Viagra-Patentablauf

Sildenafil-Lkw warten an der Grenze Alexander Müller, 21.06.2013 15:44 Uhr

Generika-Konkurrenz: Am 22. Juni fällt hierzulande das Sildenafil-Patent. Foto: APOTHEKE ADHOC
Berlin - 

Der 22. Juni ist für den deutschen Pharmamarkt ein magisches Datum. An diesem Samstag endet hierzulande der Patentschutz des womöglich bekanntesten Arzneimittels der Welt – der Potenzpille Viagra (Sildenafil). Nie zuvor gab es einen Patentablauf zu einem verschreibungspflichtigen, aber nicht erstattungsfähigen Arzneimittel mit einem vergleichbaren Marktvolumen. Die Generikaindustrie hat sich akribisch auf diesen Tag vorbereitet.

„Wir reden von dem Lifestyle-Präparat schlechthin. Da sind natürlich auch die Marketingmaßnahmen andere“, raunt es geheimnisvoll aus der Branche. Danach wird in der Regel nur noch bedeutungsvoll geschmunzelt.

Die Vorbereitung einer erfolgreichen Werbestrategie begann vielerorts mit zum Teil aufwändigen Kundenanalysen. Dass der typische Käufer männlich ist und nicht unbedingt zwischen 20 und 25 Jahre alt, reicht als Erkenntnis bei Weitem nicht aus: Entscheidend ist, bei der Ansprache den richtigen Ton zu treffen. Irgendwo zwischen Stammtischniveau und medizinischem Anspruch wird sich jeder Hersteller einen Platz suchen.

Das geht natürlich beim Markennamen und dem Packungsdesign los. Für die Industrie wird das ein Balanceakt: Da die erektile Dysfunktion allgemein zwar als medizinisches Problem, nicht aber als Krankheit angesehen wird, darf die Verpackung nicht zu sehr an ein Arzneimittel erinnern. Das Produkt sollte im Sinne der Diskretion möglichst neutral aussehen, aber trotzdem einen Wiedererkennungseffekt für den Käufer haben.

„Natürlich weckt ein solches Präparat viele Assoziationen. Aber auch wenn es sich um ein Lifestyle-Präparat handelt, muss die Ernsthaftigkeit erhalten bleiben. Es ist ein Arzneimittel, das die Lebensqualität der Betroffenen steigert“, heißt es aus der Branche. Im Marketing gegenüber Fachkreisen ist bei solchen Indikationen traditionell mehr Augenzwinkern möglich als gegenüber den Betroffenen.

Dass es nicht immer ganz leicht ist mit der Ernsthaftigkeit, haben die Hersteller in den Monaten der Vorbereitung selbst erfahren: Vom Interesse der männlichen Kollegen an Mustern ist zu hören, von Wortwitzen und einigem Gekicher, aber auch von Außendienstlerinnen, die um jeden Preis vermeiden wollen, dass ihr privates Umfeld vom aktuellen Job erfährt.

Apropos Preis: Pfizer hat mit dem eigenen Generikum schon eine Grenze gezogen, die vermutlich niemand übertreten wird: Die 24er-Großpackung mit 100 mg Wirkstoff soll 79,98 Euro kosten. Ansonsten kann ein überzeugendes Marketing mit einem vertrauenserweckenden Produkt sogar die bessere Strategie sein als eine Discount-Pille.

Die Hersteller dürfen sich bis zum Stichtag überhaupt nicht äußern, das wäre ein Patentrechtsverstoß. Fest steht nur, dass bislang rund 30 Firmen eine Zulassung für den deutschen Markt beantragt haben. Und Branchengrößen wie Hexal bewerben das Thema Männergesundheit vermutlich aktuell nicht zufällig auf ihrer Homepage.

Zum Teil haben die Unternehmen das Produkt in Ländern auf dem Markt, in denen der Patentschutz bereits gefallen ist. Ratiopharm etwa hat seit 2009 schon rund zwei Millionen Tabletten an den Mann gebracht. Da der Mutterkonzern Teva über eine EU-Zulassung verfügt, dürfte das Generikum auch hierzulande mit der Wirkstoffbezeichnung plus Firmenname vermarktet werden.

Überhaupt geht man in der Branche davon aus, dass die Hersteller überwiegend diese klassische Namensgebung wählen, also auf einen eigenen Markennamen verzichten werden.

Neben der Markenstärke des Originals würde vor allem der Kundenwunsch nach Diskretion für diese Strategie sprechen. Denn auch Pfizer hatte mit der Bekanntheit seiner Potenzpille zu kämpfen, weil sie zunehmend zu einem Diskretions-Killer wurde. Davon sollen sogar die Konkurrenten Bayer (Levitra) und Eli Lilly (Cialis) profitiert haben. Beide Präparate gibt es seit 2003, die Wirkweise unterscheidet sich aber von Sildenafil.

Pfizer hatte das Patent 1991 angemeldet, seit 1998 gibt es Viagra auf dem US-Markt. 2012 hat der Pharmariese allein mit diesem Präparat zwei Milliarden Dollar Umsatz gemacht. Mit dem Patentablauf in mehreren europäischen Ländern dürften solche Zahlen bald unerreichbar sein.

Die Generikahersteller wollen aber nicht nur bei Pfizer und der Original-Konkurrenz wildern: Durch den Preisverfall könnten viele Kunden aus dem Schwarzmarkt illegaler Versandapotheken abgezogen werden, so die allgemeine Hoffnung der Branche.

Wenn um Mitternacht der Patentschutz fällt, rollen die LKW über die Grenze. Bis dahin muss die Ware in Ländern geparkt bleiben, in denen es schon einen Generikamarkt gibt. Ohnehin rechnet man auf Herstellerseite mit einem großen Ansturm nicht vor Mitte kommender Woche: „So mancher Unkundige wird vermutlich zunächst ohne Rezept in die Apotheke laufen.“