Die größte Spannung entwickeln Poker-Partien immer erst kurz vor dem Showdown – wenn alle ihre Karten auf den Tisch legen müssen. So ähnlich läuft das jetzt auch mit dem Übernahmeangebot für den Arzneimittelhersteller Stada. Bis zum 16. August läuft das Angebot für die geplante Übernahme durch die Finanzinvestoren Bain und Cinven. Aktuell liegt die erklärte Verkaufsbereitschaft aber gerade mal bei 28,29 Prozent. Der Verkauf-Aufruf von Stada-Vorstandschef Engelbert Coster Tjeenk Willink an die Aktionäre hat bislang kaum Wirkung gezeigt. Jetzt legt Stada noch einmal nach und schickt einen Apotheker und einen Arzt ins Rennen. Die sollen wenigsten die freien Aktionäre vom Verkauf überzeugen.
Wie schon Firmenchef Willink wenden sich Apotheker Dr. Thomas Meyer von der Kreuz-Apotheke in Seelze als Stada-Beiratsvorsitzender sowie Facharzt Dr. Frank Leu als sein Stellvertreter an die Aktionäre. In vergleichsweise dramatischer Diktion appellieren beide an die Aktionäre, das Übernahmeangebot anzunehmen. „Ist Nichtstun eine Option? – Nein!“, heißt es in dem Brief des Beirats, der APOTHEKE ADHOC vorliegt.
In einem offenen Dialog mit Vorstand und den Übernahmeinvestoren Bain Capital und Cinven hätten sie sich „persönlich“ davon überzeugt, dass es sich bei den Bietern um „finanzstarke und verlässliche Partner mit umfangreicher Erfahrung im Gesundheits- und Pharmasektor handelt, die auf Beständigkeit und Kontinuität unserer Stada setzen und ein überzeugendes Konzept für die Zukunft des Unternehmens haben“.
Das Votum der beiden hat aus Stada-Sicht besonderes Gewicht. Schließlich war einer der direkten Vorfahren von Apotheker Meyer an der Stada-Gründung im Jahr 1895 als Apothekerverein beteiligt: Oscar Meyer. Nach identischen Vorschriften begann damals die Herstellung bestimmter Präparate nach einheitlicher Konfektionierung. Diese wurden in ganz Deutschland zum gleichen Preis verkauft. Der Name Stada steht für „Standard-Präparate Deutscher Apotheker“. Die Hoffnungen, die sich mit diesem Brief verbinden, liegen also auf der Hand: Wenn sich schon der Nachkomme eines Gründungsmitgliedes für die Übernahme stark macht, kann daran nichts Schlechtes sein.
„Ein Scheitern der Übernahme ist die deutlich schlechtere Option“, schreiben Meyer und Leu an die Aktionäre und warnen vor den „unklaren Absichten“ der inzwischen bei Stada eingestiegenen „kurzfristig orientierten Hedgefonds“. Dies gebe nämlich Anlass zur Sorge, dass die gewünschte Beständigkeit in Gefahr gerate und „sogar eine Zerschlagung nicht auszuschließen wäre“. Davor hatte schon Firmenchef Willink gewarnt – bis jetzt ohne großen Erfolg.
Nur durch die Übernahme könne eine Fortsetzung der bereits über 120 Jahre fortdauernden erfolgreichen Historie von Stada im härter werdenden globalen Wettbewerb dauerhaft sichergestellt werden. „Lassen Sie uns Stadas erfolgreiche Geschichte fortschreiben“, so Meyer und Leu. Das Angebot von 66,25 Euro pro Aktie finden beide „attraktiv“.
Ob der Appell Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. Bis zum 16. August müssen mindestens 63 Prozent der Stada-Aktionäre ihre Verkaufsbereitschaft zu diesem Kurs zu Protokoll geben. Sonst scheitert auch der zweite Übernahmeversuch. Die Aktionärsstruktur und die hektische Aktivität der letzten Tage lassen keine Prognose zu. Aktuell steht der Aktienkurs bei 63,82 Euro.
In den letzten Tagen haben weitere Investoren bei Stada zugegriffen und Beteiligungen über 3 Prozent angezeigt: Bekannt ist, dass Investor Paul Singer und sein Hedgefonds Elliott im Stada-Poker mitmischt. Jetzt ist auch die Bank of America im Geschäft, ob im eigenen oder Kundeninteresse, ist nicht klar. Eingestiegen sind in jüngster Zeit auch auch Morgan Stanley und Goldman Sachs sowie weitere Investoren. Offenbar haben alle Witterung auf ein gutes Geschäft aufgenommen.
Nur wie der Deal laufen soll, ist unklar. Alle beteuern, dass das Übernahmeangebot nicht noch einmal erhöht wird. So ist das beim Pokern. Es wird auf die Glaubwürdigkeit der Beteiligten gewettet.
Sollten die Investoren eine Filetierung Stadas im Auge haben, stünde die Aktionärsstruktur dem nicht im Wege. 76 Prozent des Aktienkapitals halten Investoren: 25 Prozent der Aktionäre residieren in Großbritannien, 17 Prozent in Nordamerika, 20 Prozent in Resteuropa ohne Deutschland und 29 Prozent in Deutschland. 24 Prozent sind Privatanleger.
Viele Spekulationen ranken sich um die Interessen von Paul Singer mit seinem Hedgefonds Elliott. Schon beim Verkauf von Celesio an McKesson mischte Singer kräftig mit. Laut Wirtschaftswoche gilt der Hedgefonds Elliott „als gieriger Ausbeuter schwacher Unternehmen“. Die 1977 von Singer gegründete Elliott Management Corporation gelte als eine der aggressivsten ihrer Art und verwalte derzeit 16 Milliarden Dollar. Aber nicht nur mit der Zerschlagung von Firmen verdient der Hedgefonds sein Geld. Schwächelnde Unternehmen wurden stabilisiert und mit Gewinn weiterverkauft, analysierte die Wirtschaftswoche.
Turbulent ging es zuletzt auch bei Stada zu: Erst im Juli mussten Konzernchef Dr. Matthias Wiedenfels und Finanzchef Helmut Kraft mit sofortiger Wirkung ihren Hut nehmen. Wiedenfels war 2009 von der Kanzlei Ashurst zu Stada gekommen und für den Bereich Zentrale Dienste verantwortlich; sein erstes Großprojekt war die Ausgliederung der Logistik an DHL. Kraft ist seit 2010 in Bad Vilbel; er war von Phoenix gekommen.
Als Ersatz wurde Engelbert Coster Tjeenk Willink vom Aufsichtsrat zum neuen Konzernchef bestellt. Er hat den Posten zunächst bis zum 31. Dezember. Der 56-Jährige bringt 25 Jahre Erfahrung in der pharmazeutischen Industrie mit und war bis 2012 Mitglied der Geschäftsführung von Boehringer Ingelheim. Seitdem ist er Mitglied zahlreicher Aufsichtsräte in der Branche. Wiedenfels und Kraft hatten erst 2016 nach dem Rauswurf des langjährigen Konzernchefs Hartmut Retzlaff die Leitung übernommen.
APOTHEKE ADHOC Debatte