Eben noch schien die Preisbindung verloren, plötzlich werden die Karten neu gemischt. Nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) in einem alten Verfahren das Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu Rx-Boni in Frage gestellt hat, entschied gestern auch das Landgericht München I (LG), dass mit dem Richterspruch aus Luxemburg die Preisbindung keineswegs ausgehebelt worden sei. Die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) und ihr Anwalt Dr. Morton Douglas könnten mit ihren Anstrengungen der vergangenen Jahre zu den Rettern des Arzneimittelpreisrechts werden.
In dem Streit ging es um einen Rx-Rabatt von DocMorris aus dem Jahr 2014. In einer ihrer zahlreichen Spielarten hatte die Versandapotheke Kunden einen Gutschein im Wert von 10 Euro auf Rezept spendiert. Dabei hatte sich DocMorris sogar mit wertlosen Rezeptkopien zufrieden gegeben. Der Coupon konnte bei der nächsten Bestellung ab 40 Euro eingelöst werden.
Die AKNR ging auch gegen dieses Modell vor und erwirkte vor dem LG Köln eine einstweilige Verfügung gegen die Versandapotheke. Parallel wurde vor dem LG München I die Siemens BKK auf Unterlassung verklagt, da sie DocMorris in ihrer Mitgliederzeitschrift „SBK Leben“ für das Angebot hatte werben lassen.
In diesem Nebenverfahren erging gestern ein Urteil, das für den Streit um die Preisbindung richtungsweisend sein könnte. Das LG bestätigte seine einstweilige Verfügung aus dem Oktober 2014 und erklärte, warum Rx-Boni auch nach dem EuGH-Urteil unzulässig sind: Aus Sicht der Richter wurde in Luxemburg nämlich nur die Preisbindung unter dem Gesichtspunkt des Arzneimittelpreisrechts verworfen.
Vollkommen außer Acht gelassen habe der EuGH dagegen die im Heilmittelwerbegesetz (HWG) verankerte Rx-Preisbindung. Diese verfolgt laut LG einen gänzlich anderen Zweck: Während das Arzneimittelpreisrecht auf die Sicherung der flächendeckenden Versorgung abziele, diene das HWG dem Zweck, Verbraucher vor Irreführung und unzweckmäßigem Konsum von Medikamenten zu schützen, folgten die Richter der Argumentation der AKNR und ihres Anwalts.
Als weiteres Indiz sieht das LG in München die Tatsache, dass der EuGH in seiner Entscheidung auf eine mit dem HWG korrespondierende Richtlinie überhaupt nicht eingegangen sei. „Es ist nicht anzunehmen, dass der EuGH mit seiner Entscheidung eine pauschale Aussage zur Auslegung der Webenormen des Gemeinschaftskodex treffen wollte, ohne dabei die Richtlinie erwähnt zu haben“, heißt es im Urteil.
Laut Richtlinie sind geringwertige Zugaben auch bei der Abgabe verschreibungspflichter Arzneimittel erlaubt – an gleicher Stelle ist im Kodex aber das Recht der Mitgliedstaaten verankert, die nationalen Preisvorschriften selbst zu regeln. Die gänzlich fehlende Befassung kann laut LG damit zusammenhängen, dass der EuGH bereits in einer früheren Grundsatzentscheidung zur vollharmonisierenden Wirkung der Werbenormen des Gemeinschaftskodex bestimmte Formen der Wertreklame für Arzneimittel bereits für unzulässig erklärt habe. „Es nicht erkennbar ist, dass der EuGH mit der nunmehrigen Entscheidung dem entgegen treten wollte.“
Im Ergebnis bedeute dies, dass die Beschränkungen nach HWG als unionsrechtskonform anzusehen seien. Diese seien „primär an den vollharmonisierenden Werbenormen des Gemeinschaftskodex für Humanarzneimittel zu messen [...] und nicht an der Warenverkehrsfreiheit“.
Allerdings könnten im Ergebnis geringfügige Boni erlaubt sein: Nach richtlinienkonformer einschränkender Auslegung seien Werbeangaben nämlich „jedenfalls solange zulässig, bis sie aufgrund ihrer Art und Höhe die konkrete Gefahr eines unzweckmäßigen Arzneimittelerwerbs beziehungsweise Arzneimittelgebrauchs begründen“.
Die deutschen Regelungen nach HWG seien damit auch nach dem EuGH-Urteil für das umstrittene Bonusmodell von DocMorris anwendbar. Denn die Vorschrift verbiete Zuwendungen nicht allein unter Bezug auf das Arzneimittelpreisrecht. Vielmehr sollten Verbraucher „vor Irreführung und unsachlicher Beeinflussung gerade in einer Situation besonderer Schutzwürdigkeit geschützt werden“. Kranke Menschen begegneten der Werbung für Heilmittel eben nicht mit derselben Skepsis wie der gesunde Durchschnittsverbraucher.
Außerdem solle sichergestellt werden, dass eine akut notwendige Therapie nicht durch die Auslobung von nicht geringwertigen Zugaben verzögert werde. Patienten sollten davon abgehalten werden, „bloß allein wegen der Zugabe einen verspäteten und damit unzweckmäßigen Therapiebeginn zu wählen“. Die Richter verwiesen auch darauf, dass der Mindestbestellwert von 40 Euro zu einem Mehrgebrauch führen könne.
Anders als die Anwälte der SBK – die DocMorris-Kanzlei Diekmann – sahen die Richter den Bonus auch weder als reine Imagewerbung noch als Barrabatt. Dass die SBK sich auf das Presseprivileg berief, ließ das LG ebenfalls nicht gelten: Wenn eine Anzeige „grobe und eindeutige, unschwer erkennbare Wettbewerbsverstöße“ enthalte, komme eine Haftung in Betracht.
Die SBK unterliege keinen umfassenden, aber grundsätzlichen Prüfpflichten. Dass es sich bei der DocMorris-Anzeige um einen „eindeutigen und unschwer erkennbaren Wettbewerbsverstoß“ handele, stehe zweifelsfrei fest. „Eine Krankenkasse weiß und muss wissen, dass bei der Einlösung von Verschreibungen keine Rabatte gewährt werden dürfen, so dass bei angemessener, auch nicht umfassender Prüfung der Beklagten zweifelsfrei aufgefallen wäre und auffallen musste, dass hier ein Verstoß gegen § 7 HWG vorliegt“. Aus diesem Grund greife die Störerhaftung.
Die SBK hat noch nicht entschieden, ob sie Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen will. Erst müsse die Begründung analysiert werden, hieß es.
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