Der öffentliche Auftrag für den E-Rezept-Fachdienst ist nach Holland und in die USA gegangen – oder doch nicht? Gematik-Chef Dr. Markus Leyck Dieken verteidigt im Interview mit APOTHEKE ADHOC den Zuschlag seines Hauses an IBM und zeigt auf, wo es mit dem E-Rezept künftig hingehen soll. Die Sorgen vor Zuweisung und Rezeptmakelei durch Drittanbieter-Apps könnte größer gewesen sein als nötig: Denn viele Patienten werden ihre E-Rezept wahrscheinlich schlicht mit ihrer Versichertenkarte einlösen.
ADHOC: Welche Rolle spielt eHealth-Tec bei Entwicklung und Betrieb des E-Rezept-Fachdienstes? IBM hält sich da auf Anfrage sehr bedeckt.
LEYCK DIEKEN: Ich kann verstehen, dass in der Apothekenbranche gerade große Aufregung herrscht, aber die ist nicht berechtigt. Die Rolle von eHealth-Tec wird deutlich überschätzt. Und zwar aus vier Gründen: Erstens ist eHealth-Tec kein Partner von IBM Deutschland, sondern lediglich eines von mehreren Subunternehmen, die vor allem technische Unterstützung leisten. Zweitens bringt eHealth-Tec keinerlei Gewerke aus anderen E-Rezept-Projekten ein – Elemente aus dem Projekt der Techniker Krankenkasse beispielsweise werden nicht in die Entwicklung des E-Rezept-Fachdienstes einfließen. Die Spezifikationen lassen das auch gar nicht zu. Die Vorstellung, dass Zur Rose da etwas einbringt oder herüberzieht, ist also nicht zutreffend. Drittens hat eHealth-Tec keinerlei Betriebsverantwortung. Der Betrieb des E-Rezept-Fachdienstes liegt einzig bei IBM Deutschland. Viertens leistet eHealth-Tec ausschließlich unterstützende Programmiertätigkeiten bei der Entwicklung, und zwar mit relativ wenigen Mitarbeitern.
ADHOC: Erwartet die Gematik Bedenken bezüglich der Themen Datenschutz und Datensicherheit angesichts der Tatsache, dass mit IBM Deutschland eine Tochtergesellschaft eines US-Konzerns beauftragt wurde?
LEYCK DIEKEN: Die Frage nach möglichen Bedenken hinsichtlich der Datensicherheit kann ich ganz klar beantworten: Die gibt es nicht. Unsere Ausschreibung hat ohnehin vorausgesetzt, dass alles DSGVO-konform abläuft. IBM hat bereits in seiner Bewerbung garantiert, dass alle Server auf deutschem Boden stehen. Dass Daten an das Mutterunternehmen in den USA abfließen, ist schon durch die Spezifikation und die darin enthaltenen Sicherheitsauflagen ausgeschlossen. Die E-Rezept-Daten dürfen das Territorium des Kontinents nicht verlassen. Außerdem haben wir das E-Rezept als Open-Source-Projekt konzipiert: Die Alpha-Version wurde bereits auf GitHub veröffentlicht. Allein schon dadurch kann nichts hintenrum manipuliert werden. Wir werden auch in Zukunft immer wieder Sicherheitsgutachten einholen und sind bestrebt, so viele kritische Stimmen wie möglich in den Prozess einzubringen.
ADHOC: Noventi-Vorstandschef Dr. Hermann Sommer zeigte sich dennoch „sehr irritiert und enttäuscht“, dass die Gematik den Auftrag an „international gesteuerte Konzerne“ statt an deutsche Unternehmen vergeben hat. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
LEYCK DIEKEN: Wir haben uns natürlich gefreut, dass sich mit Noventi und Arvato auch deutsche Unternehmen beworben haben. Man muss da aber ganz ruhig bleiben. IBM Deutschland liefert bereits für zwei gesetzliche Krankenversicherungen die elektronische Patientenakte und ist im gesamten europäischen Gesundheitswesen ein verlässlicher Partner. Erstaunt sind wir im Übrigen über die Anmerkung, Noventi habe den Zuschlag aufgrund eines Formfehlers nicht erhalten. Das ist nicht der Fall. Es gab keinen Ausschluss aufgrund eines Formfehlers.
ADHOC: Im Referentenentwurf des „Digitale Versorgung- und Pflege-Modernisierungs-Gesetzes“ (DVPMG) ist vorgesehen, dass Patienten künftig mit ihrer elektronischen Gesundheitskarte E-Rezepte einlösen können. Heißt das, dass man künftig gänzlich ohne die Gematik-App und Portale von Drittanbietern elektronische Verordnungen einlösen kann?
LEYCK DIEKEN: Bisher sind zwei Wege zur Einlösung von E-Rezepten vorgesehen: per Zuweisung durch den Versicherten aus einer App oder durch Vorlage der gedruckten Papierversion. Mit dem DVPMG soll nun ein dritter Weg hinzukommen: Der Versicherte soll das E-Rezept auch einlösen können, indem er sich in der Apotheke mit seiner Versichertenkarte ausweist. Allerdings klären wir derzeit noch mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik ab, welche weiteren Sicherheitsmaßnahmen dazu notwendig sein werden. Nach erster Analyse ist denkbar, dass die Eingabe der PIN als zweiter Faktor zur Identifizierung erforderlich sein wird. Nach der geplanten Einführung einer digitalen Identität könnte auch die zur Identifizierung ausreichend sein.
ADHOC: Damit würde sich die Verwendung der Gematik-App und nachgelagerter Angebote erübrigen, oder?
LEYCK DIEKEN: Wir sehen die Rezepteinlösung mittels der elektronischen Gesundheitskarte eher als eine Erweiterung der Angebotspalette. Ich glaube, dass die App trotzdem der Standard sein wird. Wenn Sie nur zweimal im Jahr ein Rezept einlösen, dann macht das absolut Sinn, es auf dem vereinfachten Weg zu machen. Aber sobald sie mehrere Arzneimittel parallel nehmen, werden zahlreiche bereits existierende oder geplante Zusatzleistungen wie die automatische Eintragung von Verordnungen in den elektronischen Medikationsplan oder die automatische Prüfung möglicher Wechselwirkungen ein gewichtiges Argument für die App sein. So soll beispielsweise künftig möglich sein, dass Chroniker automatische Nachverordnungen über die App beziehen können, dass Beipackzettel automatisch für Menschen mit Einschränkungen der Sehkraft vorgelesen werden oder aber dass Beipackzettel für Menschen, die keine Muttersprachler sind, auch in anderen Sprachen verfügbar sind. Das sind wichtige Beiträge zur Barrierefreiheit in der Arzneimittelversorgung.
ADHOC: Aber gerade ältere Menschen sind eine wichtige Kundengruppe in Apotheken und vor allem die dürften oft auf die App verzichten, wenn sie nicht sein muss.
LEYCK DIEKEN: Ich glaube, dass gerade ältere Menschen bei digitalen Anwendungen fitter sind als viele denken. Und selbst wenn, dann bin ich mir sicher, dass deren Angehörige oft wissen, welche sinnvollen Leistungen die Gematik-App bieten kann. Ich denke deshalb, viele werden sehr einsichtig sein, dass diese zusätzlichen Leistungen einen großen Nutzen bedeuten.
ADHOC: Wird es darüber hinaus noch Nachbesserungen beim Thema Sicherheit geben? Datenschützer kritisieren ja, dass die Gematik-Spezifikationen für das E-Rezept keine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung vorsehen. Laut Abda-IT-Chef Sören Friedrich können TI-Teilnehmer in der vertrauenswürdigen Ausführungsumgebung innerhalb eines gesetzlichen Rahmens Daten verarbeiten. Doch wann wird dieser gesetzliche Rahmen definiert?
LEYCK DIEKEN: Es ist nicht so, dass innerhalb der TI jemand Rezeptdaten mitlesen kann, es handelt sich dabei also um eine Fehlinterpretation von Herrn Friedrichs Worten. Auf die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung haben wir verzichtet, weil wir ein anbindungsfähiges Format brauchen, um Interoperabilität mit anderen Systemen zu gewährleisten. Wir setzen aber stattdessen auf eine Punkt-zu-Punkt-Verschlüsselung – die Daten sind also zu jeder Zeit sicher. Jeder, der sich mit Interoperabilität beschäftigt, ist zurzeit glücklich mit unserer Lösung. Und das wird in Zukunft bei Themen wie beispielsweise Rückrufen und Servicefunktionen für Versicherte noch eine gewichtige Rolle spielen. Außerdem ist geplant, die TI ab 2023 über einen sogenannten National Contact Point an das europäische Datennetzwerk anzuschließen. Das ist in anderen europäischen Ländern längst geschehen: Ein portugiesischer Versicherter kann seine elektronische Verordnung ohne weiteres in Finnland einlösen. Da wollen wir auch hin.
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