Retaxfirmen

Die Fehlerjäger

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Berlin -

Es gibt Post, die man am liebsten nicht öffnen würde. Briefe vom Finanzamt gehören dazu – bei Apothekern besonders unbeliebt sind außerdem Rezeptprüfstellen als Absender. Eine Handvoll Unternehmen kann für sich in Anspruch nehmen, einen ganzen Berufsstand regelmäßig zur Weißglut zu bringen.

Als Faustregel gilt: Die großen Kassen kontrollieren die Rezeptabrechnung selbst, kleinere Kassen beauftragen externe Dienstleister. Branchenkennern zufolge liegt der Marktanteil der hauseigenen Prüfstellen bei mehr als 60 Prozent – wenn man die Versichertenzahlen als Grundlage nimmt. Die restlichen 40 Prozent teilen sich einige wenige Firmen, die zum Teil seit Jahrzehnten im Geschäft sind.

Mit einem Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro und mehr als 1000 Mitarbeitern dürfte Inter-Forum Marktführer sein. Das Unternehmen aus Leipzig wurde Anfang der 1990er Jahre gegründet und gehört seit kurzem zum Imperium der C&A-Inhaberfamilie Brenninkmeijer. Neben der Abrechnungsprüfung werden auch Datenanalysen und IT-Services angeboten. Die Prüfsoftware Rezept300 wird nicht nur von vielen Kassen eingesetzt, sondern teilweise auch von anderen externen Prüffirmen.

Die Prüfung von Rezepten aus Apotheken ist mittlerweile von untergeordneter Bedeutung; heute gehören die KKH und verschiedene LKKen zu den Kunden. Einige AOKen lassen ihre Belege von Inter-Forum aufbereiten. 70 Prozent des Umsatzes entfallen auf Belege von Taxifahrern, Hebammen, Pflegediensten, Hilfsmittelanbietern und Heilmittelerbringern.

Dieser Bereich der sonstigen Leistungserbringer ist besonders umsatz-, aber auch personalintensiv, denn die Bearbeitung der Belege lässt sich nicht so gut automatisieren wie der Umgang mit den Standardformularen aus der Apotheke. Wie groß die Risiken sind, musste zuletzt die Firma Medent erfahren. Das Unternehmen aus München, das alleine in der Außenstelle in Eisenhüttenstadt mehr als 200 Mitarbeiter beschäftigte, musste nach dem Verlust mehrerer Großkunden Insolvenz anmelden. Das Verfahren läuft noch.

Aus diesem Grund hat sich die Rezeptprüfstelle Duderstadt (RPD) Ende der 1990er Jahre aus diesem Segment zurückgezogen. Das Familienunternehmen ist seit 1948 im Geschäft und wird heute in dritter Generation von Robert Schmidthals geführt. Rund 100 Mitarbeiter prüfen die Abrechnungen der Apotheken unter anderem für verschiedene BKKen und IKKen. Der Anteil am Gesamtumsatz liegt bei rund 80 Prozent; ein weiterer Schwerpunkt ist die Prüfung von Bestellungen für den Sprechstundenbedarf. Außerdem wird seit 1986 auch der Zahlungsverkehr für die Kassen abgewickelt.

Syntela ist seit Anfang 2005 im Geschäft. Die Firma mit Sitz in Leipzig wurde von ehemaligen Mitarbeitern von Inter-Forum gegründet und Ende 2014 vom Hamburger Finanzinvestor Caldec übernommen. Um das operative Geschäft kümmern sich Finanzexperten und ehemalige leitende Kassenmitarbeiter. In dem insgesamt von stabilen Kundenbeziehungen geprägten Markt hat Syntela zuletzt einige Budgets geholt.

Ein weiterer privater Anbieter ist das Deutsche Dienstleistungszentrum für das Gesundheitswesen (DDG) aus Essen. 1991 gegründet, hat sich das Unternehmen vor allem im Bereich der sonstigen Leistungserbringer profiliert; die Rezeptprüfung im Arzneimittelbereich ist von untergeordneter Bedeutung. Firmengründer und -inhaber Reiner Rübel hat sich gerade aus dem operativen Geschäft zurückgezogen; Geschäftsführer sind Burkhard Sprenger, Thomas van Emmenes und Ewald Rübel.

800 Mitarbeiter sorgen nach Firmenangaben dafür, dass täglich rund 85.000 Verordnungen aus ganz Deutschland sortiert, erfasst, geprüft und aufbewahrt werden. Aus dem durchschnittlichen Wert von 500 Euro pro Rechnung ergibt sich ein jährliches Gesamtrechnungsvolumen von mehr als drei Milliarden Euro.

Von der Firmengruppe Opta Data wurde DDG vor einigen Jahren getrennt; Wettbewerber hatten Interessenkonflikte gesehen. Der Verbund aus 17 eigenständigen Gesellschaften beschäftigt mehr als 1900 Mitarbeiter und bietet unter anderem Software für nichtapprobierte Leistungserbringer wie Pflegedienste, Sanitätshäuser und Hilfsmittelversorger an. Apotheken kennen das Produkt Egeko, mit dem elektronische Kostenvoranschläge übermittelt werden können.

Vielen Apotheken bekannt ist auch die Gesellschaft für Statistik im Gesundheitswesen (GfS), die sich auf die Prüfung von Rezepten aus Apotheken spezialisiert hat. Zu den Großkunden gehört die Barmer GEK – eine der wenigen bundesweit aufgestellten Kassen, die die Prüfung an einen externen Dienstleister vergeben hat.

Insgesamt arbeitet die Firma mit mehr als 120 Mitarbeitern nach Angaben von Geschäftsführer Jamshid Javdani mit mehr als 20 Kassen zusammen – der Marktanteil auf Basis der Versichertenzahlen liegt demnach bei 18 Prozent. Jährlich werden 80 Millionen Rezepte geprüft, monatlich mehr als eine halbe Milliarde Euro zwischen Apotheken und Kassen bewegt. Der Jahresumsatz der Firma liegt laut Javdani bei rund sechs Millionen Euro.

Die GfS war 1991 gegründet worden und gehörte lange zur VSA. In der Branche halten sich hartnäckige Gerüchte, dass das Münchener Rechenzentrum noch heute hinter der Firma steht; als Gesellschafter sind mehrere Steuerberater als Treuhänder eingetragen. 1996 wurde der Standort in Dresden eröffnet, Zweigstellen gibt es nach wie vor in Unterschleißheim bei München und in Leipzig. Auch für private Krankenversicherungen ist GfS aktiv.

Auch die Kassen selbst haben Retaxfirmen gegründet. Einer der führenden Anbieter ist das Abrechnungszentrum Emmendingen, ein Eigenbetrieb des BKK Landes­verbandes Süd. Rund 500 Mitarbeiter prüfen pro Jahr mehr als 57 Millionen Verordnungen im Gesamtwert von 4,9 Milliarden Euro. Insgesamt hat die Firma 90 Kunden mit mehr als 16,5 Millionen Mitgliedern.

Zu einiger Berühmtheit hat es in der Branche und darüber hinaus Protaxplus aus Essen gebracht. Die Rezeptprüffirma war 2011 vom BKK-Landesverband Nordwest ausgegründet worden, der bereits seit 1948 die Abrechnungen seiner Mitglieder prüfte. Ab Herbst 2011 wurden im Auftrag der Novitas BKK sowie den mittlerweile fusionierten BKK vor Ort und BKK Hoesch massenhaft Null-Retaxationen aufgrund von Formfehlern ausgesprochen. Die Beanstandungen der BtM-Rezepte waren zum Teil so kleinlich, dass sogar die Politik sich zum Einschreiten genötigt sah und andere Krankenkassen auf Distanz gingen. Was viele Apotheker besonders ärgerte: Protaxplus-Geschäftsführer Normann Johannes Schuster war früher selbst beim Apothekerverband Nordrhein tätig.

Fusionen auf der Kassenseite haben das Geschäft der Retaxfirmen zuletzt schwieriger gemacht – Inter-Forum etwa hatte die Rezepte der Gmünder Ersatzkasse nach der Übernahme durch die Barmer an die GfS verloren. Angesichts neuer Abrechnungsfelder und der erwarteten Verbreitung von Selektivverträgen sind die Zukunftsaussichten nach wie vor rosig.

Die Rezeptprüfung ist im Sozialgesetzbuch (SGB V) in den Paragrafen 300 (Apotheken) und 302 (sonstige Leistungserbringer) vorgesehen. Die Heilmittelerbringer wurden mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) von „unberechtigten Regressforderungen bei Retaxationen“ befreit, wie von Union und SPD bereits im Koalitionsvertrag versprochen. Auch bei den Ärzten gab es zuletzt Lockerungen bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung.

Parallel wurden Apotheker und Kassen aufgefordert, sich auf eine Regelung zu Retaxation zu einigen. Die Verhandlungen wurden von beiden Seiten als gescheitert erklärt. Der Deutsche Apothekerverband (DAV) hatte daher die Schiedsstelle unter der Leitung von Dr. Rainer Hess angerufen. Die Kassen hatten noch versucht, eine Aufwandsentschädigung für solche Fälle durchzusetzen, in denen Nullretaxationen bei kleineren Abgabefehlern wegfallen. Eine ähnliche Regelung gibt es umgekehrt bei Kliniken: 300 Euro Aufwandsentschädigung können die Krankenhäuser einstreichen, wenn die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt. Vor drei Jahren hatten die Gesundheitsexperten der Union geplant, fehlerhafte Rechnungen mit einer Geldbuße zu belegen. 2014 wurde ein Vorverfahren zwischen Krankenkasse und Krankenhaus eingeführt.

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