Automatenhersteller

Rowa holt Sichtwahl aus der Apotheke Patrick Hollstein, 13.10.2015 10:19 Uhr

Berlin - 

Visavia war gestern, jetzt kommen Vpoint und Vshelf. Mit zwei neuen Modulen wagt sich CareFusion/Rowa erstmals seit dem juristischen K.o. für sein Abgabeterminal wieder in die Publikumszone. Auf der Expopharm hat der Automatenhersteller die digitalen Abverkaufshilfen vorgestellt: Vpoint ist die Erweiterung der digitalen Sichtwahl Vmotion in die Freiwahl. Vshelf soll die Apotheke weit über ihre Betriebsräume hinaus erreichbar machen.

Dass Rowa sich auf Dauer nicht mit einem Platz für seinen Vmax im Backoffice zufrieden geben würde, war eigentlich klar, seit Dirk Bockelmann Anfang 2014 als Vertriebsleiter an Bord kam: Der 38-jährige Betriebswirt hatte zuvor für NCR und Wincor Nixdorf gearbeitet, die beiden weltweit führenden Anbieter von Geldautomaten, Kassensystemen und digitalen Einzelhandelskonzepten.

Seit seinem Antritt hat Bockelmann stets ein Youtube-Video zur Hand, wenn er zeigen will, wie der Einzelhandel der Zukunft aussehen könnte. Einer der Clips auf seinem Smartphone zeigt eine U-Bahn-Station in einer südkoreanischen Großstadt, wo Verbraucher, während sie auf ihren Zug warten, an riesigen Lichtwänden ihre Lebensmitteleinkäufe erledigen können.

Demnächst kann Bockelmann seinen Gesprächspartnern sein eigenes Video präsentieren. Denn auf der Expopharm hat Rowa sein Modul Vshelf vorgestellt – zwei große berührungssensitive Bildschirme, auf denen etwa in Eingangsbereichen von Firmen oder in Hotelfoyers OTC- und Freiwahlprodukte wie im Verkaufsregal präsentiert werden sollen. Neben dem Preisschild ist ein QR-Code abgebildet, der mit dem Handy eingescannt werden kann. Über einen Webshop, der auch von Rowa bereitgestellt wird, kann der Artikel so von unterwegs aus in der Apotheke reserviert und bezahlt werden. Der Kunde kann die Artikel in der Apotheke abholen oder nach Hause liefern lassen. „Omnichannel“ lautet das Zauberwort: die Nutzung verschiedener Kanäle für ein- und denselben Verkaufsvorgang.

Laut Bockelmann geht es bei Vshelf darum, die Reichweite und Erreichbarkeit der Apotheken gegenüber den Kunden zu erhöhen. Ab Februar soll das Modul zunächst im Eingangsbereich eines größeren, namentlich nicht genannten Unternehmens, getestet werden.

Nach den ersten positiven Reaktionen auf der Messe rechnet Bockelmann allerdings auch mit Gegenwind. Denn obwohl man das Konzept rechtlich prüfen lasse habe, gebe es gewisse Grauzonen. Als Beispiel nennt er das Aufhängen der Werbebildschirme in öffentlichen Räumen, Einkaufszentren etwa. Man werde alle Installationen vorab von den zuständigen Pharmazieräten bewerten und freigeben lassen.

Die Gefahr, dass Versandapotheken Vshelf nutzen könnten, um etwa im Eingangsbereich von Ärztehäusern Bestellungen einzusammeln, sieht Rowa-Geschäftsführer Dirk Wingenter nicht. Einerseits würden nur pharmazeutisch unkritische Präparate angezeigt, andererseits sei Vshelf gerade als Chance für die niedergelassenen Apotheken zu sehen: „Wir schaffen eine lokale Infrastruktur, die eine zeitnahe Belieferung gewährleistet. Das kann der Versandhandel nicht leisten“, sagt er.

Um den Service in vollem Umfang nutzen zu können, müssen die teilnehmenden Apotheken allerdings selbst eine Versanderlaubnis vorweisen. Wingenter will nicht, dass sich einer seiner Kunden mit unzulässigen Bezahlvorgängen außerhalb der Apotheke oder Botendiensten auf rechtliches Glatteis begibt.

Weniger brisant kommt auf den ersten Blick die zweite Neuheit von Rowa daher. Der Vpoint ist eine Stele für die Freiwahl; auf den Bildschirmen können sich die Kunden durch Indikationen und Sortimente navigieren und einen Überblick über die verfügbaren Produkte verschaffen.

Das Besondere im Vergleich zu den Konsolen von Anbietern wie Aliud oder Orthomol: Je nach Ausbaustufe wird auch eine Druck-, Scan- und Bezahlkomponente mitgeliefert, sodass das Gerät auch als Schnellkasse zum selbstbedienten „Checkout“ – analog zu Ikea – verwendet werden kann. „Selbstverständlich halten wir uns dabei streng an die gesetzlichen Regelungen und bieten den Self-Checkout-Service nur für Freiwahlprodukte an. Der Kunde kann sich über OTC-Produkte informieren, muss dann aber zur finalen Beratung und Bezahlen an den HV-Tisch.“, gibt Bockelmann zu Protokoll.

Seiner Meinung nach können Apotheken mit dem Vpoint ihr Warenlager in der Tiefe herunterfahren und trotzdem ein vollständiges Sortiment präsentieren. Mehr als 100.000 Schnell- und Langsamdreher passen in die „digitale Erweiterung der Freiwahl“ – ohne Kapitalbindung, Diebstahlrisiko und Pflege- oder Putzaufwand.

Vor allem aber geht es darum, einen zusätzlichen Informations- und Verkaufspunkt in der Apotheke zu schaffen und in der Raumgestaltung als auch im Beratungs- und Verkaufsprozess neue Akzente zu setzen. Wo weniger Ware vorrätig gehalten werden muss, können besondere Produkte aus seiner Sicht besser präsentiert werden, etwa im Rahmen von Promo-Aktionen. Zusätzlich wird Vpoint auch als Tablet-Variante für die Diskretberatung angeboten.

Das neue Format entspreche dem Wunsch der Verbraucher nach mehr Transparenz in der Apotheke, ist Bockelmann überzeugt: „Wer als Kunde die Komplettübersicht über die gewünschte Warengruppe hat, wird am Ende überzeugt sein, das beste Produkt ausgewählt zu haben.“

Alleine gelassen werden sollen die Verbraucher am Vpoint aber nicht: „Man muss das richtige Verhältnis zwischen Souveränität und Service finden“.Im Kaufpreis von rund 19.000 Euro sind jedenfalls die Warengruppenaufbereitung sowie die Schulung der Mitarbeiter bereits enthalten. Optional wird ein Hostessen-Service angeboten, um über einen Zeitraum von ein bis drei Wochen die Konsumenten vom neuen Serviceangebot in der Apotheke zu überzeugen.

In Frankfurt und im niederländischen Middelburg sollen die Vpoints ab Februar getestet werden, außerdem läuft in der IDA-Akademie eine Digitalstudie mit dem Gerät. Im Sommer plant Bockelmann die Serienfreigabe. Er sieht auch Vermarktungspotenzial gegenüber der Industrie, die bislang durchweg positiv reagiert habe.

Die Hersteller hätten ein Interesse daran, dass ihre Produkte entsprechend professionell und makellos präsentiert würden und dass die Packungen bei Abgabe in einem guten Zustand seien. Außerdem gebe es die Möglichkeit, am Vpoint neue Kampagnen entsprechend schnell flächendeckend umzusetzen.

Vpoint und Vshelf sind logische Erweiterungen von Vmotion. Die digitale Sichtwahl war der erste Schritt von Rowa aus dem Backoffice in den Verkaufsraum. Seit dem Start der Kooperation mit View'n'Vision im Sommer 2014 wurden bereits 170 Module verkauft, circa zwei Drittel davon in Deutschland. Mittlerweile gibt es Version 2.5 – mit zoom- und drehbaren Packungen und Basispreisvergleich. Aktuell lassen sich Bockelmann und seine beiden Content-Manager Formatvorlagen von der Industrie schicken, um die Indikationen noch treffsicherer abzubilden.

Zu Ende gedacht, könnten Vpoint und Vmotion in nicht allzu ferner Zukunft Instrumente sein, um Sicht- und Freiwahl zu automatisieren – bis hin zum Bestandsmanagement direkt beim Großhandel. Wingenter kann sich vorstellen, die Integration von Großhandel und Apotheken mit diesen Möglichkeiten weiter voranzutreiben und Rowa als Software- und Serviceanbieter weiterzuentwickeln.

Noch sei es zu früh um vorherzusagen, wohin die Reise gehe – und ob die neuen Technologien sich als „disruptive Innovationen“ durchsetzen könnten. Den neuen Ansprüchen der Verbraucher in einer digitalisierten Welt könnten sich aber auch die Apotheken nicht verschließen. Vielfach gebe es auch seitens der Pharmazeuten einen Bedarf nach einer sinnvollen Unterstützung bei der Beratung. Einige Kollegen hätten längst eigene Powerpoint-Präsentationen für Verkaufsgespräche erstellt.

„Wir bei Rowa wollen die Veränderung mitgestalten“, sagt Wingenter. Man habe das Gefühl, mit den verschiedenen Elementen gute Ansätze zu liefern. Auch Bockelmann findet: „Wenn Apotheker etwas Innovatives wollen, dann haben wir das passende Angebot für sie.“ Bei seinen Gesprächspartnern auf der Expopharm habe er jedenfalls stets ein Nachdenken bemerkt.