an Bord“, so Friedrich. Dabei gelte es, die Patientensouveränität zu stärken. Es müsse beispielsweise für den Patienten die Möglichkeit geben, das E-Rezept zu löschen.
Damit bestärkte er die Auffassung der Vorsitzenden des GKV-Spitzenverbands, Dr. Doris Pfeiffer. Die hatte zuvor unter anderem mit Gematik-Gechäftsführer Alexander Beyer und Dr. Peter Froese, Vorsitzender LAV Schleswig-Holstein und Mitglied der AG Digitalisierung bei der ABDA, über die digitale Zukunft des deutschen Gesundheitswesens debattiert. Pfeiffer betonte, dass es auch in der elektronischen Patientenakte die Möglichkeit geben müsse, dass der Patient bestimmte Verordnungen verstecken kann. „Dadurch ist jede ePatientenakte automatisch kompromittiert, denn weder der Arzt noch der Apotheker kann sicher sein, dass sie vollständig ist“, wandte Dr. Alexander Fuhrmann, Geschäftsführer der KV Telematik und ebenfalls auf dem Podium, ein. „Etwas zu verschweigen geht auch heute schon. Es wird also zumindest nicht schlimmer und gibt denen Hoffnung, die multimorbid sind“, so Pfeiffer.
Froese wiederum verteidigte den Stand der Digitalisierung im deutschen Gesundheitswesen. Es stimme, dass Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern hinterher hänge. Allerdings versuche man hierzulande auch, einen dritten Weg zwischen den beiden international dominierenden Entwicklungsmustern zu finden: „Ganz offensichtlich haben wir einen Kampf der Kulturen“, so Froese. Dabei stünden auf der einen Seite die USA mit ihrem „grenzenlosem, ungehemmten Datenkapitalismus und der Mentalität ‚Ich nehme alles, was ich kriegen kann‘“, auf der anderen Seite China mit seiner „staatlich Steuerung, die von Möglichkeiten der Digitalisierung Gebrauch macht, wie wir sie uns hier gar nicht vorstellen können und wollen“, so der Apotheker. „Wir wollen einen Mittelweg. Unser Weg ist langsamer, dafür aber vernünftig reguliert.“
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