Interview Hanns-Heinrich Kehr

„Jeder denkt über Alternativkonzepte nach“

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Berlin -

Der Pharmagroßhandel in Deutschland steht derzeit von mehreren Seiten unter Beschuss. Während die Rabattschlacht die Erträge zu pulverisieren droht, spielen die paneuropäischen Konzerne die globale Karte. Mit „AEP direkt“ macht sich derweil ein neuer Anbieter auf, das traditionelle Geschäftsmodell zu verändern – und stößt damit bei einigen Mitbewerbern auf erstaunlich offene Ohren. APOTHEKE ADHOC sprach mit Hanns-Heinrich Kehr vom Privatgroßhändler Richard Kehr aus Braunschweig über die Veränderungen des Marktes und die Folgen für die Apotheken.

ADHOC: Gibt es eine Revolution im Großhandel?
KEHR: Es ist kein Geheimnis, dass der Markt derzeit sehr angespannt ist und dringend ein Anlass zur Veränderung besteht. Die hohen Rabatte sind auf die Dauer nicht tragbar und schaden der ganzen Branche. Der Großhandel insgesamt schreibt seit Mitte des Jahres rote Zahlen, eine instabile Situation.
Das Ganze lässt sich mit zwei Ansätzen lösen: Entweder es gelingt, die Konditionen wieder auf ein Normalmaß zurückzuführen oder es muss sich im Logistik- und Serviceangebot des Großhandels und damit in seiner Kostenstruktur etwas grundlegend ändern. Ich bin mir sicher, dass in allen Unternehmen über Alternativkonzepte nachgedacht wird.

ADHOC: Was für Konzepte könnten das sein?
KEHR: Durch die starke Präsenz der „AEP direkt“ in den Medien geistert die Frage durch die Republik, ob man mit nur einer Lieferung pro Tag erfolgreich Großhandel betreiben kann. In Konsequenz heißt das für den etablierten Großhandel, ob er auf bestimmte Niederlassungen verzichten kann. Das geht natürlich nur, wenn sich die Apotheken mit nur einer Lieferung pro Tag zufrieden geben. Wenn AEP Fuß fassen sollte, dann würde ganz sicher der eine oder andere Anbieter nachziehen und sein Geschäftsmodell überdenken. Dann hätten wir eine Revolution im Markt.

ADHOC: Glauben Sie, dass so ein Modell eine Zukunft hat?
KEHR: Nein. Die Apotheken können nicht mit einer Tour am Tag auskommen. Es gibt viel zu viele Produkte, die die Apotheke nicht wirtschaftlich vorrätig halten kann. Heute besteht das Sortiment einer durchschnittlichen Apotheke mit circa 10.000 Artikeln zu fast drei Vierteln aus Lagerpositionen mit einem Bestand der Menge 1. Wenn Sie die Lagertiefe erhöhen müssen, bindet das erheblich Kapital und das Verfallrisiko steigt. Die häufige Belieferung durch den Großhandel wird zudem benötigt, um dessen Sortimentsbreite mit zusätzlich weiteren 70. bis 90.000 Artikeln für die Apotheke verfügbar zu machen.

ADHOC: Trotzdem gibt es ziemlich eindeutige Signale aus dem Markt.
KEHR: Das stimmt, in den paneuropäischen Konzernen wird erstaunlich laut über Änderungen des Geschäftsmodells nachgedacht. Und wir müssen auch damit rechnen, dass noch ganz andere Themen auf die Agenda rücken könnten, wenn sich die Ertragssituation im Großhandel nicht bald ändert. Das Thema DTP (Direct to Pharmacy oder Direct to Patient), also die Direktlieferung sogar bis hin zum Patienten, könnte abermals aus der Beraterszene nach oben gekocht werden. Für mich sind diese Alternativstrukturen nicht marktgerecht.

ADHOC: Warum nicht?
KEHR: Man darf nicht vergessen, dass wir weltweit um unsere Arzneimittelversorgung beneidet werden. Das wissen alle Marktbeteiligten. Ich will hier aber nicht weiter über die Pläne unserer Wettbewerber spekulieren. Ich weiß nicht, was zum Beispiel aus der amerikanischen Fernsicht als richtig für den deutschen Markt erachtet wird. Wir werden damit umgehen und weiterhin die Nähe zu unseren Kunden hochhalten.

ADHOC: Wird es im Großhandel eine Differenzierung in Premium und Discount geben?
KEHR: Auf keinen Fall wird sich der Markt über Nacht aufsplitten. Die Segmentierung geht allenfalls schleichend vonstatten. Erst einmal müssen wir sehen, ob ein Konzept wie das von AEP überhaupt läuft. Derzeit sieht es nicht danach aus, als ob das Geschäftsmodell erfolgreich wäre.

ADHOC: Es wäre ja auch denkbar, dass AEP sich dem etablierten Großhandel annähert.
KEHR: Das macht es für mich nicht erfolgversprechender, wenn ein neuer Wettbewerber bereits nach wenigen Wochen seine Grundsätze über Bord wirft. Bislang ist jeder gescheitert, der als Teilsortimenter gestartet ist und dann begonnen hat, sein ursprüngliches Konzept zu verwässern. Neben Sie Pharma Bauer in den 1980er Jahren oder zuletzt Gesine.

ADHOC: Würden die Privatgroßhändler sich gegebenenfalls auf solche Veränderungen einlassen?
KEHR: Ich kann ausschließen, dass wir Privaten bei einer solchen Entwicklung der Leistungseinschränkung für die Apotheke den Vorreiter spielen werden. Natürlich können wir aber auch gefordert werden, uns anzupassen. Das werden wir dann tun, aber immer unter der Prämisse, dass der Kunde im Mittelpunkt steht.

ADHOC: Haben Sie als Anbieter, der ausschließlich vor Ort verwurzelt ist, denn überhaupt Spielräume?
KEHR: Tiefe Wurzeln sind grundsätzlich hilfreich, besonders wenn es einmal eine Dürreperiode zu überstehen gilt. In einer Phase wie jetzt, in der sich die Konzerne und Genossenschaften nach England, Europa oder nach Amerika entfernen, braucht der Markt ein Regulativ für die regionale Apotheke in Deutschland. Wir selbständigen Großhändler sind in unseren jeweiligen Regionen verwurzelt, nutzen aber gleichzeitig die Vorteile der bundesweiten Kooperation Pharma Privat. Das ist ein Geschäftsmodell, das uns viele Spielräume gibt.

ADHOC: Wie weit würden Sie gehen, wenn Veränderungen aufgrund der Marktlage nötig wären?
KEHR: Ich sehe uns Privaten definitiv im Premiumsegment. Wir werden immer den Service hochhalten. Aber wenn wir uns einschränken müssen, weil uns kaufmännisch nichts anderes übrig bleibt, dann müssten wir unsere Dienstleistungen kostenorientiert bewerten und im Zweifelsfall separat abrechnen. Das ist jetzt aber auch genug Konjunktiv, warten wir es ab!

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