Eine Viertelmilliarde Euro hat Shop Apotheke im vergangenen Jahr mit rezeptpflichtigen Medikamenten umgesetzt. Während sich der Versandkonzern für die Zahlen feiert, knallen bei den Anlegern keine Korken. Denn die Umsätze sind teuer erkauft und die Erträge dürften weiterhin knallrot leuchten. Für die Apotheken vor Ort sollten die Wachstumszahlen jedoch eine Warnung sein, selbst den Anschluss an die digitalen Bedürfnisse der Gesellschaft nicht zu verlieren. Ein Kommentar von Patrick Hollstein.
An der Börse konnte man sich heute keinen rechten Reim auf die vorläufigen Geschäftszahlen machen, die Redcare vorgelegt hat. Der Aktienkurs verzeichnete nur ein leichtes Plus; offenbar war es nicht gelungen, die Erwartungen zu übertreffen: Der Mutterkonzern von Shop Apotheke hatte bereits im Herbst die Prognose angehoben und jegliche Orientierung am Ertrag über Bord geworfen. Aber sind die 254 Millionen Euro, die der Versender im Jahr 1 des E-Rezepts mit Rx-Medikamenten erlöst hat, nun viel oder wenig?
Einerseits gibt es Wachstumsbranchen, in denen eine Verdopplung des Umsatzes gewissermaßen die Untergrenze darstellt. Zumindest im vierten Quartal hat Shop Apotheke dieses Plus erreicht, auch wenn die Erlöse erklärtermaßen teuer erkauft waren. Und der Arzneimittelmarkt ist auch keine Branche, in der gehypte Unternehmen einfach mal so Schallmauern durchbrechen.
Andererseits hat der Versender gerade einmal den Anschluss wiedergefunden: 2020 wurden 219 Millionen Euro mit Rx-Medikamenten erlöst, jetzt sind es 10 Prozent mehr. So gesehen gibt es keinen Grund für Euphorie.
Was die Story intakt hält: Nach dem mauen ersten Halbjahr hat das Geschäft seit der Einführung von CardLink und Jauchs Dauerpräsenz in der Werbung deutlich an Fahrt aufgenommen: Lagen die Rx-Erlöse im ersten Quartal noch unverändert bei 37 Millionen Euro, wuchsen sie im zweiten Quartal auf 50 Millionen Euro, im dritten Quartal auf 69 Millionen Euro – das war erstmals so viel wie vor der Einführung der Rx-Boni – und schließlich im vierten Quartal auf 98 Millionen Euro.
Oder wie CEO Olaf Heinrich es ausdrückt: „Die Wachstumsrate unserer Rx-Erlöse sprang dabei von 7 Prozent im ersten Quartal auf 142 Prozent im vierten Quartal.“
Legt man allerdings die Prognose des Managements von Anfang Oktober zugrunde, sind die Rx-Erlöse gerade einmal am unteren Ende des aus anderen Kennzahlen herzuleitenden Korridors von 200 bis 420 Millionen Euro gelandet.
Immerhin hat Redcare mittlerweile (wieder) einen messbaren Marktanteil erreicht: Lag der im Januar noch bei 0,27 Prozent, waren es laut Heinrich im Juni 0,45 Prozent, im September 0,55 Prozent und im Oktober bei 0,66 Prozent.
Es ist eine andere Zahl, die aufhorchen lässt: Nach Konzernangaben hat Redcare 12,5 Millionen aktive Kundinnen und Kunden. Zwar ist nicht bekannt, wie viele davon aus Deutschland kommen. Doch da hier ein großer Teil des Geschäfts gemacht wird, dürfte eine signifikante Anzahl der rund 41 Millionen Haushalte in den vergangenen zwölf Monaten mindestens einmal mit dem Shop Apotheke in Berührung gekommen sein.
Hinzu kommt, dass auch der Non-Rx-Umsatz nach wie vor deutlich wächst, um 21 Prozent im vergangenen Jahr. Shop Apotheke hat also durchaus Möglichkeiten, die „vollständig digitale Rx-Journey“, wie Heinrich es nennt, aus eigener Kraft am Laufen zu halten.
Heinrich hatte bereits im Oktober erklärt, wie er sich die Sache vorstellt: Anhand von Kohorten könne man sehen, dass diese Kundinnen und Kunden besonders lange treu blieben. Die Anfangsinvestition führe irgendwann zum Break-even, daher habe man sich entschieden, diesen Weg zu gehen. Theoretisch könnte man das Marketing auch einstellen, Aufträge kämen dann immer noch. Viele Rx-Kunden bestellten bereits zum zweiten, dritten oder sogar vierten Mal. Jetzt schnell in dieses Geschäft hineinzuwachsen, sei die Strategie. Für 2024 und auch für 2025.
Und genau hier liegt die Gefahr für die Vor-Ort-Apotheken – denn wenn die Kundschaft digital geködert wurde, dürfte sie so schnell nicht zurückkommen. Die Apothekenteams müssen deshalb alles dafür geben, ihre eigenen digitalen Einlösewege am HV-Tisch zu bewerben und die Kundschaft davon zu überzeugen, dass in der Verzahnung aus Vor-Ort- und Online-Geschäft die Zukunft liegt.
Bei Redcare wird es im März Ernst – denn dann wird die Börse womöglich erst einmal wieder desaströse Ertragszahlen verdauen müssen. Heinrichs Berechnungen dazu: Statt bei 2 bis 4 Prozent soll die bereinigte operative Marge (Ebitda) nur noch bei 1,2 bis 2,2 Prozent des Umsatzes liegen. Konkret heißt das, dass zwischen 30 und 55 Millionen Euro auf dieser Ebene erwartet werden – zuvor waren zwischen 45 und 100 Millionen Euro in Aussicht gestellt worden. Unter dem Strich dürfte dann ein dickes Minus sehen.
Ein mittlerer zweistelliger Millionenbetrag wurde also im vergangenen Jahr auf Ertragsseite geopfert und in Werbung investiert. Gar nicht eingerechnet sind die Boni, die die Marge zusätzlich schmälern. So beeindruckend das Wachstum also sein könnte: Jeder Umsatzeuro war massiv erkauft.