Als Michael Popp 1988 erst in die Geschäftsführung von Bionorica einsteigt und kurz darauf die Leitung komplett übernimmt, ist er noch keine 30 Jahre alt. Sein pharmazeutisches Staatsexamen hat er gerade in der Tasche, dazu eine klare Vision, wie er das Unternehmen seiner Familie in die Zukunft führen will: Er will den pflanzlichen Produkten zu wissenschaftlicher Anerkennung verhelfen – ohne die naturheilkundliche Klientel zu verprellen. Der Spagat zwischen Evidenz und Erfahrungsmedizin gelingt. Bionorica ist heute der am stärksten wachsende Phytohersteller in Deutschland – trotz eines vergleichsweise bescheidenen Werbebudgets. „Forschung ist am Ende immer auch Marketing“, erklärt Popp den Erfolg. „Höchsteffizientes Marketing.“
Sein Faible für Fakten bekommt Popp gewissermaßen in die Wiege gelegt: Schon sein Großvater legt nach der Gründung des Unternehmens im Jahr 1933 großen Wert auf Evidenz. Er ist ein Quereinsteiger, der als Ingenieur zur Naturheilkunde kommt, weil ein Heilpraktiker erfolgreich seine Kriegsverletzung kuriert hat. Josef Popp liest sich gründlich in den aktuellen Forschungsstand ein und trägt akribisch alle verfügbaren Informationen zusammen. Als erste Testpersonen für seine ersten Produkte – Tees und Sinupret – dienen Freunde und Kollegen.
1970 wird bei Bionorica ein wissenschaftlicher Arztaußendienst eingerichtet, 1979 startet das Unternehmen kontrollierte Doppelblindstudien. Doch erst der heutige Firmenchef lässt Anbau, Analytik, Pharmakologie, Toxikologie und Klinik intensiv untersuchen.
„Die Nihilierung der Wirksamkeit pflanzlicher Arzneimittel hat mich zutiefst getroffen“, erinnert sich Popp an den Anfang seiner Karriere. Also habe er versucht, „gute wissenschaftliche Adressen“ für seine Forschungsprojekte zu gewinnen – was zunächst alles andere als einfach gewesen sei: „Keiner wollte seine Zeit in Studien mit etwas investieren, was bei vielen damals noch als 'Edelplacebos' galt.“
Doch das Blatt wendet sich. Mittlerweile hat Bionorica laut Popp mehrere hundert Studien durchgeführt, vor allem in Zusammenarbeit mit Ärzten in Osteuropa, Deutschland und Österreich. Kooperationen gibt es mit mehr als 500 Universitäten und Kliniken weltweit. Für die Verbindung zwischen pflanzlicher Wirkkraft und moderner Pharmaforschung führt Popp 2001 den Begriff Phytoneering ein. 2005 gründet er mit „Bionorica research“ ein hauseigenes Forschungszentrum im „Silicon Valley der Phytoforschung“. Gemeint ist Innsbruck, wo Popp 1991 nebenher eine Promotion zum Abschluss brachte und wo er heute Honorarprofessor in analytischer Phytochemie ist.
Der Aufwand rechne sich, sagt der Firmenchef. Mit wissenschaftlichen Daten sei ein Marketing alleine über die Fachkreise möglich – das sei wesentlich preiswerter als klassische Publikumswerbung. Bionorica steckt 15 Prozent seines Umsatz in die Forschung, die Werbung kostet rund 12 Prozent. Nicht zu vergleichen mit dem, was Konkurrenten für einen guten Auftritt ihrer Produkte hinlegen.
Nur einmal investiert Bionorica in eine TV-Kampagne: 2010 wirbt Felix Magath zwei Wochen lang für die „Vierer-Abwehrkette der Natur“. Popp verliert über die gemeinsame Aktion mit Pro7/Sat1 nicht mehr allzu viele Worte. Einfach nur Marktanteile hinzuzukaufen, sei ineffizient. „Über die Wissenschaft haben wir zwangsläufig eine viel engere Verbindung zu Ärzten und Apothekern als direkt zu den Patienten.“
Dank seiner Studien schafft es Popp auf die Empfehlungslisten der medizinischen Fachgesellschaften. Jahr für Jahr nimmt der Unternehmer persönlich an Fachkongressen teil und veranstaltet eigene Symposien. „Auf diese Weise bleiben wir auf dem neuesten Stand der Wissenschaft weltweit.“
Die Rückbesinnung auf die Innovationskraft der Natur etwa im Technologiebereich hat seiner Meinung nach auch der Phytotherapie in der Wissenschaftsszene einen gewaltigen Schub gegeben. Popp will diesen Trend weiter nutzen: Im Rahmen einer Global Research Initiative vergibt Bionorica in diesem Jahr 20 Forschungspreise mit einer Dotierung von je 50.000 Euro.
Für ihn als Unternehmer sei Forschung auch wichtig, um reproduzierbare Ergebnisse liefern zu können, sagt Popp. „Homogene Qualität und Wirksamkeit ist das A und O, wenn ich zufriedene Kunden, aber auch zufriedene Ärzte und Apotheker will.“ Mit Pflanzen aus der Wildsammlung lässt sich seiner Meinung nach keine gleichbleibende Qualität garantieren – abgesehen davon, dass ganze Bestände schon gefährdet seien. Bionorica baut seit 1993 in Ungarn und seit 1995 auf Mallorca an: „Das kostet ein Vielfaches dessen, was Sie auf dem Spot-Markt bezahlen. Aber der Rohstoff ist entscheidend. Daher züchten wir unsere ganz eigenen Sorten an Heilpflanzen. Und wir klonen, also kopieren sie, damit jedes Medikament zu jedem Zeitpunkt überall auf der Welt die gleiche Wirkung hat.“
Angenehmer Nebeneffekt: Die Studien und selbst entwickelten Anbau- und Verarbeitungsverfahren schützen Bionorica vor Konkurrenz. Die Sinupret-Produkte, die hierzulande immerhin für mehr als 70 Prozent des Umsatzes stehen, brachte Popp schon 1997 durch die Neuzulassung. Solange niemand dieselbe „definierte Qualität“ liefern kann, sind die Studien für andere Anbieter nicht verwertbar. „Es gibt ja auch kein Generikum zu Coca Cola oder Underberg“, sagt Popp augenzwinkernd.
Einziger Ausweg für Generikaanbieter wären Monographien zu den entsprechenden pflanzlichen Drogen, auf deren Grundlage sie eigene Produkte auf den Markt bringen könnten. Doch auch hier ist Bionorica, anders als zuletzt Schwabe im Fall von Umckaloabo, mit seinen Kombinationspräpaten geschützt. Erst vor kurzem mussten sich die Firma Grünwalder Gesundheitsprodukte und deren Kunden Hexal und Schaper & Brümmer nach zehnjährigem Rechtsstreit vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) geschlagen geben. Für den Angriff auf Sinupret fehlten ihnen eigene wissenschaftliche Erkenntnisse zu Eisen- und Gartensauerampferkraut.
Der Aufwand, wissenschaftliche Daten vorzulegen, ist immens, und die Behörden fordern laut Popp immer mehr Nachweise. Das Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC) bei der Europäischen Arzneimittelagentur EMA hatte sich unlängst an einer Monographie zur Kombination aus Thymian und Primel versucht – am Ende ohne Erfolg. So bleibt auch Bronchipret vorerst geschützt.
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