Pohl-Boskamp: Go West, GoNitro Patrick Hollstein, 08.08.2016 09:01 Uhr
Mit einer scheinbar kleinen Produktinnovation ist Pohl-Boskamp ein großer Erfolg gelungen: Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat die Zulassung für GoNitro erteilt. Das Präparat enthält Glyceroltrinitrat und wird eingesetzt zur Akuttherapie von Angina pectoris – allerdings nicht als Spray, sondern als praktisches Stickpack. In Deutschland sieht der Hersteller keine Chance für das Produkt.
Glyceroltrinitrat ist Standard in der Akuttherapie von Angina pectoris. Nach der sublingualen Applikation wird der Wirkstoff absorbiert und im Endothel der Koronararterien zu Stickstoffmonooxid (NO) umgesetzt. Dies führt zu einer Relaxation der glatten Gefäßmuskulatur. Präventiv eingesetzt erhöhen Akutnitrate die körperliche Belastungsschwelle und nehmen die Angst vor pektanginösen Beschwerden.
Pro Jahr werden hierzulande rund eine Million Packungen Nitrolingual abgegeben; in den USA kommen laut Dr. Thomas Höppner, Geschäftsführer Marketing/Vertrieb bei Pohl-Boskamp, rund sechs Millionen Verordnungen über kurzwirksame Nitrate zusammen.
Das schleswig-holsteinische Familienunternehmen hatte Nitrolingual als Pumpspray Ende der 1990er Jahre nicht nur in Deutschland eingeführt, sondern auch gleich in den USA. Das Patent ist mittlerweile abgelaufen, Pohl-Boskamp und sein Vertriebspartner Espero fahren zweigleisig und bieten neben dem Original ein hauseigenes Generikum an. Daneben gibt es noch ein Generikum von Perrigo, einem der größten Generikahersteller in den USA.
Außerdem gibt es ein weiteres Konkurrenzprodukt: Pfizer bietet Tabletten in Glasampullen an, die mit Wattebausch verschlossen werden. Die Sprays haben zusammen einen Marktanteil von 95 Prozent.
Um den Abstand zur Konkurrenz zu vergrößern, hat man sich in Hohenlockstedt Gedanken gemacht. Denn die Nachteile des eigenen Produkts kennt man auch: „Akute Anfälle von Angina pectoris sind eher selten. Für den Fall der Fälle ständig ein Spray bei sich zu haben, erfordert daher viel Disziplin seitens des Patienten“, erklärt Höppner. Oft stehe das Spray zu Hause herum, und wenn es wirklich permanent mitgeführt werde, seien „optische Alterungserscheinungen“ nicht auszuschließen.
Zum ersten Mal sei es gelungen, Glyceroltrinitrat zur sublingualen Anwendung in Pulverform aufzubereiten, erklärt Dr. Max Claußen, der bei Pohl-Boskamp die Abteilung Medizinische Wissenschaft leitet. Das sei „tricky“ gewesen, zumal der Wirkstoff instabil sei und kleine Mengen verarbeitet werden müssten. „Wir müssen garantieren, dass pro Anwendung 0,4 Milligramm Glyceroltrinitrat eingenommen werden.“ Das sei den Experten im eigenen Haus gut gelungen: Das innovative Pulver sei die erste neue Darreichungsform von Nitroglycerin seit 20 Jahren und das einzige Stickpackprodukt mit dem Wirkstoff weltweit.
„Wir ruhen uns nicht auf unseren Produkten aus – wir arbeiten ständig daran, bestehende Produkte zu verbessern und neue zu entwickeln“, ergänzt Dr. Thomas Zimmeck, Leiter Forschung und Entwicklung. Er sieht die neue Darreichungsform als „Meilenstein in der Entwicklung der Akutnitrate“.
Firmenchefin Marianne Boskamp verweist schließlich darauf, dass GoNitro in diesem Jahr die erste Herz-Kreislauf-Zulassung in den USA sei: „Dass ein deutscher Mittelständler das erwirkt, ist sehr selten.“ GoNitro kommt in Einzelpackungen analog zu den hierzulande verbreiteten Stickpacks, sodass nicht die ganze Packung mitgeführt werden muss. Im Herbst soll Espero mit der Markteinführung beginnen.
Für Deutschland räumt Höppner dem Produkt wenig Chancen ein. Denn die Herstellung sei teurer als die des Sprays. „Wir sehen nicht, dass wir im deutschen Erstattungssystem einen für uns angemessenen Preis durchsetzen können.“ Pohl-Boskamp vertreibt seine Produkte in 20 Länder; wichtigste Märkte sind Großbritannien, Russland, China, die Niederlande und Österreich. Jede zweite Packung wird im Ausland verkauft, nach Umsatz liegt der Anteil etwas niedriger.