Kleinlieferanten vor dem Aus? Lothar Klein, 03.03.2016 11:52 Uhr
Die Transportflotte des Großhandels steht vor einem Umbruch. In der nächsten Zeit muss der größte Teil der knapp 10.000 Lieferfahrzeuge ausgetauscht oder aufgerüstet werden. Der Grund: Die Transporter müssen strengere Vorgaben zur Temperaturführung erfüllen. Neben den GDP-Regeln der EU gibt es seit Kurzem die DIN Norm SPEC 91323. Wegen der damit verbundenen Aufrüstkosten erwarten Branchenkenner eine Marktbereinigung.
Temperaturkontrollen beim Arzneimitteltransport sind seit einiger Zeit Pflicht. Seit der Überarbeitung der EU-Richtlinie zur Guten Distributionspraxis (GDP) müssen Großhändler sicherstellen, dass Medikamente zu den Bedingungen ausgeliefert werden, die zuvor nur für die Lagerung galten. Strengere Kontrollen der Aufsichtsbehörden versetzten daraufhin im Sommer die Großhändler und ihre Lieferanten in Aufregung.
Und jetzt toppt die neue DIN-Norm zum Ärger des Großhandelsverbandes Phagro die GDP-Vorgaben noch einmal. „Die Mitgliedsunternehmen des Phagro können aufgrund ihrer etablierten Qualitätssicherungssysteme, die die Umsetzung der GDP-Leitlinien beim Transport umfassen, keine Notwendigkeit erkennen, einem weiteren Regelwerk zur Qualitätssicherung zuzustimmen, das – wie jüngste Werbebroschüren von Zertifizierern zeigen – ohnehin eher Marketinginstrument für Drittinteressen als Instrument der Arzneimittelsicherheit im Sinne der GDP-Leitlinien ist", machte jetzt Phagro-Chef Dr. Thomas Trümper seinem Ärger Luft. Aufgrund erheblicher Zweifel an der Notwendigkeit dieser Spezifikation sowie der Qualität einzelner Inhalte stimmte der Phagro der DIN SPEC 91323 nicht zu.
Hinter den halbwegs diplomatischen Formulieren verbergen sich schwerwiegende Vorwürfe. Angestoßen wurde die neue DIN-Norm von drei Akteuren: Mit im Boot war die Hamburger DNV GL, die früher unter dem bekannteren Reederei-Namen Lloyds firmierte und sich immer noch als Dienstleister unter anderem um die Seefahrt, das Gas und Öl-Geschäft kümmert. Weiter beteiligten sich der TÜV Süd und das im Pharmabereich tätige Beratungsunternehmen Knowledge & Support.
Für den Phagro eine besondere Mischung mit weitreichenden Konsequenzen: Die DIN Norm sei „geprägt von den Interessen der das Spezifikationsverfahren dominierenden Akteure wie den Prüfstellen/Zertifizierern beziehungsweise den Unternehmen des Fahrzeugbaus. In der Summe spiegelt die nun vorliegende Spezifikation nicht die Bedürfnisse des pharmazeutischen Großhandels wider“, so der Phagro.
Mit anderen Worten: Kontrolleure und Beratungsfirmen schaffen sich als Geschäftsmodell ihre Normen selbst. Hinter vorgehaltener Hand wird zudem über handfeste wirtschaftliche Verknüpfungen mit Firmen des Fahrzeugbaus gemunkelt, die teure klimagesteuerte Transporter anbieten.
Kritisiert wird vom Phagro das Verfahren zur Erstellung der Spezifikation 91323. Wesentliche Entscheidungen seien nicht inhaltlich ausdiskutiert und im Konsens getroffen worden. Auch fehlt dem Phagro die Einbindung der Öffentlichkeit im Wege eines allgemeinen Stellungnahmeverfahrens. Verhandelt wurde hinter mehr oder weniger dicht verschlossenen Türen. Nur mit Mühe fanden bei der Erstellung der Norm Vertreter von Pharmaherstellern und -verbänden Gehör. „Der Phagro hat gemeinsam mit seinen Mitgliedsunternehmen das DIN SPEC-Verfahren von Beginn an konstruktiv begleitet“, kleidet der Großhandelsverband seine Kritik in diplomatische Formulierungen.
Immerhin konnte so eine noch strengere Normierung verhindert werden. Ursprünglich sollte eine Fahrzeugqualifizierung einzig für den Temperaturbereich von 15 bis 25 Grad Celsius erfolgen, obwohl die überwiegende Anzahl der Arzneimittel keine besonderen Vorgaben für den Transport benötigt. Herausgekommen ist jetzt der Temperaturbereich von 2 bis 30° C. Das liest sich harmloser, als es auf den Lieferalltag wirkt.
Die neue DIN Norm ist zwar nicht verpflichtend. Aber die Kontrolleure der staatlichen Aufsichtsbehörden werden sich im kommenden Sommer bei ihren Inspektionen darauf berufen, fürchtet der Phagro. Und die Fahrzeughersteller stehen schon in den Startlöchern mit neuen Kleintransportern, die die Normen erfüllen.
Die Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) hatte schon im März 2015 ein Frage- und Antwortpapier vorgelegt, in dem es auch um das Thema Temperaturführung ging. Die Experten erklärten zwar, dass nicht für jeden Transport eine Temperaturmessung vorzunehmen sei. Sie betonten aber auch, dass eine grundsätzliche Akzeptanz von kurzfristigen Temperaturabweichungen „nicht vorgesehen“ sei.
Der Großhandelsverband Phagro kritisierte schon im Mai „strengstmögliche und teilweise unangemessene Anforderungen“ der Behörden. Unterstützung bekamen die Großhändler von den Pharmaverbänden BAH, BPI, VFA und Pro Generika. In einem gemeinsamen Protestpapier machten die Hersteller und Großhändler deutlich, dass kurzzeitige Temperaturabweichungen beim Transport in den meisten Fällen „keinen wahrnehmbaren negativen Einfluss auf die Produktqualität“ haben. Entscheidend seien einerseits die mittlere kinetische Temperatur (MKT) und andererseits bestimmte Grenzwerte.
Auf der Strecke bleiben werden nach Ansicht von Branchenkennern die als Kleinstunternehmer tätigen selbstständigen Auslieferer. Bereits im vergangenen Sommer gab es Klagen über drastisch gestiegene Anforderungen an die Fahrzeuge. Die PKW-Scheiben sollten mit Thermo-Folie abgedunkelt und eine Zwischenwand zwischen Fahrer- und Transportbereich eingezogen werden. Für viele selbständige Lieferanten werden diese Kosten nicht zu stemmen sei.
„Den Frührentner, der morgens zunächst die Blumen vom Großmarkt an die Floristen und dann Arzneimittel an die Apotheken ausliefert, wird es bald nicht mehr geben“, mutmaßt ein Branchenkenner. „Es wird eine Marktbereinigung und Professionalisierung geben. Der Privat-VW Golf als Lieferfahrzeug hat ausgedient.“