Phytohersteller klagen gegen Spahn-Gesetz Patrick Hollstein, 15.07.2020 11:05 Uhr
Nach dem Valsartan-Skandal beschloss die Politik, die Lieferketten transparenter zu machen. Die Hersteller wurden mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) verpflichtet, ihre Wirkstofflieferanten in einer öffentlichen Datenbank zu hinterlegen. Zwei Phytohersteller wehren sich gegen diese neue Vorgabe, weil aus ihrer Sicht dadurch Geschäftsgeheimnisse bloß gelegt werden. In erster Instanz blieb ihre Klage gegen das Gesetz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erfolglos.
Als im Juli 2018 bekannt wurde, dass Valsartan und später auch andere Wirkstoffe mit Nitrosaminen verunreinigt waren, konnten Apotheker und Ärzte ihren verunsicherten Patienten nur wenig Ratschläge geben. Niemand wusste, welcher Hersteller seinen Wirkstoff bei den betroffenen Lieferanten bezogen hatte und welche Produkte tatsächlich betroffen waren. Erst ganz am Ende der von den Behörden eingeleiteten Rückrufwelle war klar, welche Präparate „sauber“ waren und guten Gewissens weiter abgegeben werden konnten.
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) war damals nicht in der Lage, die erforderlichen Informationen zeitnah zur Verfügung zu stellen – auch weil die Aufsicht für die einzelnen Firmen bei den jeweiligen Regierungspräsidien lag. Mit dem im Sommer 2019 verabschiedeten GSAV wurden der Bundesbehörde daher mehr Kompetenzen eingeräumt. Außerdem wurde festgelegt, dass die Hersteller ihre Bezugsquellen öffentlich machen müssten – so sollten die Fachkreise bei Zweifeln selbst recherchieren und entsprechend reagieren können. Der tatsächliche Nutzen wird unter Experten bezweifelt, zumal nicht bekannt ist, welcher der gemeldeten Lieferanten bei der konkreten Charge zum Einsatz gekommen sei.
Im Januar informierte das BfArM nun darüber, wie der Prozess ablaufen soll. In Abstimmung mit dem Bundesgesundheitsministerium (BMG), Paul-Ehrlich-Institut (PEI) und Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit sollten Name und Anschrift der Wirkstoffhersteller je Arzneimittel in einem abgestuften Verfahren veröffentlicht werden: Zunächst sollten alle verschreibungspflichtigen Arzneimittel mit nationalen Zulassungen bearbeitet werden, danach alle nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel mit nationalen Zulassungen und schließlich alle Arzneimittel mit zentralen europäischen Zulassungen sowie Arzneimittel in der Zuständigkeit des PEI und des BVL.
Im März forderten Pohl-Boskamp und ein weiterer Phytohersteller das BfArM dazu auf, es zu unterlassen, Angaben zu den Wirkstoffherstellern ihrer Arzneimittel öffentlich zugänglich zu machen und eventuell bereits erfolgte Speicherungen in Datenbanken, auf die außer der Behörde und dem Hersteller auch Dritte Zugriff haben, rückgängig zu machen. Weil die Sache aus ihrer Sicht dringlich war – eine Veröffentlichung im Internet sei schließlich nicht rückholbar – zogen sie im Eilverfahren vor Gericht.
Zur Begründung führten sie aus, ihre Arzneimittel seien Phytopharmaka, die nur aus spezifischen Ausgangsmaterialien und in einem spezifischen Herstellungsverfahren durch einen bestimmten Wirkstoffhersteller produziert werden könnten. Sie seien nicht durch andere Anbieter reproduzierbar – Konkurrenten wie Generikahersteller könnten sie bei Kenntnis des Lieferanten leichter nachahmen. Durch die Veröffentlichung der Namen und Adressen der Wirkstoffhersteller würden Geschäftsgeheimnisse preisgegeben und in nicht zu rechtfertigender Weise in ihre Berufsausübungsfreiheit eingegriffen.
Ohnehin könne das Ziel des Gesetzes – der Schutz vor verunreinigten und gefälschten Arzneimitteln – nicht dadurch erreicht werden, dass der Allgemeinheit Zugriff auf Informationen zu den Wirkstoffherstellern gegeben werde, zumal den Behörden die Informationen ohnehin vorlägen. Die Krankenkassen könnten sich über ihre Rabattausschreibungen entsprechende Informationen beschaffen. Die allgemeine Öffentlichkeit verfüge dagegen nicht über vergleichbare Befugnisse zur Gefahrenabwehr.
Im Übrigen wurde das Verfahren bemängelt, das ohne sachlichen Grund zu einer Ungleichbehandlung führe: Die Gefahr von Verunreinigungen sei bei national zugelassenen Arzneimitteln nicht größer als bei solchen mit zentraler Zulassung. Dies führe zu einer mittelbaren Ungleichbehandlung inländischer Anbieter – zumal Schritt 3 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht umzusetzen sei.
Doch das Verwaltungsgericht wies die Klage ab: Zunächst einmal sei die Behörde gesetzlich verpflichtet, die Angaben zu den Wirkstofflieferanten zu veröffentlichen; ein Ermessensspielraum bestehe daher nicht. Zwar treffe es zu, dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse tangiert seien; insofern sei nachvollziehbar, dass die Unternehmen ein wirtschaftliches Interesse an der Geheimhaltung des Wirkstoffherstellers gegenüber Konkurrenten hätten – zumal gerade bei Phytopharmaka, wie die Richter einräumen, Wirksamkeit und Qualität eines Wirkstoffes maßgeblich vom Herstellungsprozess und der Herkunft der verwendeten Pflanzen abhängen. „Dies gilt namentlich bei pflanzlichen Auszügen, deren Zusammensetzung nach der Art des Auszugsmittels und des eingesetzten Verfahrens variiert.“
Die gesetzliche Vorgabe verfolge aber den legitimen Zweck, nach den jüngsten Skandalen für mehr Sicherheit und Transparenz in der Arzneimittelversorgung zu sorgen. Derartige Gemeinwohlbelange rechtfertigten Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit, sofern sie erforderlich, geeignet und angemessen seien.
Dies sei hier der Fall: „Durch die Zugänglichmachung der Daten zum Wirkstoffhersteller soll den beteiligten Verkehrskreisen bei bestehender Gefahr eine direkte und schnelle Möglichkeit der Informationserlangung geboten werden“, heißt es im Beschluss. Es sei zwar richtig, dass man bei Kenntnis des Wirkstoffherstellers nicht auf eine Verunreinigung schließen könne. „Wenn jedoch Qualitätsprobleme in Bezug auf einen Wirkstoff – wie im Fall Valsartan – bekannt werden, ist durch die Neuregelung Ärzten, Apothekern und Anwendern die Möglichkeit eröffnet, auch andere Präparate mit Blick auf einen verdächtig gewordenen Wirkstoffhersteller schnell und niederschwellig zu überprüfen und gegebenenfalls abzusetzen.“
Die Behörden, die anhand der Zulassungsunterlagen über die entsprechenden Daten verfügen, können laut Gericht nicht vergleichbar schnell reagieren. „Angesichts dessen stellt die Eröffnung eines zusätzlichen Informationsweges neben den Mechanismen des Pharmakovigilanzsystems und regulatorischer Reaktionen der Zulassungsbehörden ein taugliches Instrument zur Steigerung der Arzneimittelsicherheit dar.“
Laut Gericht hat der Schutz der Allgemeinheit vor Gesundheitsgefahren durch minderwertige Arzneimittel nicht nur Vorrang vor den unternehmerischen Interessen der Hersteller. Vielmehr sei auf Aspekte des Wettbewerbsgeschehens auch grundsätzlich nicht mit dem Instrumentarium des Arzneimittelrechts zu reagieren, so das VG auf das Argument, dass große Konzerne ihre Marktmacht nutzen könnten, um mit Lieferanten Konkurrenzschutzklauseln zu vereinbaren. Im Übrigen sei generischer Wettbewerb ein „völlig normales und gesetzlich gewolltes Geschehen“.
Eine drohende Existenzgefährdung sei unsubstantiiert geblieben, die Unternehmen hätten keine Referenzfälle vorgetragen, in denen Konkurrenzunternehmen derart gravierende Wettbewerbsvorteile aus der Kenntnis eines Wirkstoffherstellers gezogen hätten. Gerade im „überschaubaren Bereich pflanzlicher Arzneimittel“ dürften die Lieferanten den Fachkreisen ohnehin bekannt sein – und diesen stehe es ohne Konkurrenzschutzklausel frei, ihrerseits an andere Hersteller heranzutreten. „Es handelt sich hierbei – sofern nicht zwingende vertragliche oder gesetzliche Bestimmungen, etwa des Patentrechts – entgegenstehen, nicht um (rechtswidrige) ‚Versuche von dritter Seite, an die Wirkstoffe heranzukommen‘, sondern um ein Abbild des legitimen Marktgeschehens.“
Im Übrigen sei es Sache der Hersteller, eventuellen Umsatzeinbußen im Rahmen des Preiswettbewerbs zu begegnen. „Dessen faktische Unterbindung durch die Geheimhaltung bestimmter Informationen durch die Behörde zulasten des öffentlichen Gesundheitsschutzes ist nicht geboten.“