„Es sollte längst mehr von uns geben“

Potenzmittelversender will Ärzte entlasten

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Berlin -

Fragebogen ausfüllen, Medikament erhalten. Nach diesem Prinzip will das Start-up Wellster Healthtech einschlägige Lifestylepräparate an Mann und Frau bringen: Von Potenz- über Verhütungsmittel, von Präparaten gegen Haarausfall bis hin zur Gewichtsreduktion werden auf diversen Portalen verschreibungspflichtige Arzneimittel angeboten. Vom Break-even ist man weit entfernt, in finanzieller genauso wie in strategischer Hinsicht. Dennoch geben die beiden Gründer zu Protokoll: „Es sollte längst mehr von uns geben!“ Weil man im Grunde ja nur Gutes bewirken wolle.

Wellster war mit ehrgeizigen Zielen angetreten: Nicht weniger als „Europas führende vollintegrierte Gesundheitsplattform“ wolle man werden, an anderer Stelle war von „Europas Marktführer im Health-Tech-Sektor“ die Rede oder vom „größten und fürsorglichsten Gesundheitsunternehmen in Europa“. Wobei mit Fürsorge wohl der „direkte Zugang zu Behandlungen“ gemeint ist: Man könnte es auch Fragebogen statt Arztgespräch nennen oder sogar Umgehung der Verschreibungspflicht.

Große Zahlen sollten den eigenen Anspruch untermauern. Nicht nur wurde das Volumen des „weltweiten Digital Health Marktes“ für 2030 auf den schwindelerregenden Betrag von 768 Milliarden US-Dollar taxiert. Auch die Milliardenbewertungen von anderen Beteiligungen aus den Reihen der eigenen Investoren wurden ins Feld geführt. Und die wiederum feierten das Potenzial des Gesundheitsmarktes als das „Non-plus-Ultra“: Weil sich die Politik zu wenig um die Patient:innen kümmert, könne man durch „das Vereinfachen und das Personalisieren von Behandlungen“ den riesigen europäischen Markt einfach mal richtig „aufmischen“.

Während man einerseits etwas Glanz von US-Vorbildern wie Hims & Hers oder Roman abstauben wollte, stellte man gleichzeitig die eigenen Vorteile heraus: „Unser starker Kundenstamm, europäische Wurzeln und die Erfahrung mit europäischen Regularien verschaffen uns einen großen Vorteil gegenüber amerikanischen Unternehmen, die auf den Markt wollen“, so Mitgründer Nico Hribernik vor etwas mehr als einem Jahr. Und dank der „engen Zusammenarbeit mit führenden Ärzt:innen in Deutschland“ könne man auch zu Hause „höchste medizinische Standards“ garantieren. Nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) sind diese Standards bei minimalistischen Telemedizinangeboten nicht erfüllt.

„Erschwerte Bedingungen“

Aus dem aktuellen Status-Update liest sich deutlich heraus, dass Ernüchterung eingekehrt ist. Von „erschwerten Bedingungen“ und einem „hoch regulierten Markt“ ist plötzlich die Rede. Und dass man es als eines von wenigen Healthtechs geschafft habe, überhaupt in nennenswertem Ausmaß zu skalieren.

Zwei Zahlen liefert Wellster mit: Im Jahr 2022 habe man den Umsatz auf mehr als 25 Millionen verdoppelt. Und mehr als 2 Millionen Menschen nutzten die Plattformen bereits.

Dazu passend an dieser Stelle noch ein paar weitere Zahlen:

  • Schon Anfang 2022 sprach Wellster von 1,5 Millionen Patient:innen, die die Angebote seit dem Go-live im Mai 2019 genutzt hätten.
  • Die Verluste beliefen sich 2020 auf 5,9 Millionen Euro, 2021 auf 14,7 Millionen Euro und 2022 auf 13,7 Millionen Euro. Auf jeden Euro Umsatz legt das Start-up also rein rechnerisch 50 Cent obendrauf. Zum Vergleich: Bei den ebenfalls schon tiefroten Versendern Shop Apotheke und Zur Rose sind es 6,5 beziehungsweise 11 Cent.

Versorgung droht der Kollaps

Gründer und CEO Dr. Manuel Nothelfer schlägt plötzlich zurückhaltendere Töne an: „Wir versuchen nicht das bestehende System zu ersetzen, sondern es zu ergänzen. Und zwar dort, wo digitale Angebote Mediziner:innen, Krankenkassen und Apotheken wirklich unterstützen können. Wir senken Zugangsbarrieren dort, wo der Gang zum Arzt oder zur Apotheke schwerfällt.“

Und er vertritt die These, dass ohne digitale Gesundheitsangebote eine angemessene medizinische Versorgung nicht mehr lange aufrechterhalten werden kann: „Ärztinnen und Ärzte verschiedener Fachgruppen beklagen bereits jetzt einen enormen Fachkräftemangel, dem demografiebedingt ein immer höherer Bedarf an medizinischer Versorgung gegenübersteht. Digitalen Lösungen wird zugestanden, diesem Wandel entgegenwirken zu können.“

Überregulierung auf der Tagesordnung

Aber irgendwie dringt die Idee, Ärzte durch Fragebögen zu ersetzen, nicht durch, das muss auch der ehrgeizige Gründer erkennen: „Digitale Gesundheitsanbieter in Deutschland sind ihrer Zeit weit voraus. Auf dem Papier, beziehungsweise in der Digitalisierungsstrategie des Gesundheitsministeriums, steht der politische Wille, die Digitalisierung im Gesundheitswesen voranzutreiben. In der Praxis stehen jedoch Überregulierung und mangelnde Infrastruktur auf der Tagesordnung.“

60 Millionen US-Dollar hat Wellster seit 2018 eingesammelt, alleine Dermapharm investierte vor knapp zwei Jahren 25,5 Millionen Euro und übernahm damit knapp 30 Prozent der Anteile. Im Herbst wurde der Anteil auf 45 Prozent aufgestockt, als größter Anteilseigner hat der Generikahersteller sich sogar Mehrheitsstimmrechte gesichert.

Aufgestockt hat zuletzt ProSiebenSat.1 über seine Beteiligungssparte SevenVentures. Der Medienkonzern kommt dank seiner Mediendienstleistungsverträge mittlerweile auf etwas mehr als 10 Prozent und ist damit hinter Holtzbrinck der drittgrößte Investor. Außerdem sind zahlreiche weitere institutionelle und private Anleger beteiligt, darunter die Familien Bendixen/Dethleffsen (Queisser/Doppelherz), Reinold Geiger (L‘Occitane), Jochen Engert, Daniel Krauss und André Schwämmlein (Flixbus), Jean-Remy von Matt (Jung von Matt), Dr. Peter Baumgart (PlusDental), Constantin Bisanz (Brands4friends). Kleinere Anteile halten auch Privatpersonen aus dem Netzwerk, etwa der M&A-Berater Dr. Manfred Ferber oder der Urologe Professor Dr. Christian Wülfing (Asklepios Klinik Altona), der nicht nur den medizinischen Beirat leitet, sondern auch auf der Website als ärztliches Testimonial auftritt und beispielsweise Hinweise zu Medikamenten gibt.

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