Alliance: Warten auf die Guillotine Patrick Hollstein, 30.09.2016 15:16 Uhr
Bei Alliance Healthcare hängt wieder einmal der Haussegen schief. Der Frankfurter Großhändler hat seine Mitarbeiter bereits vor Monaten informiert, weitere Servicecenter zu schließen und die Beratung der Apotheken an wenigen Niederlassungen zu bündeln. Seitdem herrscht Funkstille. Für einige Mitarbeiter ist die Hängepartie nun so unerträglich geworden, dass sie ihrem Ärger schriftlich Luft gemacht haben. Sie fordern das Management auf, sich endlich zu entscheiden.
Die Mail, die parallel offenbar an große Teile der Belegschaft ging, trägt die Überschrift „Artgerechte Haltung im Customer Service“. 13 Mitarbeiterinnen aus der Telefonzentrale der Niederlassung in Frankfurt fordern darin von ihren Vorgesetzten einen verbindlicheren Umgang.
Vor drei Monaten hätten Männer von Alliance entschieden, 55 Beschäftigte, hauptsächlich Frauen und überwiegend mehr als 30 Jahre dabei, „unter die Guillotine zu legen“. „Uns wurde mitgeteilt, und dass nicht einmal vom zuständigen Vorgesetzten, dass Ende September unsere Abteilung geschlossen wird. Seitdem warten wir.“
„Seit diesem Zeitpunkt können wir nicht mehr klar denken, schmecken, riechen, gehen und nicht mehr auf das Leben blicken“, heißt es weiter. „Unsere Hände wurden gebunden, jedoch sollen wir nach wie vor arbeiten, als ob nichts passiert wäre. Immerhin bekommen wir fast jeden Tag schriftliche Anweisungen, welche sofort und ohne Missverständnisse ausgeführt werden sollen.“
Offen schildern die Mitarbeiterinnen, wie sehr sie die Ungewissheit belastet: „Seit drei Monaten stehen wir morgens auf mit dem Gedanken: Passiert heute was? Seit drei Monaten haben wir Existenzängste. Seit drei Monaten leben wir in einer Schockstarre.“ Fakt sei, dass dies an die Substanz und an die Psyche gehe.
„Mit uns leiden unsere Familien, Freunde und auch mitfühlenden Kollegen“, schreiben die Telefonistinnen. „Nun ist das Ende vom September gekommen und die Guillotine rutscht ein bisschen mehr in Richtung Hals, aber wird kurz vor der Berührung festgehalten.“
„Wir würden Sie sich fühlen?“, fragen die Mitarbeiterinnen ihre Vorgesetzten gerade heraus. „Wir fordern Sie auf, die ganze Sachlage zu überdenken und endlich zu einer Entscheidung zu kommen. Nehmen Sie mit IHREN Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern persönlichen Kontakt auf, denn es ist keine Art, so mit MENSCHEN umzugehen.“
Eine Stellungnahme des Großhändlers steht noch aus. Seit die ehemalige Anzag zu Walgreens Boots Alliance (WBA) gehört, wird der Frankfurter Großhändler auf Ertrag getrimmt. Insidern zufolge quetschen die Gesandten von Konzernchef Stefano Pessina den letzten Cent aus den deutschen Niederlassungen. Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi warnte zuletzt die Mitarbeiter von Alliance Healthcare Deutschland, keine neuen Arbeitsverträge zu unterzeichnen. Offenbar sollen die Konditionen gedrückt werden.
Ende August hatte Verdi zum bundesweiten Protest gegen Alliance aufgerufen. Angeblich sollen sieben Servicecenter geschlossen werden, in denen Mitarbeiter telefonische Anfragen von Apothekern entgegennehmen. Übrig bleiben sollen am Ende nur noch vier Servicecenter, angeblich stehen 200 Stellen zur Disposition. Erst vor einigen Jahren waren die telefonische Kundenbetreuung und die Retourenabteilung auf eine Handvoll Niederlassungen konzentriert worden, jetzt wird der Service weiter in der Fläche ausgedünnt.
„Nicht nur der seit der Übernahme stetige Abbau von Arbeitsplätzen, die damit verbundene Arbeitsverdichtung sowie die Bankrotterklärung in Sachen Ausbildung – jetzt auch noch die beabsichtigte Schließung von sieben Auftragsannahmen“, kommentierte Verdi die beabsichtigten Schließungen. Dabei sei die Erreichbarkeit bei der AHD ist im Vergleich zu den Mitbewerbern sowieso schon viel schlechter. Die Schließung weiterer Servicecenter wäre laut Verdi eine „gefährliche strategische Fehleinschätzung“ und eine „unsinnige Entscheidung“.