Ichthyol

Pharmafirma schürft nach Riesen-Blut

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Berlin -

Denkt man an Arzneimittelhersteller, kommen einem weiße Reinräume, feinste Waagen und Mitarbeiter mit Mundschutz in den Sinn. Bei Ichthyol geht es hingegen zunächst schmutzig zu: Der Rohstoff für das Produkt, eine ölige Flüssigkeit, wird in einem Bergwerk in Frankreich abgebaut, durch Schwelung gewonnen und schließlich verarbeitet. Das Ergebnis dieses Prozesses gelangt als Rezepturgrundlage oder Fertigarzneimittel in die Apotheken.

Die Geschichte von Ichthyol begann von mehr als 130 Jahren: Der Hamburger Kaufmann Heinrich Cordes hatte Ende des 19. Jahrhunderts den Chemiker Rudolf Schröter als Hauslehrer für seinen Sohn angestellt. Schröter hatte ein besonderes Interesse für geologische Sachverhalte: Auf der Suche nach Silber im Karwendelgebirge in Tirol stieß er auf einen bitumenhaltigen Stein. Die Bewohner der Gegend um den Ort Seefeld gewannen daraus das sogenannte „Dirschenöl“ oder „Stinköl“, das sie als Volksmedizin gegen verschiedene Krankheiten anwendeten.

Der Sage nach kämpften am Weiler Thyrschenbach – heute Dirschenbach – einst die Riesen Thyrsus und Haymon. Haymon verletzte Thyrsus mit seinem Schwert an der Ferse. Er konnte ins Karwendelgebirge entfliehen, verlor aber viel von seinem heilsamen Blut. So weit, wie der Riese lief, sickerte es ins Gestein. Seine letzten Worte waren: „Spritz Bluet, ist für Vieh und Leut guet.“

Tatsächlich bestand die Gegend um Seefeld vor 200 Millionen Jahren aus einer flachen Lagune. Im Laufe der Jahre lagerte sich auf deren Grund organisches Material in einer Schicht ab, die durch Bakterien in eine ölige Flüssigkeit umgewandelt wurde. In den später entstandenen Alpen wurde der ehemalige Lagunengrund mit seinen Einlagerungen im Gestein eingeschlossen. Das Gestein wird heute in Höhen bis zu 1900 Metern über dem Meer abgebaut.

Schröter entwickelte eine Methode, mit der er das Öl in eine wasserlösliche Form bringen konnte. Von den Fossilien inspiriert gab er dem Präparat den Namen Ichthyol – eine Kombination aus dem griechischen Wort für Fisch („ichthys“) und der lateinischen Bezeichnung für Öl („oleum“). Schröter konnte Cordes für seine Idee gewinnen, 1884 gründeten sie nach einigen therapeutischen Versuchen und wissenschaftlichen Publikationen die Ichthyol-Gesellschaft Cordes, Hermanni & Co.

Der deutsche Arzt Paul Gerson Unna entdeckte 1885 die dermatologische Wirkung von Ammoniumbituminosulfonat: Das dunkle Ichthyol besitzt eine ausgeprägte Zugwirkung und kann auch tieferliegende entzündliche Prozesse an die Hautoberfläche ziehen. Es wird daher bei der Behandlung von Abszessen, Furunkeln und orthopädischen Erkrankungen wie Kniegelenksarthrose oder stumpfen Traumen eingesetzt.

1925 brachte die Ichthyol-Gesellschaft das erste Arzneimittel mit dem dunklen Ichthyol unter dem Handelsnamen Ichtholan auf den Markt. Unter diesem Namen bietet das Familienunternehmen heute Salben in verschiedenen Konzentrationen an. 1933 wurde helles Ichthyol entwickelt, das zur Behandlung von oberflächlichen Hauterkrankungen wie Akne, Neurodermitis, Psoriasis und zur Wundheilung eingesetzt wird. Ein zweiter heller Rohstoff, Ichthyol Pale, wird seit 1994 in der Kosmetikindustrie verwendet.

Die Ichthyol-Gesellschaft wird heute in vierter Generation von Rudolf Cordes geführt. Das Unternehmen hat rund 50 Mitarbeiter und setzt im Jahr etwa 10 Millionen Euro um. Die Zentrale liegt in Hamburg.

Das bitumenhaltige Gestein wird im firmeneigenen Bergwerk im französischen Orbagnoux südlich von Genf abgebaut. Aus dem Stein wird durch Schwelung bei Temperaturen bis zu 480°C das schwefelreiche Schieferrohöl gewonnen. In der Produktionsstätte in Seefeld wird das Öl gereinigt und in eine wasserlösliche Form überführt. Aus diesem werden in Hamburg die Arzneimittel hergestellt.

Die Ichthyol-Gesellschaft kämpft, wie viele andere Hersteller, mit den regulatorischen Veränderungen im Gesundheitswesen, dem zunehmenden Preisdruck und den schärferen Zulassungsbedingungen. Das Unternehmen setzt dabei auf neue Konzepte: Unlängst wurden eine Pflegeserie für Kleintiere entwickelt und das Packungsdesign modernisiert. Außerdem sollen neue Märkte in den USA erschlossen werden.

Die Zulassung für das Fertigarzneimittel Ichthyol hat der Hersteller inzwischen verloren – der Antrag war nicht rechtzeitig eingereicht worden. Daher wurden alle Packungen zurückgerufen. Da eine neue Zulassung wesentlich aufwendiger zu erlangen ist, verzichtet die Ichthyol-Gesellschaft auf diesen Schritt. Stattdessen gibt es den Rezepturrohstoff in identischer Zusammensetzung künftig auch in einer Packung mit 30 statt wie bisher nur mit 100 Gramm.

Doch nicht nur im Gesundheitswesen, sondern auch im Bergbau ist die Ichthyol-Gesellschaft zunehmend mit Neuregelungen konfrontiert: Die Verlängerung der Bergbau-Lizenz für das französische Werk über 2018 hinaus ist mit erheblichen Auflagen durch die Bergbaubehörde verbunden. Deshalb wird auch über einen Bergbau in Österreich nachgedacht.

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