32 Jahre lang führte Helga Schleenhain eines der ältesten mittelständischen Pharmaunternehmen in Deutschland. Nun übergibt sie die Geschäftsführung von Hennig Arzneimittel offiziell an ihre Söhne, die bereits seit 2006 als geschäftsleitende Gesellschafter die Geschicke der Firma lenken. Ein Selbstläufer wird es nicht: Die Konkurrenz für Arlevert bringt für Holger und Kai Schleenhain und ihr Team neue Herausforderungen.
Schon früh hatte die Familie Schleenhain verstanden, dass Nischenmärkte die größten Chancen für mittelständische Pharmaunternehmen bieten. Der Erfolg gibt ihnen Recht. Hennig kann inzwischen auf eine 118-jährige Geschichte zurückblicken. Noch heute liegt der Schwerpunkt auf Arzneimitteln gegen Schwindel und Gleichgewichtsstörungen – in diesem Indikationsbereich ist Hennig Marktführer. In den vergangenen zehn Jahren konnte das Unternehmen nach eigenen Angaben den Umsatz verdoppeln.
Das Wachstum sei das Ergebnis einer nachhaltigen Unternehmensführung und der Erschließung neuer Geschäftsfelder, sind die neuen Geschäftsführer überzeugt. So baute das Unternehmen beispielsweise sein Sortiment verschreibungspflichtiger Medikamente im Bereich der Schmerztherapie weiter aus. Mit der Einführung von OTC-Produkten soll Hennig außerdem unabhängiger von den gesundheitspolitischen Entwicklungen werden. Der Anteil der OTC-Produkte am Umsatz beträgt inzwischen 12 Prozent am Inlandsumsatz und soll in den kommenden Jahren auf 25 Prozent gesteigert werden. Bleibt es bei der bisherigen Wachstumsdynamik, könnte dieses Ziel bereits in drei Jahren erreicht sein.
„Jede der vorausgehenden Generationen hat dem Vermächtnis unseres Gründers Max E. Hennig etwas hinzugefügt, um wettbewerbsfähig zu bleiben. An diese Tradition wollen wir anknüpfen“, sagt Holger Schleenhain. „Mein Bruder und ich haben erstmals auch rezeptfrei erhältliche Produkte in unser Sortiment aufgenommen und bauen diesen Geschäftsbereich mit viel Engagement weiter aus.“
Die Erschließung neuer Geschäftsfelder wird angesichts des 2015 ausgelaufenen Unterlagenschutzes für Arlevert immer wichtiger. Immerhin erwirtschaftet der hessische Generikahersteller die Hälfte seines Umsatzes mit dem Antivertiginosum. Mit Neuraxpharm und Klinge haben gleich zwei ernstzunehmende Konkurrenten entsprechende Kopien in ihr Sortiment aufgenommen. Beide Hersteller bedienen mit ihrer Spezialisierung auf die Kategorien Schwindel beziehungsweise ZNS dieselbe Nische wie Hennig.
In Flörsheim bei Frankfurt hatte man den Angriff erwartet und mit OTC-Produkten ein zweites Standbein aufgebaut. Das Läusemittel Licener, das Warzenmittel Wortie, das Mückenschutzmittel Viticks und die Schluckhilfe Medcoat haben mittlerweile signifikante Umsätze und Marktanteile.
Hennig Arzneimittel wurde 1898 von dem Chemiker Max Hennig in Berlin gegründet. Das erste Produkt war ein Leberextrakt, später kamen Herzmuskelextrakte und pflanzliche Arzneimittel hinzu. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Unternehmen vollständig zerstört, Hennig starb wenig später.
Kurt Moschner, ein langjähriger Mitarbeiter und Großvater der heutigen Firmenchefs, begann im Osten Berlins mit dem Wiederaufbau. Als der Firma die Enteignung drohte, verließ Moschner die sowjetische Zone und zog an den heutigen Standort. Dort begann die Firma mit der Produktion chemisch-synthetischer Arzneimittel.
Nach Moschners Tod übernahm 1984 seine Tochter, die Apothekerin Helga Schleenhain, zusammen mit ihrem Mann Wolfram die Firmenleitung. Die Söhne, die jetzt die Führung übernehmen, waren bereits in frühen Jahren im Unternehmen aktiv: „Schon als Schüler haben wir in der Konfektionierung gearbeitet“, erzählte Kai Schleenhain vor einiger Zeit APOTHEKE ADHOC. Er selbst war auch bei Boehringer Ingelheim und Merz angestellt, bevor er ins Familienunternehmen zurückkehrte.
Neben Arzneimitteln gegen Schwindel und Gleichgewichtsstörungen sind für den Erfolg des Unternehmens aus Sicht Schleenhains weitere Standbeine verantwortlich: die Auftragsfertigung und eine breite Palette an Generika. Hennig hat sich bei der Auftragsproduktion auf aufwändige Darreichungsformen und komplizierte Produkte spezialisiert, etwa Retardtabletten oder Betäubungsmittel. Bei den Generika konzentriert sich Hennig auf Schnelldreher: Clopidogrel, Enalapril, Losartan, Metoprolol, Omeprazol, Pantoprazol und Simvastatin sind einige der Präparate.
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