Mit der Marktrücknahme des Krebsmittels MabCampath (Alemtuzumab) hat Sanofi den Unmut der Onkologen auf sich gezogen. Nach der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) meldet sich auch der Bundesverband Deutscher Krankenhausapotheker (ADKA) zu Wort: „Dies ist ein Musterbeispiel für eine unethische Marktpolitik.“ sagte ADKA-Präsident Dr. Torsten Hoppe-Tichy.
Sanofi will das bislang gegen chronisch lymphatische Leukämie vom B-Zell-Typ (B-CLL) eingesetzte Medikament zur Behandlung der Multiplen Sklerose (MS) auf den Markt bringen. Der Zulassungsantrag wurde im Juni bei den Zulassungsbehörden eingereicht; das Produkt soll unter dem Namen Lemtrada vertrieben werden. Der französische Pharmakonzern hatte den Antikörper 2009 von Bayer übernommen; weil die Leverkusener für die neue Indikation noch Rechte haben, sind sie beim Neustart mit dabei.
Nach offizieller Lesart will Sanofi durch die Marktrücknahme sicherstellen, „dass zukünftig die Anwendung von MabCampath bei Patienten mit Multipler Sklerose nur noch im Rahmen von klinischen Prüfungen erfolgt“.
Die DGHO vermutet aber, dass Alemtuzumab in der neuen Indikation mit einem höherem Verkaufspreis auf den Markt gebracht werden soll. Für die Krebstherapie werden pro Zyklus mehr als 1000 mg benötigt; bei einem Herstellerabgabepreis von rund 1500 Euro für 3 Durchstechflaschen à 30 Milligramm summieren sich die Umsätze pro Zyklus auf mehr als 17.000 Euro.
Bei MS-Patienten wurden in den klinischen Studien im ersten Jahr an fünf Behandlungstag insgesamt 60 Milligramm und im Folgejahr an drei Behandlungstagen 36 Milligramm eingesetzt. Der Umsatz für Sanofi würde sich also beim bisherigen Preis rein rechnerisch auf rund 1600 Euro pro Zweijahrestherapie summieren. Wenn die angebrochene zweite Packung komplett abgerechnet würde, wären es 3000 Euro.
Damit läge MabCampath aber nicht nur deutlich unter dem bisherigen Preisniveau, sondern auch unter den sonst üblichen MS-Therapiekosten: Bei Rebif (Interferon beta-1a), das in den Studien als Vergleichstherapie verwendet worden war, stellt der Hersteller Merck pro Monatspackung bis zu 1400 Euro in Rechnung. In zwei Jahren käme eine Summe von 34.000 Euro zusammen.
Die Situation erinnert an den Wirbel um Avastin/Lucentis: Beide Medikamente hatten sich als gleichermaßen wirksam bei altersabhängiger Makuladegeneration (AMD) erwiesen. Doch nur Lucentis (Ranibizumab) ist in dieser Indikation zugelassen; hier fallen also um ein Vielfaches höhere Kosten an als beim off-label-Einsatz des Bevacizumab-haltigen Darmkrebsmittels. Kritiker werfen Roche vor, absichtlich keine Zulassung in der Indikation beantragt zu haben, um das Produkt des eigenen Großaktionärs Novartis zu schützen.
Bei MabCampath sind den Onkologen und Klinikapothekern derzeit aber nicht die mutmaßlich monetären Erwägungen der beiden Pharmakonzerne ein Dorn im Auge. Ihnen geht es um die Versorgung der Patienten: Zwar werden nur rund 300 Menschen in Deutschland mit dem Präparat behandelt, das seit kurzem kostenlos als Einzelimport aus den USA beim britischen Pharmahändler Clinigen bestellt werden kann.
Doch Ärzte und Pharmazeuten sehen neben dem zusätzlichen Aufwand und der Abhängigkeit von ausländischen Märkten vor allem die Haftungsfrage berührt: Die Verantwortung für den Einsatz außerhalb der zugelassenen Indikation liege allein beim verordnenden Arzt, sagte ADKA-Vizepräsidentin Professor Dr. Irene Krämer mit Blick auf den künftigen Einsatz des MS-Mittels in der Krebstherapie.
Die Krankenhausapotheker sehen in der Rücknahme vom Markt ein „fatales Signal“ und fordern die Zulassungsbehörden auf, diese Entscheidung zu redivieren. Die EMA räumte auf Nachfrage aber bereits ein, dass der EU-Kommission die rechtliche Grundlage fehle, um einen Rückruf der Zulassung abzulehnen.
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